Dienstag, 6. September 2005

Aurelius Augustinus

Schon etwas abgeblüht ist das Römische Reich, schon etwas welk seine Kraft, und filigran sind die Hände geworden, die das Reich regieren. Die nervöse Üppigkeit des Orients hat sich schon so lange vermischt mit den derben Instinkten der Bauern, die vor Jahrhunderten ein Weltreich eroberten, und bringt nun Generationen hervor, die statt zu erobern - oder auch nur zu regieren – vergeblich etwas suchen, was jenseits der purpurroten, faulig-irisierenden Üppigkeit jener Jahre liegt, die wir die Spätantike nennen: Nur noch wenige Generationen, und die verästelte, spannungsreiche Hinfälligkeit dieser Welt wird unter den Schwertstreichen der Germanen verenden, und jener, der Mitte des 4. Jahrhunderts im Süden des im wesentlichen intakten Reichs geboren wird, wird am Ende seines Lebens in Hippo unter der Belagerung der Vandalen seine Augen schließen.

Die Jahre sind vorbei, in denen es die Fischer, die Armen, diejenigen vom Rande der Gesellschaft waren, die an die Geschichte von Kreuzestod und Auferstehung ihre Hoffnung hefteten. Längst schon hat der sterbende Kaiser Kontantin die Taufe genommen, das Konzil von Nicäa ist bereits Geschichte, aber noch ist das Christentum eine Religion unter anderen und noch sind es zumeist die Massen aus den Städten, die auf das Herabsteigen des Christus Salvator warten.

Aurelius Augustinus ist keiner von ihnen, aus der Provinz Numidien gebürtig hat er den Bildungsgang eines jungen Mannes aus gutem Hause durchlaufen. Christ ist er nicht. Seine Mutter Monica ist getauft, betet für ihn und seine Bekehrung, und das Denkmal, dass er der Monica im neunten Buch seiner Confessiones errichtet, ist wahrhaft monumentum aere perennius, das von seiner Lebendigkeit und Wärme nichts verloren hat über den Graben der Jahrhunderte.

Lange betet die Monica für die Bekehrung, denn jene lässt auf sich warten. Augustinus ist ein guter Schüler, ein begabter Student, dem die Erfolge zufallen, und der in dem dünnen, duftenden Blut des Zeitalters doch nicht findet, was er sucht. Die Säulen der Welt sind zweifelhaft geworden, der Glaube an die altrömischen Götter hat einer ihrerseits bereits ehrwürdigen Skepsis Platz gemacht, deren Gelassenheit und maliziöse Eleganz erst die Renaissance wieder erreichen wird. Die Schulen der griechischen Lehrer sind gleichfalls Jahrhunderte alt, und ob es der Müßiggang ist oder die Erkenntnissehnsucht, die Roms Jünglinge durch Griechenland treibt: Auch dieser Weg zu Wahrheit und Erkenntnis ist schon so lange beschritten worden, dass auch sein Scheitern bereits patiniert ist von denen, die Generationen zuvor zu Füßen der griechischen Lehrer saßen. Das Überraschende ist Kanon geworden, die Antinomien der Schulen zur Gewohnheit verkommen, und der Mund der Wahrheit spricht mit Greisenstimme zu seinen Jüngern. Eine große Klugheit liegt in jenem Achselzucken, mit dem die damalige Welt der Frage nach ihrem Innersten, nach Seinsgrund und Ziel allen Seins begegnet, aber brausende Wahrheit und Leidenschaft wohnt nicht dort, wo Augustinus sie sucht: Weder bei Cicero noch bei den Manichäern. Am Ende seiner Ausbildung in Karthago und Mailand ist er Hochschullehrer, hat in vielen Schulen die Erlösung von den Zweifeln gesucht, die ihn immer wieder überkommen, ist angesichts der Lücken und Brüche der Lehren stets weitergezogen, und hat die Wahrheit nicht gefunden.

Zum Grübler und Sucher jedoch wird Augustinus nicht, denn die damalige Welt mag auf schwankendem Grunde stehen, Genuss bietet sich einem, der Essen und Wein, Frauen und dem Theater zugetan ist, in reichem Maße, und so ist es auch die Forderung nach Keuschheit, die Augustinus lange von der Konversion abhält, als er, zermürbt schon von den Zweifeln und der Komplexität der Gedankengebäude, schon überzeugt auf die Taufe zuschreitet.

Von einer geisterhaften Kinderstimme schreibt Augustinus, die ihn zum Buch der Bücher hingezogen habe, und ob dies nun ein Bild sein mag, oder einer jener Zufälle, von denen die Welt lebt. Stimmig erscheint es in hohem Maße. Mehr als ein Jahrzehnt hat Augustinus nun nach Wahrheit gesucht, Komplexität gefunden, und er mag der Vielfalt der Wahrheit überdrüssig sein und müde des Suchens gleich den Tangenten, die Grund und Maß nie berühren. Augustinus wirft die Suche von sich: Das Lehramt. Die Suche nach dem wahren Wesen des Seins in immer feineren Differenzierungen. Der Glaube, dem Wesen der Welt mit den Mitteln des Verstandes nahe zu kommen. Ob er die in ihrer Schlichtheit fast rührende Geschichte vom toten Sohn des Zimmermanns glaubt? Ob er seine Wahrheit findet, und die Zweifel zerstieben?

Ob in jener Fama vom reinen Tor, der im unruhigen Jerusalem zwischen die Parteien gerät und umkommen muss, die Wahrheit des Augustinus liegt oder nur der entschlossene Wunsch, die Wahrheit gefunden zu haben: Augustinus entsagt, kehrt der unruhigen, grellen Welt des Altertums den Rücken zu und wird jenes Monument, als das er in den Hallen der una et sancta steht, die ohne ihn nicht wäre, was sie ist.

Die Nervosität jenes Saeculums am Ende einer Epoche, seine Farben und Menschen, seine Zerrissenheit, von der Augustinus sich abgewandt hat, wenden sich indes nicht ab vom Augustinus. In seinen Confessiones, viel gedruckt und zu wenig gelesen, steht sie noch einmal auf, die verwesende Welt des ausgehenden Altertums, die sich in jenem Geist konserviert hat, den sie enttäuschte, der sie von sich stieß, und der ihrem Zauber noch ex negativo nicht entkam in Sphären, die den Geist nichts nötig haben.


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