Mittwoch, 21. September 2005

Die Unendlichkeit des Universums

Ob das Universum unendlich ist, oder ob man nicht doch, flöge man immer geradeaus, irgendwo an eine Wand stoßen würde, hinter der es nicht weitergeht, mag mein grauhaariger, magerer Physiklehrer mit den schiefsten Zähnen der westlichen Hemisphäre irgendwann einmal erzählt haben, auch diese Information ist indes an meinem für Naturwissenschaften aller Art extrem wenig empfänglichen Gehirn komplett vorbeigegangen.

Selbst für den Fall, dass sich das Universum als endlich erweisen sollte, ziemlich lange wäre man doch unterwegs, stelle ich mir vor, würde ich heute nacht von der Brüstung meines Balkons im vierten Stock mit ausgebreiteten Armen immer höher hinauf fliegen. Dünner würde die Luft, kalt würde mir, und ich würde bedauern, nicht noch einen Pullover angezogen zu haben, und vielleicht doch die Barbour-Jacke statt des grünen Jäckchens mit den Goldknöpfen, das ich in Budapest gekauft habe letzte Woche. Einigen Flugzeugen würde ich ausweichen, mich auf einem Satelliten ein wenig ausruhen, weil das Fliegen eine anstrengende Sache ist, und für ein paar Minuten, eine Zigarettenpause lang, hätten die Berliner einen hundsmiserablen Fernsehempfang und würden mit der flachen Hand ein wenig ärgerlich auf das Gerät klopfen, bis ich weitergeflogen wäre, aber das wissen die Fernsehzuschauer ja nicht, da unten auf ihren Sofas. Am Mond käme ich vorbei und an der Sonne, an den anderen Planeten und dann immer weiter, vorbei an Himmelskörpern, die man von Berlin aus gar nicht mehr sehen kann, bis ich irgendwo angekommen wäre, wo nicht einmal die NASA mehr weiß, wie es da ausschaut.

Wenn das Universum aber tatsächlich unendlich, oder doch zumindest fast grenzenlos sein sollte, dann wird sich unter den unendlich vielen Himmelskörpern doch auch eine unendlich große Zahl von Sternen befinden, die menschlichem Leben genauso zuträglich sind wie die Erde? Und auf einer Reihe dieser Sterne hätte auch das menschliche Leben ungefähr die selben Bahnen wie hierzulande beschritten? Auf einigen dieser Planeten, denke ich mir, hat sich die menschliche Zivilisation natürlich völlig anders entwickelt, auf einigen Sternen ist man noch im Jahre 1512 und auf anderen bereits im Jahre 80080 – und auf einigen Sternen ist irgendetwas schiefgelaufen, Hermann Göring III. wäre ein veganer Erbmonarch, irgendwo anders hätte die Russische Revolution gesiegt, und ganz woanders wäre Berlin eine hässliche, dreckige und kaputte Stadt, in der keiner leben mag, der´s vermeiden kann.

Die Hälfte von unendlich, so höre ich meinen Mathematiklehrer knarzen, sei immer noch unendlich, und so müsste ja auch ein kleinerer Teil von unendlich immer noch unendlich sein, und in einigen dieser unendlich vielen Welten sind die Abweichungen von dieser Welt alles in allem eher unbedeutend: Irgendwo, wo man schon recht lange hin unterwegs wäre, würde man dort seinen Urlaub verbringen, wäre eigentlich alles so wie hier, nur das Bürgerliche Gesetzbuch wiese einige kleinere Abweichungen auf. Oder die Kastanienallee wäre Fußgängerzone. Und in einem noch kleineren Teil dieser unendlich vielen Welten würde auch ich herumsitzen, aber hätte etwa Germanistik studiert oder wäre Krankenschwester.

In einem noch kleineren Teil wäre ich zwar, wie ich bin, aber hätte damals, 15 Jahre ist´s her, den G. bekommen. Oder den E. nicht geküsst, oder den J. behalten oder hätte im Frühjahr meine Sachen gepackt und wäre nach Wien gezogen. In einer dieser vielen Welten habe ich mir die viele Arbeit gar nicht aufnötigen lassen, die mir diese Woche zäh und mühsam die Tage füllt, und säße gerade im „Visite ma tente“ beim Wein herum mit der C., oder mit dem B. im „Lass uns Freunde bleiben“ beim Tannenzäpfle statt daheim beim Tee, oder würde mit dem J.² irgendwo in Friedenau auf die Kinder seiner Kollegen aufpassen wie verabredet.

Und irgendwo, in einem noch kleineren Teil der unendlich vielen Himmelskörper, gäbe es natürlich auch eine Blogosphäre. Und mein Blog. Und diesen Eintrag.


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