Freitag, 7. Oktober 2005

Dagegensein

Dieses fühlt sich gut an, und jenes liest sich angenehm, ein Duft schmeichelt der Nase, und ein Bild gefällt. „Ich mag das.“, sagt das stets kritikbereite Gehirn, und „ich mag das.“, sagt man laut zu seinem Gegenüber. Dann schaut man sich um. Man mag den Herrn nicht, der entzückt, hingerissen, vor dem selben Bild steht, wie man selbst. Man verachtet seine schlotternden, billigen Jeans, man verachtet seinen Bart und die schmutziggelben Haare. Man verachtet das kurzärmlige Flanelhemd, das über seinem Bauch hängt, und man möchte weit, weit weg sein von diesem Mann und seiner Zuneigung zu dem Bild, das eben noch schön war. „Ein bißchen gewöhnlich.“, sagt der Begleiter, und man nickt, und glaubt´s.

Man hat nichts gegen die Menschen, die neben einem auf den Clubsofas liegen. Man hat nichts gegen ihre schwarzen Brillen, ihre Cordsakkos, die Stiefel der Mädchen über den Tüllröcken und die Tops, wie man auch eins im Schrank hat. Es sind nur so viele. So viele Menschen mögen dieselbe Musik, den selben Laden, die selben Kleidungsstücke, die man auch selber trägt, ununterscheidbarer Teil dieser Masse. Man mag keine Masse. Man kraust die Nase, man macht sich ein bißchen lustig über die Menschen, die jeden Donnerstag in den selben Läden auf den selben Sofas liegen, ein bißchen tanzen, ihren Gin Tonic trinken, und man möchte anders sein, kein Teil einer Masse und ganz weit weg.

Man liebt die Girlanden, die weiche Wortflut eines Dichters. Aber hat ihn nicht auch die ZEIT gelobt? Man mag aber keine Studienräte mit ihren Bärten. Man sitzt gern an gedeckten Tischen, man hat gern schweres Silber in der Hand, man mag die dünnwandigen Teetassen, durch die das Kerzenlicht flackert und der Tee goldbraun schimmert. Aber man mag kein Teil sein einer bürgerlichen Renaissance, man denkt an blonde Rechtsanwälte in hellblauen Hemden mit ausgehendem Haar, und möchte nicht verwechselt werden mit Menschen, die über Altersvorsorge sprechen und Verträge abschließen, die sich jährlich mit 4 % verzinsen. Man lästert, man reißt einen Graben auf zwischen denen und einem selbst und füllt ihn mit vielen Worten und dem abschätzigen Lachen, das denen vorbehalten ist, die man zu gut kennt, um sie zu mögen.

Man hat, sagt man schulterzuckend, ein oppositionelles Temperament. Man mag grundsätzlich nicht, was andere Leute mögen, wenn es denn zuviele sind, und auch diese Neigung teilt man mit vielen, vielen Leuten. Man mag diese Leute nicht, ihre Nörgelsucht und ihr stetiges Gegenanrennen gegen Dinge, die nun einmal sind, wie sie sind. Man mag keine lauten Leute, man mag keine Menschen, die immer ein Haar in jeder Suppe finden, und man ist schon aus Opposition gegen diese Leute für die Welt, so wie sie nun einmal aussieht. Die Leute, die sich so schrecklich wohl fühlen in ihrer Haut, die kann man aber auch nicht gut haben, und so ist man wenigstens aus anderen Gründen dafür. Man mag aber auch den billigen Snobismus nicht, sich von allem absetzen zu müssen, und ist deswegen dosiert, ab und zu, dann doch einmal für etwas, was alle mögen, wie man glaubt.

Man ist sich nur zu klar über die Haaresbreite, die einen von jenen trennt.

Man kommt vielleicht sehr weit ab von seinem ursprünglichen Empfinden. Und eines Tages, der vielleicht einmal kommt, und vielleicht schon einmal da war, wird man nicht mehr wissen, was man mag, wer man ist, und wer man wäre, wäre man allein auf der Welt, und nicht Teil jenes geräuschvollen Knäuels von Meinungen, Gesprächen, Abgrenzungen und Gemeinsamkeiten, die sich um jenen eigentlichen, wahrhaften Kern der eigenen Persönlichkeit wickeln, von dem ich nicht weiß, ob es ihn überhaupt gibt.


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