Sonntag, 2. Januar 2011

Froh und munter (II)

Eine Hütte in den Bergen gehört ja auch den Dingen, die aus der Ferne immer besser aussehen, als wenn man denn da ist. Aus der Nähe betrachtet, ist es am 23. Dezember des vorvergangenen Jahres - so ist es mir über Freunde von Freunden zugetragen worden - nämlich schon eher kalt. Die Matratzen sind dünn und hängen in der Mitte durch, das Bettzeug ist klamm, von den (mir unbekannten) fünf Paaren, die zusammen Weihnachten feiern wollen, hängen zwei irgendwo zwischen ihren Büros in Berlin und dem Flughafen München, wo sie das dritte Paar - der T. und die J. - erwartet. Zwei Paare sind schon und schmücken den mitgebrachten Baum.

Als schließlich alle eingetroffen sind, soll es gemütlich werden. Man entzündet Kerzen. Im Kamin brennen Holzscheite, es riecht nach Harz. Zwei der Paare haben guten Wein mitgebracht, ein Paar - nennen wir sie den W. und die N. - bringt wie immer ganz, ganz schlechten Wein mit, irgendwas aus dem Supermarkt für unter € 5,--. Alle ihre Freunde, landet das Gesöff anlässlich von Geburtstagsfeiern oder so in ihren Haushalten, gießen die Mitbringsel dieses Paares maximal an Nudelsaucen. Der diesmal mitgebrachte Wein, ein australischer Cabernet Sauvignon von Plus, wird voraussichtlich bei der Abreise zurückgelassen werden. Statt des sauren Weines öffnet man also eine ordentliche Flasche. Es handelt sich - so hat man es mir berichtet - um einen der sehr, sehr guten Spätburgunder vom Heinemann in Scherzingen.

"Der ist aber gut.", lobt die N. den Wein, den der T. mitgebracht hat, und seufzt. Was der Wein denn gekostet habe, fragt sie, reißt die Augen auf, als sie den Preis hört und verstummt. Das gebe ihr W. für Wein nicht aus, sagt sie irgendwann und schaut den W. ein klein wenig vorwurfsvoll an. Die anderen Paare wechslen leichte Seitenblicke. Nun ist klar, wer für den sauren Wein verantwortlich ist, den der W. und die N. immer mitbringen. Der W. fühlt sich in die Ecke gedrängt.

Der W., muss man wissen, ist ohnehin kein originäres, sondern nur ein abgeleitetes Mitglied des Freundeskreises. Zuerst und noch im Studium war man mit der N. befreundet, später ist der W. aufgetaucht, und auch wenn der W. schon fast zehn Jahre dabei ist, ist man mit ihr nach wie vor etwas befreundeter als mit ihm. Möglicherweise ist das der Grund, weshalb der W. jetzt unwirsch wird. Für dermaßen teuren Wein, verkündet der W., habe er kein Geld. Schließlich würde die N. mit ihrer Drittelstelle an der Uni kaum etwas verdienen. Für alles, was von Miete über Versicherungen bis Reisen anfalle, komme er - Wirtschaftsprüfer mit irgendeiner ziemlich exotischen Spezialisierung - ganz allein auf. Mit einer Investmentbankerin, einer Senior Consultant, einer Richterin oder Rechtsanwältin an seiner Seite - der W. schaut eine der anwesenden Damen nach der anderen kurz an - könnte er auch mehr auf die Pauke hauen.

Leicht verlegen schaut jeder in sein Glas. Die N. aber ist tief gekränkt. Geld scheint ohnehin zu den Dingen zu gehören, über die sich dieses Paar etwas häufiger als andere streitet, und so steht die N. nach einer kurzen Schweigeminute auf, verlässt den Raum, schluchzt ein bißchen, ist weg und hinterlässt betretenes Schweigen. Deutlich gedämpfter als zuvor trinkt man weiter. Als aber die N. auch eine Flasche Wein später nicht wieder aufgetaucht ist, steht der T. auf. Er werde die N. zurückholen, verkündet er, schon leicht schwankenden Schrittes, und verschwindet gleichfalls. Statt aber mit der N. zurückzukommen, bleiben beide weg und zwar sehr lange.

