Dienstag, 5. Juli 2005

Als ich einmal 18 war

Mozarts meinten wir, alle miteinander so ungefähr 18, überdrüssig zu sein. Verdi? Ein Fall für´s Abonnementspublikum. Beethoven - "meine Liebe, Beethoven ist ausgeschöpft".

Schlechte Bücher, so glaubten wir überdies, verdürben den Charakter. Wir lasen Wilde und Céline, Jünger und Benn, und hegten schon deshalb kaum einen Zweifel an unserer Perfektion. Die Welt, so glaubten wir allen Ernstes, habe ein Rausch aus Gold, Blut und Rosen zu sein, Gott war ein toter Hund, und Nietzsche dafür um so lebendiger.

Es liegt an eines Menschen Schmerz, an eines Menschen Wunde nichts, sagten wir uns vor, und als die Mutter eines Kameraden Schlaftabletten nahm, und eine Woche später begraben wurde, lobten wir, noch etwas weiß um die Nase, die Schönheit dieses Todes, die den Abschied in Würde dem Verlassenwerden vorzog. Den moralischen Rigorismus der Jugend, den sich andere gehalten haben mochten, meinten wir, schon von vornherein überwunden zu haben. Im weißen Kleid mit Lochstickerei ging ich zu der Einladung, die die Geliebte des Vaters eines Freundes für jenen gab, und trank Krimsekt. Mundus vult decipi, zuckten wir die Achseln, und lachten ein bißchen über Regierung und Opposition gleichermaßen und über die, die dumm genug waren, gar nicht gehört zu werden, noch ein bißchen mehr.

Statt der Ungerechtigkeit der Welt hassten wir ihre Hässlichkeit, und stellvertretend jene Kameraden, die das Unglück hatten, mangels anderer geeigneter Ziele in jenem windstillen Winkel der Welt für uns deren Grobschlächtigkeit zu verkörpern: Der dicke, immer etwas schwitzende Junge mit dem Aktenkoffer. Die blonde, ordinäre Bauerntochter, die sich aus der Stadtbücherei Liebesromane entlieh, die "Stürme der Leidenschaft" hießen oder so ähnlich. Als der Direktor der blonden Bäuerin nahelegte, die Schule nach der U I zu verlassen, hatten wir gesiegt.

Zehn Jahre ist das her. Das Mädchen, das ich einmal war, ist mir fremd geworden, die Sorglosigkeit und die Arroganz, auch der selbstgerechte Äthetizismus, sind mir hoffentlich ferngerückt. Ihre Bücher aber sind die meinen geblieben, und beim Wiederlesen bin ich so bei mir, dass das Mädchen von früher noch in einer meiner Ecken sitzen muss, irgendwo. Neben die gepflegten Ekstasen der letzten Jahrhundertwende sind indes andere Vorlieben getreten, und der jugendliche Snobismus, der alles gesehen und gekannt haben wollte, und dem kaum etwas exklusiv und gesucht genug sein konnte, ist einer Demut gewichen, von der ich mir wünsche, das sie nicht nur die Kunst umfasst.

An die Stelle der Schönheit der Welt als Maß und Regel ist eine Komplexität getreten, vor der wohl nicht nur ich ein wenig ratlos stehe. Schwierig ist die Welt bisweilen geworden, und ich urteile zunehmend weniger und stets ein wenig ungern.

Für die Verwirrung über die Kompliziertheit der Dinge, für den Verlust der Sicherheiten des jugendlichen Selbst, schenkt einem die Welt indes manchmal die Momente, die der Achtzehnjährigen in ihrer Hybris nicht gegeben worden wären: In der Staatsoper zu sitzen, Daniel Barenboim die Sonaten Beethovens spielen zu hören, und vor der Erhabenheit des tausendmal Dagewesenen in Demut zu erzittern, und im Innersten berührt zu sein:

Gebadet - nein: getauft - in den reinen Wassern der Kunst, in denen wir immer wieder neu und rein werden, wenn wir ihr gesenkten Hauptes nahen.

