Freitag, 20. Januar 2006

Dreizehn

So rein körperlich sah man wahrscheinlich großartig aus damals, auf den Bildern jener Jahre aber sieht man exakt nichts davon: In unvorteilhaften Jeans, mit viel zu großen T-Shirts schaue ich mir hinter einer roten Brille von irgendwelchen Photos entgegen und lächele überhaupt nie. Neben mir, einen guten Meter entfernt, sitzt mein allererster Freund mit einer Frisur, die es ihm ohne weiteres ermöglicht hätte, das Wet-Gel aus seinen Haaren herauszulutschen, und hat ein rotes Sakko an über einem T-Shirt, auf dem viel zu groß „BOSS“ steht. An den Füßen trage ich ein paar pinkfarbene Chucks, an den Schnürsenkeln sind kleine glitzernde Plastiksterne angebracht, und dass man die buntgeringelten Söckchen nicht sieht, die man bei ESPRIT kaufen konnte, ist ein Segen, für den man dankbar sein sollte.

Überhaupt ESPRIT, mein Blockstreifen-Sweatshirt in gelb und pflaumenfarben, mit weißem Kragen. Die Söckchen mit einer Rüschenreihe, die man sehen konnte, weil die Hosen eigentlich zu kurz waren. Das mintfarbene Sweatshirt, auf dem „UNITED COLORS OF BENETTON“ ganz groß draufstand, jeder Buchstabe in einer anderen Farbe, und natürlich Polo-Hemden von Lacoste, die auch so weit waren, dass man von einem angezogenen Mädchen nicht hätte sagen können, ob sie dick oder dünn war. - Der Prozess des Entkleidens muss in jenen Jahren einen wirklichen Überraschungseffekt besessen haben, aber für’s Entkleiden vor gegengeschlechtlichen Menschen waren wir ohnehin noch zu klein. Zum Händchenhalten reichte es, ein paar Küsse auf dem Bootssteg, ein wenig genierte Spaziergänge Hand in Hand, schlechten Gewissens, weil man sich eigentlich viel lieber als mit demjenigen, mit dem man sich tatsächlich traf, mit jemand anders getroffen hätte, aber der andere war schon 16 und schaute einen selbstverständlich nicht einmal aus Versehen an.

Duftkerzen und Bananentee. Bunte Gläser von Joy von Freundinnen zum Geburtstag, verpackt in irisierende Folie, Plastikstrohhalme in Spiralenform. Nachmittags mit der N., der allerbesten Freundin, zum Reitstall, und die Pferdeposter an der Wand nach und nach austauschen gegen Poster, auf denen Rick Astley abgebildet war oder INXS. Vor dem Spiegel feststellen, dass man niemals aussehen würde wie Kylie Minogue, und die erste Ahnung, dass man überhaupt nie aussehen würde wie Frauen, die irgendjemand auf Plakate druckt, wenn man einmal groß sein würde.

Die ganze Nacht lesen, und in der Schule immer schlechter werden und noch nicht wissen, dass man ab jetzt jedes Halbjahr versetzungsgefährdet sein würde wegen Mathe und eigentlich allen Naturwissenschaften. In die Umwelt-AG eintreten, weil man Umwelt schon irgendwie wichtig fand, und in die Redaktion der Schülerzeitung, wo man die Unterstufenseite vollschreiben durfte, die ohnehin keiner las.

Sich vorstellen, wie es sein würde, groß zu sein, also ungefähr 16, und langsam, unmerklich, auseinanderzufallen in ein Innen und ein Außen, sich auseinanderzufalten in etwas, das sich selber jahrelang fremd sein würde, und am Ende so weit weg zu sein von dem Mädchen auf den Bildern, zu dem man kaum mehr „ich“ sagen kann, dass alles, an das man sich erinnern kann, die fast unpersönliche Oberfläche ihres Lebens ist, ein paar T-Shirts, ein paar Geburtstagsgeschenke und kein einziger Augenblick.

Via Sven und Don Dahlmann.


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