Montag, 20. August 2007

Von außen

Was wohl die anderen Leute sehen?, frage ich mich und schaue die Frau auf dem Sitz gegenüber aus den Augenwinkeln an. Auf den anderen fünf Plätzen im Abteil sitzen meine Freunde, die C., der R. und seine Freundin I.. Der J. blättert in der Süddeutschen. Die C. zieht ab und an, wenn die Nachrichten sie befremden, die makellos gezupfte linke Augenbraue hoch.

Ob wir, überlege ich, so selbstverständlich und einfach nur da wirken, wie wir uns fühlen? In unseren grünen Jacken vom letzten Sommer. Den Jeans, die wieder enger geworden sind. Die Männer in ihren Hemden, wir in unseren Oberteilen, die am Bund gerafft sind und wieder länger als die ganzen letzten Jahre. Den müden, noch etwas verschlafenen Gesprächen. Die letzte Documenta. Die Jobs, die wir haben, in denen wir Geld hin- und herschieben, das uns nicht gehört, und das Spielgeld bleibt, schwarze Zahlen auf dem Rechner. Der von den vielen Jahren, der vielen Musik, von so vielen Büchern, unserer ganzen, von all den Nächten ermüdeten Erregbarkeit, und den kurzen Blicken auf den Rest der Welt, aus denen eine selten enttäuschte Erwartung spricht, das alles und noch viel mehr bereits gesehen, geschmeckt und besessen zu haben.

Ob wir sympathisch wirken, weiß ich nicht. Vielleicht ist die Drachenhaut in all den Jahren so fest geworden, dass man nicht mehr durchsieht, wenn man uns – oder Leute, die so sind wie wir – nicht seit vielen Jahren kennt, nicht mit uns groß geworden ist, und unsere stillen, verzagten Morgen nicht sehen kann, an denen die Kompliziertheit der Welt uns schier zu erdrücken scheint. Die Angst vor dem riesengroßen, entzündeten Himmel. Der plötzliche Drang, die Hand an eine rissige Hauswand zu pressen, um sich zu vergewissern, dass sie existiert, dass man sie anfassen kann. Dass die Welt noch genauso wirklich ist wie vor zehn Jahren, als man sie spüren könnte. Das Getriebene und das Treiben, an dem wir Anteil haben, wie man teilnimmt an etwas, das einem selbstverständlich ist, weil man aufgehört hat, die Welt noch in Zweifel zu ziehen. Weil man zu lächeln gelernt hat, wenn man die Dinge nicht ändern kann, und es irgendwann nicht mehr will.

Zufriedene Leute sieht man, gehen wir über die Straße. Ein bißchen satt, ein wenig zu glatt, wie das Abgehobelte eben glatter wird mit all den Jahren. Ob man uns mag, frage ich mich, und die Antwort, so weiß ich, ist allzu oft: Nein.

Und auch das wird egal, egaler, versinkt in der grauen Flut unserer Leben, über der die Möwen kreisen, wenn nicht der Sturm noch kommt, den ich nicht mehr erwarte.



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