Man will ja nicht klammern. Die J. und der T. diskutieren ohnehin in letzter Zeit ziemlich viel über Freiräume, die er braucht und sie nicht gewährt, wie er behauptet. Die J. schaut also nur so etwas verstohlen auf die Uhr und sieht den Zeiger wandern, wandern und wandern. 30 Minuten vergehen. Dann 45. Eine Stunden später reicht es der J. Vielleicht sei etwas passiert, murmelt sie, steht auf und begibt sich gleichfalls in das Schlafzimmer der N. und des W.

Eine Minute später wird es laut. Die J. brüllt lauter, als man es dieser an sich sehr aufrechten, freundlichen, hellblonden Dame - Richterin in einer Brandenburger Strafkammer - zugetraut hätte. Unwillkürlich zieht alles den Kopf ein. Nur der W. springt hastig auf und läuft dem Geschrei hinterher. Die drei anderen Paare bleiben sitzen. Man ist ja besser nicht dabei, wenn andere Paare ihre Beziehungen in kleine, schmerzhafte Splitter zerlegen.

Von "in flagranti", wird der T. später behaupten, könne an sich keine Rede sein. Die J. übertreibe maßlos, wie es ihrer exzessiven Eifersucht entspreche, und auch wenn er nicht jedes Fehlverhalten bestreiten könne, sei das, was geschehen sei, keinesfalls einen hysterischen Anfall wert. Erst recht sei es unangemessen, sich schnurstracks ins Auto zu setzen und bis Salzburg zu fahren, um dort bei einer Tante unterzukommen und am nächsten Tage dort auch das Weihnachtsfest zu begehen.

Ob dem W. eine so drastische Maßnahme unangemessen erscheint oder angesichts der ja bereits bezahlten Reise unwirtschaftlich - er jedenfalls bleibt. Allerdings schläft er auf dem Sofa und spricht mit dem T. kein Wort mehr. Mit der N. dagegen spricht er die ganze Zeit, mal lauter und mal leiser, mal über den T., mal über Geld, mal über die gegenseitigen enttäuschten Erwartungen. Nicht so besonders amüsant ist das für die anderen drei Paare, und so reist das eine Paar kurzerhand am nächsten Morgen ab.

Was das denn solle, gerät das abreisende Paar mit einem der anderen Paare in Streit. Bei Schwierigkeiten einfach zu verschwinden, statt das beste draus zu machen, das habe man gern, und so scheidet man auch hier nicht im allerbesten Frieden. Zudem kann man nur dann neben streitenden Freunden sitzen, wenn man sich gerade als Paar wirklich richtig, richtig, richtig gut versteht, andernfalls wird man sich irgendwann von den Schwaden der Zwietracht anstecken lassen und Partei ergreifen. "Die N. hat doch recht, dass ...". - "Ich finde es auch immer belastend, wenn du ...". Auf Raclette hat angesichts dieser Gesamtsituation irgendwie keiner so richtig Lust. In allen Ecken sitzen betrübte Damen neben ihren Freundinnen, es wird sich auf langen Spaziergängen mal so richtig Luft gemacht, und dass sich die N. und der W. inmitten dieses ganzen grünlichen Gezänks irgendwann in der Heiligen Nacht wieder vertragen, grenzt an ein Weihnachtswunder.

Der T. allerdings will sich nicht mehr vertragen. Mit der J. sei es ohnehin nichts Rechtes mehr, verkündet er jedem, der es hören will und jedem anderen auch. Nun ist es ja stets etwas peinlich, sehr intimen Angelegenheiten guter Freunde zu nahe zu kommen, erst recht, wenn man mit beiden Teilen einer Verbindung befreundet ist, und so dekretiert eins der anderen Paare am 25. Dezember irgendwann in den Morgenstunden, man wolle von diesen Dingen nichts mehr hören. Man sei mit der J. befreundet und wolle es auch bleiben, und sei - dies aber nur am Rande - überdies ohnehin von der Berechtigung ihres auf Verbindlichkeit angelegten Beziehungskonzepts gegenüber seinen Vorstellungen schon eher überzeugt. Der T. reagiert verschnupft.

In den nächsten Stunden wird man global. Als der T. abreist, ist die Versöhnung mit den anderen schon fast ausgeschlossen und wird entsprechend auch bis zum heutigen Tage nicht mehr stattfinden, die J. wird aus der gemeinamen Wohnung mit dem T. ausziehen, noch im Januar, und dass irgendeiner der Mitreisenden noch einmal eine solche Weihnacht plant, gilt zur Stunde als äußerst unwahrscheinlich, um nicht zu sagen: als ausgeschlossen.

Der W. und die N. aber, sagt man, wollen jetzt heiraten.



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