Freitag, 19. August 2005

Champagnercremetorte

Es soll Menschen geben, denen die Welt in Katzen- und Hundeliebhaber zerfällt, andere unterscheiden Optimisten und Pessimisten, und manche teilen das Universum sogar in Sozialdemokaten und Konservative auf. Alle diese Unterscheidungen, o meine verehrten Leser, gehen indes am Kern der Sache selbstverständlich vollkommen vorbei. Das innerste Wesen des Menschen, sein Geheimstes und Intimstes, verrät der Mensch nicht als reuiger Sünder, nicht als Beichtkind, und nicht einmal im Suff: Es sind die Torten, die die Geister scheiden.

Vollkommen klar ist jedem denkenden Wesen, dass zwischen Obst- und Sahnetortenliebhabern eigentlich keinerlei Gemeinsamkeiten bestehen können: Die grazile Käuferin eine Stücks Erdbeertorte auf Biskuit? Vergessen Sie´s, wenn Sie in Nusstorte, dreilagig mit Sahne ihr Glück gefunden haben. Die gesteigerte und verfeinerte Form des Tortenessers, die Liebhaber raffinierter Cremetorten, finden aus selbigem Grunde selten Freunde oder bloß Geschäftspartner in den Reihen derjenigen, denen die schlichten, rustikalen Genüsse genügen.

Warum aber, so fragt sich der geneigte Leser, sollen ausgerechnet Torten die Kriterien darstellen, an denen sich die menschliche Welt in divergierende Teile scheidet? Sind, so fragt sich der magere tortenabstinente Leser, denn Torten überhaupt so wchtig, darf, fragt sich der Moralist, ein für die Erhaltung der Volksgesundheit ganz und gar überflüssiges Gebäck diese Relevanz besitzen?

Torten sind, so erwidere ich jene Einwendungen, keinesfalls ein bloßer Luxus, ein überflüssiges und dickmacherisches Produkt geschäftstüchtiger Konditoren. Torten, meine Damen und Herren, sind der Nabel der Welt. - "Wie kommen Sie denn darauf?, murmelt es aus den Tiefen des Netzes. Nun, sage ich - diese Feststellung beruht auf unmittelbarer sinnlicher Anschauung, und wird von der gesamten tortenessenden Welt geteilt:

Die Gabel in ein blattdünn mit aromatisiertem Marzipan überzogenes Tortenstück zu senken. Der aufsteigende Geruch von Mandeln, Champagner, weißer Schokolade und Biskuit. Die helle Ceme, locker, aber keinesfall von jener Schaumigkeit, die die Backmischung verrät, die geschlagene Sahne besitzt genau jene Konsistenz, die ein einziges Grad leichter ist als der helle Biskuit. Die Sahne, die auf der Zunge warm wird und verläuft, die nachlässigen, leichten Bissen, die dem Boden gelten. Die Cremefüllung, die vanillig und leicht auf den ersten Bissen wirkt, und dann ins warme, weinhaltige changiert, um nach dem Hinunterschlucken der ganzen Pracht am Ende einen Eindruck, nein: eine Vision von Orange zu hinterlassen, und man der Gabel selig nachlächelt.

Ein solches Erlebnis, meine Damen und Herren, kann das Zentrum der Welt nur sein.


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