Mittwoch, 18. Oktober 2006

Wunderschön (eine Neidphantasie)

Wie sich das wohl anfühlt, überlege ich am Rande der Bar, und nippe an einer Flasche Bionade. Wie das wohl ist, so schön zu sein, dass einem die Männer auf der Straße nachschauen, und ab und zu einer gegen einen Laternenmast läuft, weil er die Augen nicht von einem wenden kann, weil man so schön ist, so schön wie die Mädchen in Märchen, mit goldenen Haaren bis zum Hintern und schlank und lang wie Giraffen, eine Giacometti-Gazelle, grazil und zerbrechlich wie eine Meissner Porzellanballerina, so zerbrechlich, dass jeder sofort weiß, dass man unmöglich selber Türen aufmachen oder Tüten schleppen kann.

Großartig muss das sein, denke ich mir, so schön zu sein, dass sich jeder geschmeichelt fühlt, wenn man ihn anlächeln würde, und einem alle möglichen tollen Eigenschaften andichten würde, weil er sich ja nicht eingestehen würde, dass er nur deswegen so begeistert wäre, weil man so schön ist, so zart, so elfenhaft, dass Männer Angst hätten, man könnte zerbrechen, wenn man zu fest angefasst wird. Für humorvoll würde man gehalten, wenn man nur ab und zu lacht. „Die M. ist so humorvoll!“, würden fremde Männer mich rühmen, obwohl ich stundenlang kaum den Mund aufgemacht hätte, und nur ab und zu ein wenig ein freundliches, ein wenig abwesendes Lächeln aufgesetzt hätte, wenn sie einen Witz gemacht haben. - Andere Frauen, die bemängeln würden, dass die wenigen Sätze, die ich geäußert hätte, jedenfalls nicht als besonders amüsant gelten würden, hätte eine weniger hübsche Frau sie geäußert, würden als stutenbissig, wie man so sagt, oder als zickig gebrandmarkt. „Die X. kann’s halt nicht haben, wenn eine andere Frau besser ausschaut als sie.“, würden sie die anderen tadeln, ich müsste gar nichts dazu sagen, und würde nur freundlich lächeln. „Die X ist doch eine Nette.“, würde ich sagen, und sofort als wahnsinnig großzügig und sehr, sehr herzlich gelten, als Freundlichkeit in Person, und dann würde ich die langen Wimpern senken, und mich freuen, es der X. einmal so richtig gezeigt zu haben. Die blöde Kuh.

Vielleicht hätte ich aber tatsächlich nichts gegen die X., wozu auch, denn in meiner Gegenwart würde die X. ja ohnehin nicht einmal bemerkt, und wenn ich auftauche, schaut keiner mehr die X. an, sondern nur noch mich, und alles, was ein Mann in meiner Nähe sagt, würde er nur zu mir sagen, alle anderen Frauen wären unsichtbar, und jeder würde darauf warten, dass ich lächele, und dann hocherhobenen Hauptes durch den Tag schreiten. Würde ich sogar vielleicht einmal laut lachen, mich im Scherz für einen Augenblick bei ihm anlehnen und mir irgendetwas von ihm erklären lassen, was er kann, und ich nicht zu können bräuchte – wie großartig wäre das! Stundenlang würde er strahlen wie ein geborstener Atomreaktor, und wenn er schon eine Freundin hätte, würde er sie auf der Stelle sitzenlassen, wenn ich ihn haben wollen würde, und sich einreden, ich sei etwas ganz Besonderes.

Wunderbar wäre das. Andauernd würde das Telephon klingeln, hochintelligente Männer würden sich darum reißen, mich zum Essen auszuführen, und mir nur die teuersten und besten Restaurants zumuten, und sich freuen, wenn es mir schmeckt. Gedichte würden mir Leute schreiben, mich verherrlichen und von mir träumen. Meine Wege wären leicht und mit seidenen Teppichen ausgelegt, wie etwas Wunderbares und Kostbares würde ich geliebt, und wen ich verlasse, der würde ein Leben lang mit allen künftigen Freundinnen über mich sprechen wie Platon persönlich über das untergegangene Atlantis oder der Papst über den lieben Gott.



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