So egal wie einfach alles.
Caravaggio, Staatsoper am 19.12.2009
Malakhov tanzt, aber das geht mich nichts an. Nicht gerade gelangweilt, aber allerhöchstens halbwegs interessiert statt mitgerissen sitze ich im ersten Rang und schaue dem Ensemble der Staatsoper zu, wie sie in einer Choreographie eines (mir unbekannten, aber der Rest der Welt scheint ihn zu kennen) Mauro Bigonzetti das Leben Michelangelo Caravaggios glatt und hübsch und leidenschaftslos heruntertanzt. Es sieht ganz nett aus: Recht gekonnt, soweit ich das beurteilen kann, und komplett asexuell.
Irgendwann nach der Pause fallen mir sogar kurz die Augen zu. Ich kann nicht einmal sagen, dass mir die Tänzer gefallen. Nun gut, ich verstehe nichts davon, aber keinem der sichtbar gut trainierten Menschen auf der Bühne nehme ich die Leidenschaft ab, die das Sujet verlang: Lebensgier und Brutalität, Radikalität, Lust am Vulgären, am betäubenden Übermaß. Hingabe und Hingegebensein, Schweiß, Sp*rma und Blut und die grellen Kontraste, die außerordentliche Berührbarkeit dieses fleischlichsten Malers des italienischen Barock: Man sieht nichts davon.
Kunstvoll verdrehen sich die Solisten um- und nebeneinander, führen vor, was sie können, und das ist nicht wenig, und obwohl sie kaum etwas anhaben, wirken sie so geschlossen wie dunkle, blinde Schaufenster in einer verwaisten Fußgängerzone am Sonntag. Dazu fiedelt ein wenig Monteverdi.
Ich gähne. Neben mir wippt ein junger Mann ungeduldig mit dem Fuß und schaut ab und zu auf die Uhr. Möglichst lautlos ziehe ich meine Lederschärpe wieder fest und schlage die Beine andersherum übereinander, um halbwegs bequem zu sitzen, und sehe mir die älteren Damen in der Reihe vor mir an, die sorgfältig onduliert gebannt auf die Bühne starren, und denen der Abend sichtlich gefällt, weil sie vielleicht von Fleisch und Blut und Leben nicht mehr erwarten als das.