Montag, 11. Juni 2007

Von mir kriegst du nichts

Nicht, dass es nennenswert viel zu vererben geben würde bei uns zu Haus, doch aus einer schwer erklärlichen Mischung aus Streitlust und innerfamiliärer Verbitterung über die jeweils anderen Verwandten endet, seit ich denken kann (und wahrscheinlich schon erheblich länger), jeder innerfamiliärer Todesfall mit einer erbschaftsrechtlichen, in aller Regel gerichtlichen Auseinandersetzung. Welcher Stellenwert dem Erben und Vererben innerfamiliär zukommt, lässt möglicherweise eine Episode erkennen, an die ich – gleichwohl Hauptprotagonistin – mich nicht die Spur mehr erinnern kann, gleichwohl schwören alle Anwesenden Stein und Bein, dies habe exakt so und nicht anders stattgefunden.

Ungefähr achtjährig, sagt man, hätte ich auf dem Spielplatz eines Ausflugslokals mit meiner Schwester, zwei Vettern und einigen anderen, mir nicht verwandten, sondern vor Ort vorgefundenen Kindern gespielt. Im Zuge des Spiels seien Unstimmigkeiten aufgetreten, laut sei es geworden zwischen Rutsche und Sandkasten, und auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen hallte weithin hörbar bis zur unweit belegenen Terrasse des Lokals mein erbitterter Ausruf: „Von meinem Geld sollst du nichts haben!“, gefolgt von den unmissverständlichen Worten: „Dich streich‘ ich aus dem Testament!“ – Besonderes Erstaunen ob der an sich eher unkindlichen Reaktion erregten diese Worte bei den volljährigen Familienmitgliedern auf der Terrasse des Lokals, sagt man, indes nicht.

Keiner Bestattungsfeier, ich schwöre, hätte ich jemals beigewohnt, auf der die Frage nach Erbschaft und Vermächtnis nicht spätestens beim tröstenden Kuchen, wenn nicht sogar bereits am offenen Grab debattiert worden sei. Kein 80. Geburtstag, bei dem nicht zumindest in der Küche, fernab von Reden und Glückwünschen, diskutiert worden sei, was mit Haus und Geld, Schmuck und Silber zu geschehen sei, wenn es sich einmal ausgefeiert haben sollte, und kein Familienmitglied, das nicht alle paar Jahre, familiären Verwerfungen Rechnung tragend oder auch einfach so, sein Testament zu ändern pflegt. Im Nachhinein darf in mindestens der Hälfte aller Fälle durchaus bezweifelt werden, ob die so angeordnete Erbfolge tatsächlich dem Willen des Verstorbenen entsprach oder nicht etwa einer schlichten Laune folgend im festen Bewusstsein niedergeschrieben wurde, es dem Rest der Familie einmal kräftig zu zeigen und zu einem unbestimmt späteren Zeitpunkt von der demonstrativen Geste bei einem verschwiegenen Notar wieder clamheimlich abzurücken.

Nicht wenige Familienmitglieder beispielsweise hegen ernsthafte Zweifel daran, ob etwa Onkel P. den nicht unerheblichen Teil seines Besitzes, welcher sich in seinem Weinkeller manifestierte, wirklich einer wohltätigen Organisation vermachen wollte, die insbesondere in Afrika den Welthunger bekämpft, oder nur der Tante vor Augen führen wollte, was ihr blühen werde, werde der am Ende bettlägrige Onkel nicht wunschgemäß gepflegt. Im Zuge der Demonstration – die der Onkel vermutlich nach und nach zu intensiveren plante - war selbiger indes verstorben.

„Das kann er nicht ernst gemeint haben.“, waren sich daher die nach der Beerdigung in der Küche versammelten Tanten und Großtanten vollkommen einig, thematisierten die lange und schwere Erkrankung des Onkels, die unzureichende Pflege durch die dazugehörige Tante, deren hühnerhafte Aufregungszustände allen Anwesenden schon seit der frühmorgendlichen Grablegung ganz entsetzlich auf die Nerven fiel, und die immer häufiger werdenden geistigen Absenzen in den letzten Monaten seines Daseins. „Seiner eigenen Frau das Schwarze unter den Nägeln nicht zu gönnen!“, ereiferte sich meine Tante L., und rang buchstäblich die Hände. Seinen Weinkeller vorbei am eigenen Fleisch und Blut Leuten zu vermachen, die vermutlich nicht einmal Wein trinken, fand auch meine Großmutter nicht gut, und überhaupt war man sich einig, dass wohl kaum die dürstenden Kinder Afrikas, sondern bloß die ortsansässigen Mitarbeiter der karitativen Organisation von diesem geradezu unanständigen Exzess der Wohltätigkeit profitieren würden.

Von langgezogenen Schluchzern geschüttelt lag die frisch verwitwete Tante währenddessen im Bett. Ab und zu trat eine der Nichten und Schwiegernichten (die Ehe war kinderlos geblieben) behutsam in ihr Schlafzimmer, tätschelte ihr vorsichtig die Schulter und stellte einen mit Kuchen und Schnittchen gefüllten Teller auf den Nachtschrank. Zwar erfolgte keine sicht- oder hörbare Reaktion der Dankbarkeit aus dem Polstergebirge, unter dem sich der Tante Kopf verbarg, indes konnte einige zehn Minuten später der leere Teller wieder hinausgetragen werden. Ganz so untröstlich, zischte man sich in der Küche zu, war die Tante also offenbar doch nicht.

