Sonntag, 16. April 2006

Penaten

Gelegentlich, zum Glück nicht allzu häufig, fährt man ja durch die Außenbezirke der Städte, dort, wo die Häuser niedrig werden und die Gärten groß, und schaut älteren Ehepaaren, nicht unähnlich den eigenen Eltern, bei der Gartenpflege zu. Ein wenig verloren sehen sie aus in ihren Vorgärten, und noch viel verlorener, denkt man, sitzen sie am Abend in ihren Häusern herum, die sie sich vor über zwanzig Jahren einmal gekauft haben, als sie zwei kleine Kinder hatten, und ein drittes zwar nicht direkt geplant war, aber immerhin wäre Platz gewesen, und mit mehr Gästen, als dann schließlich jemals auf einmal erschienen, hatten sie auch gerechnet.

Nun sitzen sie also da in ihren fertig eingerichteten Häusern, die viel zu groß sind für zwei ältere Leute, wenn sie denn überhaupt noch zu zweit sind, und richten sich immerzu neu ein, kaufen Bassetti Plaids und indische Vasen, vanillefarbene Couches und immer neue Lampen, installieren in einem ehemaligen Kinderzimmer einen begehbaren Kleiderschrank, ein Bügelzimmer in einem der Gästezimmer, stellen Schränke in alle Ecken, in denen dann mehr Tischdecken liegen, als ein durchschnittliches Restaurant im Gebrauch hat, und lauter Dekorationen für Ostern, Weihnachten, Herbst und Winter. Ein wenig melancholisch schaut das Ergebnis aus, wie es jeder Perfektion eigen ist: Irgendetwas fehlt, und man kann sich ordentlich vorstellen, wie eine ältere Dame im zitronengelben Cardigan mit sanft verhangenem Blick am Fenster sitzt, irgendeinen Roman, den das Feuilleton empfohlen hat, in der Hand oder eine Biographie, und ihren Gatten anschaut, der aus purer Gewohnheit auch Jahre nach der Pensionierung immer noch den Wirtschaftsteil der FAZ liest. Viel zu groß ist das Haus, und ab und zu überlegen sie, das Haus zu verkaufen, einfach wegzuziehen, ein Haus in Oberitalien zu kaufen oder in Asien, wo es warm ist, und eine kleines Haus noch einmal ganz neu einzurichten. Unterwegs sind sie ohnehin immerzu, als hätten sie Angst, in ihrem Haus allein zu sein, ganz so, wie ihre Kinder Angst hatten vor fast drei Jahrzehnten, wenn sie am Abend in die Stadt fuhren, die zehn Kilometer oder dreißig entfernt ist, so nah jedenfalls, um viel öfter zu fahren, als sie es tun und jemals getan haben.

Vollkommen angefüllt sind ihre Häuser mit den abgelegten Schalen ihres ganzen Lebens, die ersten Regale noch aus dem Studium im Keller, die Kiefereinrichtung aus den Siebzigern, als sie jung waren und die Kinder klein, ganz oben unterm Dach, und das Leben ihrer Eltern, Tanten, Großeltern ruht verpackt in viele Kisten im Keller. Das Silber freilich, das Meissner Porzellan, das hat seinen Platz gefunden im Erdgeschoss, die Dinge jedoch, an denen das Herz der längst verstorbenen Eltern hing, und über die sie schon zu Lebzeiten der Mutter gespöttelt hatten, weil das Geliebte die Liebe nicht immer zu verdienen schien, wie es halt so geht.

Verkaufen konnte man die Dinge dann freilich doch nicht, weil die Mutter einmal so an den Weihnachtstellern gehangen hat, die Großmutter an den Nymphenburger Figurinen, die Schäferinnen darstellen oder einen verliebten Harlekin, weil irgendein vor Jahrzehnten verstorbener Onkel die Bowlenschüssel liebte, die ein Schiff darstellte. Die roten und blauen Römer, die Uhren und die Porzellanfiguren, die Szenen sehr bekannter Opern darstellen. Die Kristallschwäne und die Vasen mit großen roten Drachen, verpackt in viel Papier und aufgehoben für wen auch immer. Ein Band aus Glas und Porzellan zwischen ihnen und den Toten mag in den Kisten liegen, und die Keller sind groß genug.

Ab und zu, eher selten, lassen sich die Kinder sehen, die weit weg ihr kellerloses Leben führen und viel zu oft umziehen. Vitrinen haben sie keine, kaufen kein geschliffenes Glas und kein Porzellan, und vielleicht werden sie eines Tages die Häuser ihrer Eltern verkaufen und die indischen Vasen dazu, den Inhalt der Kisten zum Flohmarkt tragen oder dem Auflöser überlassen. Vielleicht kaufen sie selber aber auch einmal ein Haus, dessen Keller voll sein wird, noch voller, denn die Familien werden kleiner und der Erbschaften mehr, und vielleicht werden auch jene Dinge, an denen das Herz ihrer Eltern hängt, die japanischen Schalen und die italienischen Alabastervasen, die Zeitungshalter von Manufactum und das toskanische Brotkörbchen, einmal in Kisten liegen, die man kopfschüttelnd behält, weil denen, die man liebte, diese Dinge einmal lieb waren und teuer.

Aber vielleicht kommt alles anders, und es verschlingen unruhige Zeiten noch einmal die Kisten, das Glas, das Silber, den viel zu klobigen Schmuck der Großmutter und am Ende die Kinder dazu.



Benutzer-Status

Du bist nicht angemeldet.

Neuzugänge

nicht schenken
Eine Gießkanne in Hundeform, ehrlich, das ist halt...
[Josef Mühlbacher - 6. Nov., 11:02 Uhr]
Umzug
So ganz zum Schluss noch einmal in der alten Wohnung auf den Dielen sitzen....
[Modeste - 6. Apr., 15:40 Uhr]
wieder einmal
ein fall von größter übereinstimmung zwischen sehen...
[erphschwester - 2. Apr., 14:33 Uhr]
Leute an Nachbartischen...
Leute an Nachbartischen hatten das erste Gericht von...
[Modeste - 1. Apr., 22:44 Uhr]
Allen Gewalten zum Trotz...
Andere Leute wären essen gegangen. Oder hätten im Ofen eine Lammkeule geschmort....
[Modeste - 1. Apr., 22:41 Uhr]
Über diesen Tip freue...
Über diesen Tip freue ich mich sehr. Als Weggezogene...
[montez - 1. Apr., 16:42 Uhr]
Osmans Töchter
Die Berliner Türken gehören zu Westberlin wie das Strandbad Wannsee oder Harald...
[Modeste - 30. Mär., 17:16 Uhr]
Ich wäre an sich nicht...
Ich wäre an sich nicht uninteressiert, nehme aber an,...
[Modeste - 30. Mär., 15:25 Uhr]

Komplimente und Geschenke

Last year's Modeste

Über Bücher

Suche

 

Status

Online seit 7126 Tagen

Letzte Aktualisierung:
15. Jul. 2021, 2:03 Uhr

kostenloser Counter

Bewegte Bilder
Essais
Familienalbum
Kleine Freuden
Liebe Freunde
Nora
Schnipsel
Tagebuchbloggen
Über Bücher
Über Essen
Über Liebe
Über Maschinen
Über Nichts
Über öffentliche Angelegenheiten
Über Träume
Über Übergewicht
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren