Montag, 3. November 2008

Ich habe Uwe Tellkamps Eisvogel abgebrochen

... und werde den Turm gar nicht erst kaufen.

Hab’ ich mich gelangweilt. Gott, hab’ ich mich gelangweilt mit diesem Buch in Kreta am Strand. Und dann habe ich – das passiert eher selten – einfach aufgehört und das Buch weggelegt, obwohl ich nach der ersten Urlaubswoche nichts Ordentliches mehr zu lesen hatte, und das liegt, ich schwöre, den begeisterten auf dem Buchrücken abgedruckten Kritiken zum Trotz an wirklichen und ernsthaften Mängeln des Eisvogels, als etwa da wären:

Es mag sein, dass Tellkamp (wie der Klappentext es nahe legt) eine abstrakt interessante Geschichte erzählt. Tatsächlich fängt es gar nicht schlecht an: Einer wird getötet, der Tötende kommt ins Krankenhaus und erzählt – so der etwas konventionelle Einstieg – seinem Verteidiger, wie es zu Tötung und Spital gekommen ist. Da menschliche Grenzsituationen wie die der Tötung andere Leute meistens interessieren, hilft einem dieser Cliffhanger über die ersten zwanzig oder dreißig Seiten hinweg, dann aber sank mein Interesse, börsenkursgleich in diesen traurigen Tagen, deutlich ab, kroch gelegentlich noch um matte drei, vier Prozente in die Höhe, um dann endgültig auf der Nullinie zu verenden.

Die Ursache dieses Sinkflugs ist simpel: Alle dargestellten Figuren haben mich nicht für fünf Pfennig interessiert. Der Schwager beim Fernsehen (um bei den Nebenfiguren anzufangen) ist ein quotensüchtiger und vulgärer Depp. Der bankmanagende Vater ist eine Karikatur der bundesdeutschen Babyboomer, und die karrierebesessene Assistentin und Kurzzeitgeliebte des Krankenhauspatienten scheint direkt der „Jungen Karriere“ entsprungen zu sein, oder besser: der Vorstellung, die sehr, sehr weltfremde Leute von den Junge-Karriere-Lesern so haben. Soweit sich das beim kursorischen Durchblättern feststellen lässt, wird es beim künftigen Mordopfer, einer Art rechtsintellektuellem Sektengründer, und seiner Schwester keinesfalls besser. Das Verführerische, das beiden zugeschrieben wird, wird nur behauptet, aber nicht illustriert. Bei der Anhängerschaft des künftigen Toten wird es dann ganz grauenhaft.

Etwas leicht macht es sich Tellkamp mit diesem Personal, denke ich mir, denn so sicher es Menschen geben wird, die ungefähr so sind oder bei ein bisschen bösem Willen zumindest so wahrgenommen werden können, so wenig überzeugend sind diese Fratzen als Personal eines Romans: Für ein repräsentatives Portrait der bundesdeutschen Funktionseliten und ihrer dysfunktionalen Abkömmlinge sind die Nebenfiguren (wie das Setting, auch der Tonfall der handelnden Personen generell) zu schlecht getroffen, und als Protagonisten einer guten Geschichte wünscht man sich zum einen etwas weniger holzschnittartige Charaktere, und zum anderen habe ich den großartigen Plot nicht gefunden. Möglicherweise hätte er sich beim Weiterlesen noch aufgeblättert, aber wozu ein Autor den Leser sich eine halbe Stunde langweilen lässt – ich habe keine Ahnung.

Nun schadet Nebenfiguren – gerade wenn sie der Leser nur durch die sicherlich befangenen Augen der Hauptperson sieht – eine gewisse Chargenhaftigkeit oftmals nur wenig. Allerdings möchte ich mich zumindest für diejenige Figur interessieren, die im Vordergrund der Bühne herumstolziert, zumal, wenn wie hier, die Hauptperson ihre Geschichte erzählt. Nicht, dass ich mich in Herrn Wiggo Ritter geradezu verlieben möchte, um an seinem Tun und Treiben Anteil zu nehmen, aber langweilen soll jemand, dem man ein paar Stunden lang zuhören möchte, nun auch nicht. Daran allerdings hapert es ganz gewaltig. Herr Wiggo Ritter macht es einem nicht leicht, nein: er macht es mir annähernd unmöglich. Dies aber liegt an der Auswahl eines Typs Mensch als Helden, der sich – zumindest was mich betrifft – als Träger von Interesse, vielleicht gar Sympathie, schlecht eignet.

Es mag ja vielleicht verständlich sein, dass arbeitslose Philosophen wie der Herr Wiggo Ritter dazu neigen, logischer Intelligenz und einer gewissen Formalbildung einen möglicherweise etwas übertrieben hohen Wert zuzuschreiben, denn was dem einen sein Jaguar ist dem anderen sein Heidegger, jedoch ist die Pose, die subjektiv unterbewertete Intelligenz oft annimmt, nicht gerade angenehm, bestenfalls rührend lächerlich, und strengt mich meistens, so auch hier, nicht wenig an. Ich gehe Menschen, die sich ihrer Umgebung für überlegen und von dieser für ungerechterweise unterschätzt halten, gern aus dem Weg, denn es gibt wenig Gründe, Zeit mit verbitterten, selbstgerechten, arroganten Leuten zu verbringen, und es gibt wenig denkbare Motive, hiervon abzuweichen, wenn sie einem als Personal eines Romans begegnen. Ein denkbarer Grund immerhin wäre Humor, und sicherlich hätte ich weiter gelesen, gäbe es etwas zu Lachen. Daniel Kehlmanns ‚Kaminski und ich’ funktioniert ja etwa mit einem durchaus anders, aber nicht sympathischer gestrickten Helden, allerdings habe ich den Verdacht: Uwe Tellkamp findet sein Geschöpf gar nicht so arg daneben und beschreibt einen Mann, der dem Leser angenehm sein soll. Dies allerdings darf als gründlich misslungen gelten, und zudem leidet die Nachvollziehbarkeit der Handlung ernsthaft unter der nahezu läppischen Beschreibung der vom Mordopfer Mauritz vertretenen elitistischen, sehr der Gedankenwelt der konservativen Revolution verhafteten Ideen in einer fast unerträglich kitschigen Version.

Es war nicht auszuhalten. Ich wurde immer müder. Die Sonne schien, der geschätzte Gefährte schmatzte vergnügt über der Lektüre von Adam Soboczynskis amüsantem Buch über die Kunst der Verstellung, und erstaunt stellte ich fest, nicht mehr wissen zu wollen, wie es zu dem Tötungsakt der ersten Seite gekommen ist. Weder wollte ich wissen, warum Mauritz stirbt, noch wie es dem tötende Wiggo Ritter vor und nach diesem Vorfall erging, und da habe ich die Lektüre beendet.

Berliner, die das Buch haben wollen, können es haben. Und nein, sagen sie mir nicht, wie es ausgeht. Es ist mir egal.



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