Hätten die anwesenden Tanten und Großtanten gewusst, dass nur unziemliche zehn Monate später ein anderer Herr ins Haus des Onkels einziehen würde, man würde sich gewünscht haben, Onkel P. hätte alle seine weltlichen Güter, statt nur den Weinkeller, den armen Kindern in Afrika vermacht, und auch die Tatsache, dass die gierigen Mitarbeiter der wohltätigen Organisation nicht nur die Flaschen selber, sondern auch die Kühlschränke und Weinregale als ihr Erbe deklarierte, hätte unter diesem Aspekt den Beifall der übrigen Verwandtschaft gefunden, die vor Entrüstung monatelang kein Wort mit der Abtrünnigen sprach. Als man sich allerdings wieder dazu bereit finden wollte, die unterbrochene Konversation fortzusetzen, war, wie es bisweilen zu gehen pflegt, die ehemalige Tante nicht mehr an der Fortsetzung der Verwandtschaft interessiert.

Mit der Erkenntnis, eine wahre Schlange am Busen der Familie genährt zu haben, zog die Sippe sich schwer gekränkt zurück.

Auch ganz gern zurückgezogen hätte man sich allgemein von der Tante T., so gern nämlich, dass jene Tante ohne das Attribut „die angeheiratete“, was eine leicht gequälte Distanz ausdrücken sollte, überhaupt nicht vorkam, denn jene Tante war nicht nur rechtsradikal und als junge Frau von Arno Breker in Metall gegossen worden, nein, die Tante, Mutter der 2. Frau meines Onkels A., war auf ihre alten Tage zur fanatischen Christin geworden und verängstigte mit eindringlichen Visionen vom Höllenfeuer besonders gern die minderjährigen Kinder ihrer angeheirateten Verwandtschaft. In ihren Erzählungen langten stets der Hölle blutige Klauen nach unfrommen Kindern. Das ewige Feuer der Verdammnis erfasste ihren Mitteilungen nach nicht nur Menschen, die die Ehe brachen oder Tiere quälten, nein, auch Kinder, die zwischen den Mahlzeiten Schokolade essen, mit ungewaschenen Händen zu Tisch erschienen oder vor den Klavierstunden nicht übten, fielen dem Teufel anheim, der sie an langen Spießen über dem offenen Feuer zu braten plante.

So kritisch die Tante T. gegenüber Kindern auftrat, so nachsichtig war sie gegenüber ihrem Hund. Diesem, einem fetten Vieh mit Hüftdyplasie und spärlichem Haarwuchs, war sie zärtlich zugetan, und als es ans Sterben ging, dauerte sie das weitere Schicksal des Hundes mehr als ihr Seelenheil oder gar das weltliche Wohlbefinden ihrer Tochter. Nicht nur Unterkunft und Ernährung des missgestalteten Tieres lagen ihr am Herzen, auch die Seele ihres Hundes wollte die angeheiratete Tante T. nicht sich selber überlassen, und so traf sie die Verfügung, dass ein ortsnaher Orden frommer Damen sich des Hundes insoweit annehmen sollte, dass gegen ein Vermächtnis in Geld täglich eine bestimmte Anzahl „Ave Maria“ zugunsten des Hundes zu beten sein sollten.

Dies indes lehnten die frommen Damen ab. Ob nun das Geld, wie es innerfamiliär hieß, schlicht zu knauserig bemessen war, oder ob tatsächlich Hinderungsgründe reigiöser Natur bestanden: Die Schwestern behaupteten, für einen seelenlosen Hund dürfe und könne man nicht beten.

Da die Tante T. diesem Verbot jahrelang zuwidergehandelt hatte, schmort sie nach einhelliger Überzeugung der ganzen Familie seit 1986 unrettbar in der Hölle.

Krönung und unbestrittener Höhepunkt der familiären Erbschaftsauseinandersetzungen stellt jedoch das Erbe meines Großvaters dar, der säuberlich handgeschrieben drei verschiedene undatierte Testamente hinterließ, natürlich sehr verschiedenen Inhalts, und die Familie in eine mehrjährige gerichtliche Auseinandersetzung stürzte, die derart viel Geld und Nerven verschlang, dass einige zartbesaitete Tanten und Onkel noch heute hilflos zu japsen beginnen, kommt die Rede einmal zufällig auf diesen Vorfall. Neben den hauptsächlichen, völlig unvereinbaren Anordnungen der Erbfolge setzte er an ungefähr die Hälfte seiner Enkel Vermächtnisse aus, und die überging die andere Hälfte mit der ganzen missbilligenden Kraft seines postmortalen Schweigens.

Nicht nur die Rechtsfolge, auch die Motivation seines Handelns blieb während der gesamten familienzerfetzenden Auseinandersetzung völlig unklar, und veranlasste das letztinstanzliche Gericht zur ratlosen Randbemerkung im Urteil, gerade bei einem rechtskundigen Erblasser sei dieses Verhalten letztlich rätselhaft und nicht bis ins Letzte aufzuklären. Einige – vorwiegend übergangene – Familienangehörige vermuten bis heute die reine Bosheit.

Inzwischen ist viel Wasser den Rhein und die Elbe, die Donau und die Spree hinabgeflossen. Lange ist niemand gestorben, und nur selten hört man von den Tanten und Onkeln, Nichten und Neffen, Cousins und Cousinen, die weit verstreut über die Lande ihrem Tagewerk nachgehen, sich verheiraten und scheiden, vermehren und Besitz anhäufen, emsig Testamente verfassend, ändernd und verwerfend, um, wie anzunehmen ist, jene liebgewonnene Gewohnheit der rauschenden Erbauseinandersetzung bei nächster sich bietender Gelegenheit mit unverändertem Feuer fortzusetzen.



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