Dienstag, 12. Juli 2005

Der Koch, der Dieb, die G. und sein Liebhaber

„Dich gibt´s auch noch.“, zischt der T. in den Hörer. „Tut mir leid.“, sage ich, „ich bin zur Zeit schrecklich beschäftigt.“, und erwähne die riesigen Haufen unerledigter Arbeit auf dem Schreibtisch. Viel zu tun sei, und interessant sei das wenigste daran. Privat täte sich gar nichts, und überhaupt sei mein Gesamtzustand in einer Weise stationär, die nur als besorgniserregend angesehen werden könne.

„Du solltest wegfahren.“, meint der T., und spricht von der erfrischenden Wirkung eines kurzen Aufenthalts am Meer, bei Menton etwa, wo die G. diversen Freunden das Haus ihrer Eltern geöffnet habe. Die G., so fährt der T. fort, habe sich ja immer noch nicht erholt, und brauche aufheiternde Gesellschaft wie kaum etwas anderes.

„Erholt?“, frage ich, und kann mich beim besten Willen an kein besonderes Ereignis im Leben der G. erinnern, deren wiehernder Frohsinn mir von einigen wenigen Abenden in Gesellschaft in etwas anstrengender Erinnerung geblieben ist. „Habe ich dir nicht...?“, fragt der T., rechnet ein bißchen nach, wann das letzte ausführliche Telephonat stattgefunden hat und fängt sodann an, zu erzählen.

Sogar die G. nämlich, dieser blonde Cheerleadertraum in rosa Ralph-Lauren-Blusen und mit Perlen um den Hals, verfüge über einige sonderbare Vorlieben, die man diesem meist strahlendem Sonnenschein nur schwerlich zutraue. Unwiderstehlich angezogen werde die G. nämlich nicht, wie es sich gehöre, von wohlerzogenen Herren mit richtigen Berufen und rahmengenähten Schuhen, vielmehr hindere nur die Entfernung zwischen Kärnten und dem nächsten Meer die G. daran, sich haarigen und tätowierten Matrosen an den Hals zu werfen, am besten verschwitzt und ziemlich lange ungewaschen. So habe die G. schon vor einiger Zeit Gefallen an dem Koch eines pseudomexikanischen Restaurants gefunden, der diesem Ideal schon ziemlich nahe gekommen sei, und jenen Herrn mitgenommen nach Frankreich in das besagte Haus ihrer Eltern. Einige Tage habe man sich dort dem Wohlleben hingegeben und der Koch habe der G. Enchiladas zubereitet und Tacoschalen mit Hackfleisch gefüllt.

Fast zeitgleich indes sei auch der Vetter der G. auf die Idee gekommen, dort Aufenthalt zu nehmen, und das Unheil nahm seinen Lauf. Eines Tages nämlich sei die G. alleine zum Strand gefahren, ihr Koch und ihr Vetter seien allein im Haus zurückgeblieben, und als die G. am Abend zurückgekehrt sei, sei das Haus seltsam still gewesen, und die Terrasse leer. „Wo seid ihr?“, habe die G. gerufen, sei ein bißchen durch die Korridore gelaufen, und habe schließlich das Schlafzimmer des Vetters betreten. Dort, hinter zugezogenen Vorhängen, habe sich ihr indes ein Bild des Grauens geboten, des subjektiven Grauens allerdings, denn der Koch und der Vetter schienen sich vielmehr in hohem Grade zu amüsieren.

Schockiert, wenn auch unbemerkt, sei die G. zurückgeprallt. Habe fassungslos ein wenig vor der wieder geschlossenen Tür gewartet, und sei dann ein zweites Mal eingetreten, diesmal unter erheblicher Geräuschentwicklung. Entsetzt seien die beiden Hausgäste auseinandergefahren, und die nächsten Stunden konnten für keinen der Anwesenden besonders vergnüglich verlaufen sein: Die G. warf den Koch aus dem Haus, und der Vetter bekam gleichfalls nahegelegt, sich doch demnächst einmal eine andere Bleibe zu suchen.

Er werde, sprach der Vetter, den Koch zum Flughafen fahren, und die G. möge sich in der Zwischenzeit ein wenig beruhigen. Die G. verschwand türenschlagend in ihrem Schlafzimmer, und kam erst wieder heraus, als Vetter samt Koch das Haus verlassen hatten.

Am Abend, die G. und ihr Vetter saßen sich zu einem schweigsamen Mahl gegenüber, klingelte das Telephon. Der Koch war am Apparat und begehrte den Vetter zu sprechen. Er habe, sprach der hinausgeworfene Jüngling, eine Tasche vergessen, die man ihm hinterherschicken oder vorbeibringen solle, und die sich unter seinem Bett befinde. Der Vetter ging auf der Stelle nachschauen. Die Tasche war voll und ziemlich schwer.

„Was war denn nun in der Tasche?“, unterbrach ich des T. effektvolle Kunstpause. „Weißt du, Modeste,“, antwortete der T., „ein schlimmer Verlust wäre das kaum gewesen. G.´s Eltern sind offenbar keine wirklich geschmackvollen Menschen.“ - In der Tasche hätten sich die Schmutzwäsche des Kochs und ungefähr fünfzehn Hummelpuppen befunden, die ursprünglich den Kaminsims des Hauses geziert hätten.

„Ich hoffe, sie haben ihm seine Beute belassen.“, sage ich und gieße mir ein Glas kalten Tee ein.


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