Freitag, 4. März 2005

Auch das noch

Den T. kann im Grunde unbegleitet wirklich nirgendwo hinlassen – gestern nacht ist es ihm irgendwie gelungen, in einem auch nicht mehr ganz angesagten Club ein Mädchen kennenzulernen und unverzüglich zu küssen, die schon heute in den Vormittagsstunden eine SMS schickte, und Interesse an einem Wiedersehen am Wochenende anmeldete. Unterzeichnet war die SMS tatsächlich mit „KÜSSCHEN UND RÖSCHEN“.

„Ist ja toll.“, sage ich und male Visionen der weiteren Kommunikation mit Küsschen und Röschen in die Luft. „Ich kann auch nichts dafür, wenn dich keiner küsst.“, antwortet der T. Ich widerstehe knapp der Versuchung, meine Teetasse an die Wand zu werfen, und steche selber zu, wo es wehtut.

„Was du dir vorstellst, hat dich gar nicht nötig.“, sagt der T. eine für alle Beteiligten äußerst verletzende Viertelstunde später und „Versuch´s doch mal mit ´ner Anzeige.“. Ohne Jacke und Schal werfe ich da T.´s Tür von außen zu, laufe im Pullover die Fehrbelliner Straße entlang und stehe schließlich schlüssellos vor meiner Haustür. Der Schlüssel ist in meiner Jackentasche, die Jacke hängt an T.´s Garderobe, und den T. dürfte in diesem Moment gerade der Satan holen, falls die Hölle meine Gebete erhört hat.

Frierend stehe ich vor dem Haus und klingele bei meiner Nachbarin. Die Nachbarin tröstet, schenkt Tee aus, schneidet mir ein Stück Kuchen auf und ruft schließlich beim T. an. T. ist nicht da.

„Ich versuch´s mal mit meiner EC-Karte.“, sagt die Nachbarin.

Als sie an der Tür herumbohrt, geht die Tür von innen auf. T. wirft mir den Schlüssel entgegen und geht an mir vorbei zum Aufzug. Auf halber Strecke dreht er sich um. „Entschuldigung.“, sagt er. „Schon ok.“, sage ich und rufe ihn nicht zurück.

Mein Leben als Nerd

Seit der völlig missglückten Installation, die bei der Castorf-Inszenierung von „Kokain“ die Bühne verunzierte, habe ich über den Künstler Jonathan Meese die denkbar schlechteste, am Rande der letztjährigen Art Forum eindrucksvoll bestätigte Meinung. Was ich von Bernd Eichinger halte, ist gleichfalls mit Worten gar nicht mehr auszudrücken, und andere Möglichkeiten, Daniel Barenboims bestimmt großartigen Parsifal in der Staatsoper aufzusuchen, sind gegenwärtig leider nicht ersichtlich.

„Ihr seid ein paar fürchterliche Bildungssnobs.“, kommentiert die C. meine Klagen und stochert in ihrer Portion übelriechendem Eiersalat. "„Eure Begeisterung für egal was sinkt exponentiell, je mehr andere Menschen irgendwas schätzen.“ „Das stimmt nicht.“, sage ich. Ich habe nichts gegen schwedische Krimis, blutrünstige Videospiele oder Radiomusik. Ich muss nur nicht daneben sitzen.