Untergang Utopias

Die RAF-Ausstellung öffnete ihre Tore. Frierend und ein bißchen gespannt stand ich in der Schlange, plauderte ein bißchen mit den Umstehenden, und hielt Ausschau nach den Freunden, die zur vereinbarten Zeit angekommen sein mussten. Meine Nachbarn in der Schlange spöttelten ein bißchen über den naiven Idealismus des Milieus, aus dem einige aufgebrochen waren, die Bundesrepublik der Siebziger und Achtziger auf den Rücken einiger toter Wirtschaftsbosse umzuwälzen. Ein blutiger Kindergeburtstag müsse das gewesen sein, war man sich einig. Mit schnellen Autos und Frauen, die zum Teil schön gewesen sein mussten, Banken zu überfallen, alte Männer totzuschießen, und zu glauben, die Welt würde besser auf diese Weise. - Über die bessere Welt sprach man nicht in dieser Schlange auf der nächtlichen Auguststraße. Der Traum einer besseren Welt ist sehr, sehr weit weg.

Belächelt wird der Glaube an eine bessere, sanfte und gerechte Welt auch an jenen Tischen, an denen ich bisweilen eingeladen bin. Die Gemüsestreifen in der Thai-Style Suppe stammen aus der Bio-Company oder vom Kollwitzmarkt, Ökologie wird großgeschrieben, und nicht nur ich führe ein Karteileichenleben bei amnesty international. Die Mehrheit am Tisch wird ihr Kreuz im September bei den Grünen machen, der eine oder andere wird die CDU wählen, und auch die FDP hat ihre Anhänger: Liberale mit leicht unterschiedlichen Akzenten verlieren einige wohlgesetzte Worte über die Reform der WTO und Politik als Kommunikationsproblem. Dass die Macht der Gewerkschaften zu recht ihrem Ende zuginge, bedarf hier ebenso wenig der Diskussion wie die leise Verachtung der Sozialdemokratie, die zwischen Rotwein und Schokolade durch den Raum wabert.

Die Auseinandersetzung mit dem deutschen Neokonservatismus verfehlt angesichts dieses gesellschaftlichen Mainstreams ein wenig die Realität: Niemand der Leute, die mit mir an den Bars der Stadt ihren Wein trinken, will mit einer neoliberalen Brechstange die Republik reformieren. Das Primat der Arbeits- und Sozialpolitik stößt vielmehr auf ein leicht erschöpftes Desinteresse. Es möge, so hört man ein wenig gequält, die Politik sich doch einmal wieder mit anderen Dingen beschäftigen. Galt die Politik noch vor zwanzig Jahren, glaubt man meinem Vater, als ein hochinteressantes Spielfeld, so hat diese Faszination einer bisweilen wortreichen Gleichgültigkeit Platz gemacht: Man erwartet nichts mehr vom Staat.

Die Zeit der Utopien ist vorbei.


Benutzer-Status

Du bist nicht angemeldet.

Neuzugänge

nicht schenken
Eine Gießkanne in Hundeform, ehrlich, das ist halt...
[Josef Mühlbacher - 6. Nov., 11:02 Uhr]
Umzug
So ganz zum Schluss noch einmal in der alten Wohnung auf den Dielen sitzen....
[Modeste - 6. Apr., 15:40 Uhr]
wieder einmal
ein fall von größter übereinstimmung zwischen sehen...
[erphschwester - 2. Apr., 14:33 Uhr]
Leute an Nachbartischen...
Leute an Nachbartischen hatten das erste Gericht von...
[Modeste - 1. Apr., 22:44 Uhr]
Allen Gewalten zum Trotz...
Andere Leute wären essen gegangen. Oder hätten im Ofen eine Lammkeule geschmort....
[Modeste - 1. Apr., 22:41 Uhr]
Über diesen Tip freue...
Über diesen Tip freue ich mich sehr. Als Weggezogene...
[montez - 1. Apr., 16:42 Uhr]
Osmans Töchter
Die Berliner Türken gehören zu Westberlin wie das Strandbad Wannsee oder Harald...
[Modeste - 30. Mär., 17:16 Uhr]
Ich wäre an sich nicht...
Ich wäre an sich nicht uninteressiert, nehme aber an,...
[Modeste - 30. Mär., 15:25 Uhr]

Komplimente und Geschenke

Last year's Modeste

Über Bücher

Suche

 

Status

Online seit 7143 Tagen

Letzte Aktualisierung:
15. Jul. 2021, 2:03 Uhr

kostenloser Counter

Bewegte Bilder
Essais
Familienalbum
Kleine Freuden
Liebe Freunde
Nora
Schnipsel
Tagebuchbloggen
Über Bücher
Über Essen
Über Liebe
Über Maschinen
Über Nichts
Über öffentliche Angelegenheiten
Über Träume
Über Übergewicht
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren