Sonntag, 25. September 2005

Kork

Ganz Berlin, so weiß man, will eigentlich die selbe Wohnung beziehen – Altbau, Balkon, Badewanne, in bester Lage, lieber Prenzl´berg als F´hain, aber nicht überall, und so begab es sich, dass auch der J., mein geschätzter ehemaliger Gefährte, auf seiner Wohnungssuche nach der Trennung der Haushalte wie der Herzen einige Kompromisse eingehen musste. Gut geschnitten ist die schlussendlich gemietete Wohnung zwar ohne Frage, bestens gelegen an einem der begehrtesten Plätze des Prenzl´bergs, hinreichend günstig, und mit Stuck und Dielen ausgestattet, wie es das Herz begehrt.

Indes hat auch dieses Paradies seine Schlange. Die Schlange ist aus Kork.

Sitzt man als Besucherin etwa beim geschätzten ehemaligen Gefährten auf dem Sofa, so ahnt man beim erstmaligen Aufsuchen dieses wirklich reizenden Herrn noch nichts von diesem kleinen, aber wesentlichen Manko. Dann aber bietet der Hausherr das erste Bier an, vielleicht brüht er eine Kanne Tee auf, und im Anschluss steht man fast zwangsläufig mitten im Problem. Es befindet sich im Badezimmer: Das Bad ist ganz aus Kork.

„Wie kann,“, so fragen Sie sich als Leser dieser Zeilen, „ein Badezimmer ganz aus Kork sein?“ Eine Pinnwand ist vielleicht aus Kork, eine Dachbodenisolierung meinethalben, ein Badezimmer aber hat gekachelt zu sein, vielleicht halbhoch nur und darüber Tapete, aber Kork ist ganz und gar und völlig falsch. Vielleicht, so denkt man, wären Kacheln sogar in den abstoßenden Farben unserer Kindheit – braun etwa oder erbsensuppengrün – besser als diese Auskleidung mit Kork, die nicht nur die Wände, sondern auch die Decke befallen hat und vor den Scheuerleisten nicht halt macht.

„Was ist denn mit deinem Badezimmer los?“, kann man den J. nach Verlassen desselben fragen, um ihn ein wenig aufzuziehen. „Sie mag mein Badezimmer nicht.“, hört die Besucherin den J. sodann ein wenig enttäuscht vor sich hin murmeln. „Ach was!“, sagen Sie daraufhin am besten und loben die bestimmt fabelhafte Isolationswirkung dieses Bades, das es dermaleinst vielleicht dem J. erlauben wird, einen mit schmutzigen Waffen geführten Krieg ein paar Tage länger zu überleben als unsereins.

Überhaupt – Kork, so können Sie den J. über den nächsten Getränken auf seinem Sofa vor sich hin plaudern hören. "Kork" sei doch eigentlich gar kein unschönes Wort, und nur unschöne Worte würden unschöne Dinge bezeichnen. "Rohrzangenschraube" etwa – wer stellt sich darunter etwas Nettes vor? "Erlaubnistatbestandsirrtum" – das riecht doch schon nach Problemen, Strafrechtshausarbeiten im dritten Semester und überhaupt nach Ärger und unfreiwillig durchwachten Nächten. "Kork" dagegen...

Sogar als Vorname, so fährt der J. fort in seiner Badezimmerapologie, sei "Kork" gar nicht einmal übel. „Kork – kommst du mal?“ oder „Kork, wenn du nicht aufisst, gibt es keine Schokolade.“, höre sich doch gar nicht so schlecht an, geradezu normal, so, als wäre Kork ein ganz üblicher Name für ein Kind wie etwa „Michael“ oder „Andreas“. Wir hätten, so der J., wäre es eines Tages soweit gekommen mit uns, unseren Erstgeborenen „Kork“ nennen können, und schon nach drei Wochen wäre uns, wie auch unserer Umgebung, diese Namensgebung als völlig selbstverständlich erschienen.

Wie anders aber, so sinniert der geschätzte ehemalige Gefährte, verhalte es sich etwa mit anderen Namen! „Ulf“ etwa – wer hätte sich jemals an „Ulf“ gewöhnen können. Schon aus reiner Notwehr und Caritas gegenüber dem kleinen Ulf hätte man ihn nicht bei diesem Taufnamen rufen können, sondern hätte ein Pseudonym verwenden müssen, einen Kosenamen, einen Rufnamen eben.

Zum Beispiel „Kork“.


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