So wird in wenig Jahren
Wir werden ja alle nicht jünger. Wenn ich morgens aufstehe, fühlt mein Rückgrat sich an, als stäke es quer im Fleisch. Meine Mutter hat sich die Füße operieren lassen müssen, was höchstwahrscheinlich (sie streitet das ab) mit dem jahrzehntelangen Tragen hochhackiger Schuhe zu tun hat. Der J. hat inzwischen ganz schön viele graue Haare, meinem Cousin L. fallen diese sogar aus, und manchmal, wenn sie müde sind, sieht man meinen Freundinnen an, wie es mal enden wird in zehn oder zwanzig Jahren. Für mich gilt das wahrscheinlich auch.
Grau werden will ich so schnell aber nicht. Vielleicht helfe ich ein bisschen nach für ein paar Jahre Aufschub. Falten werde ich bekommen, erst unter den Augen, dann wahrscheinlich an den Seiten. Dagegen mache ich nichts. Ein wenig fürchte ich mich vor der Furche zwischen Nase und Mund, die einen so grämlich macht, und vor dem Schwinden der Spannkraft der Haut. Es wird dann so sein, als habe man aus einem Ballon etwas Luft abgelassen, ein wenig beulig, nicht mehr ganz glatt, fleckig, und am Morgen werde ich die Kontaktlinsen erst in letzter Minute einsetzen, weil ich mich dann wohl noch weniger mag als jetzt.
Zu bösen Falten zwischen den Augen neige ich, glaube ich, nicht. Vielleicht hängen meine Lider dann noch etwas tiefer, so dass meine Augen sich verkleinern mit den Jahren. Bestimmt werden meine Lippen dünn. Unmerklich erst, dann auf einmal recht rasant, werden meine Hände sich verändern, ein Blattwerk von feinen Linien erst, dann dunkle Flecken, und am Ende werden sogar die Nägel dünn, als lohne es sich nicht mehr, nachzuwachsen.
Schlanker als jetzt werde ich wohl nicht mehr werden. Vielleicht verlagert sich das Fett noch ein bisschen. Wie andere Frauen auch werde ich einen Fettgürtel bekommen, an den Armen und Oberschenkeln wird die Haut dafür zu weit, und irgendwann werde ich auf der Bettkante sitzen und mit dem Zeigefinger die blauen Adern nachfahren, die sich durcharbeiten durch die Haut, bis sie sich wie die Flüsse auf alten Karten auf meinen Beinen schlängeln, das Knie mit dem Knöchel verbindend wie die Donau Budapest mit Passau.
Vorm Spiegel werde ich dann stehen, selten, vielleicht einmal im Jahr. Anschauen werde ich mich, und mich fremd fühlen. Erinnern werde ich mich an alles, was ich mal war, was ich hatte und was hätte sein können. Und bedauern, bedauern werde ich, was mir entgangen sein wird, für alle Zeiten, wirklich oder vermeintlich, und wissen werde ich, dass nur das Gelebte zählt, nur das warme, wirkliche Wirken und Werden, und alle Gegengründe keinen Bestand haben werden vor der Endgültigkeit der verflossenen Zeit.