„Das Problem ist doch, dass es gegenwärtig einen Konsens der Populärkultur gibt, in dem man ohne weiteres zum Besten geben kann, Mireille Mathieu anzubeten oder webbasierten Fußballmeisterschaften verfallen zu sein. Tut man dann den Mund auf und sagt seine ehrliche Meinung über derartige Machenschaften, so unterfällt man auf der Stelle dem Generalverdacht, sich in arrogantester Art und Weise über andere Menschen erheben zu wollen.“, T. schnüffelt an seinem Kaffee. „Solche Leute kennt ihr doch überhaupt nicht.“, hält C. dagegen und schiebt sich eine Scheibe Wurst in den Mund. „T. hat schon recht,“, sage ich. „Aber vermutlich war das niemals anders.“ T. bestreitet. Die kulturelle Hegemonie des Trashes habe auf jeden Fall zugenommen. Der Müll sei nicht neu, aber die Bekenntnisfreude der Müllanhänger wachse mit jedem Tag an. Erklärt man etwa im Kollegenkreis, Robbie Williams zu verehren, so macht sich derjenige, der die Augen verdreht, vor aller Welt zum arroganten Trottel. Erklärt man aber über seiner Pizza eine tiefe Liebe zur Barocklyrik, so hebt ein infernalischer Chor an, der erklärt, gerne mal im Urlaub ein gutes Buch zu lesen, aber im Alltag einfach zu beschäftigt zu sein. Möchte man sich im Rahmen seiner Zwangsgemeinschaft komplett unmöglich machen, weist man auf den zeitlichen Einsatz hin, den dieselben Menschen ihrem Fernsehgerät widmen müssen, um das alles zu sehen, über das sie am Kaffeeautomaten Urteile abgeben.

„Manchmal kommt man sich vor wie die computerspielenden brilligen Kofferträger in der Mittelstufe.“, beklagt der T. sein Schicksal als Bildungs-Nerd. „Stellt euch nicht so an.“, lacht die C. „Euch geht´s doch blendend.“

Donnerstag, 3. März 2005

Portrait einer Bloggerin als jugendlicher Kotzbrocken

Hinter der Wohnungstür ist es kalt. Vor der offenen Balkontür hat sich eine kleine Lache auf den Dielen gebildet. Ich habe wohl vergessen, die Tür zu schließen, als ich aufgebrochen bin, und das ist nun viele, viele Stunden her. Die Decken sind hoch, und es wird dauern, bis der Raum wieder warm ist. Ich hülle mich in Skiwäsche und suche einen Pyjama, koche einen allerletzten Tee, und beziehe die beiden Decken zusätzlich, unter die ich sonst meine Gäste lege. Mit dem Tee in der Hand sitze ich unter dem Deckenberg und schaue Robert Byron zu, wie er Teheran verlässt, aber Teheran interessiert mich nicht heute nacht. Teheran werde ich am Morgen besuchen, wenn ich meinen Magen mit Fencheltee von den vielen Zigaretten zu kurieren versuchen werde.

Ich kann mich kaum erinnern, denke ich weiter auf der Spur des Gesprächs auf dem Weg die eisige Invalidenstraße hinauf. Wie es ist, 19 zu sein, habe ich vergessen. Das Mädchen von 1996 bin ich schon so verdammt lange nicht mehr, dass ich nicht weiß, ob sie mir ähnelt.

Auf den wenigen Photos aus diesem Jahr, und den noch wenigeren Bildern, die ich in Berlin habe, schaut sie schräg an der Kamera vorbei. Die Haare sind lang bis zwischen die Schulterblätter, die Brauen nicht gezupft, und das rot-schwarze Holzfällerhemd verdeckt den Körper, der schlank gewesen sein muss von dem vielen Sport. Dreimal die Woche Rudern und Hockey, und dabei heimlich die Grazien beneiden und sie unheimlich verhöhnen mit ihrem Ballett, schon seit Jahren auf Spitze. Einmal die Woche im Atelier einer Freundin meiner Mutter Ausdrucksmalerei. Den Bildern, die bis heute den Keller meines Vaters zieren, ist anzumerken, dass es da nicht viel auszudrücken gab. Die Schule schnurrte im Hintergrund, für´s Abitur auch nur einen Handschlag zu tun, wäre mit meiner ohnehin unterentwickelten Selbstachtung unvereinbar gewesen. Die im Nachhinein wohl altersadäquate Unsicherheit war garniert – auch dies wohl voll und ganz altersentsprechend - mit einer Arroganz, die vermutlich äußerst unangenehm aufgefallen wäre, hätte ich meine Meinung über den Lauf der Welt ausführlicher geäußert. Über die politischen Träume meines Vaters war ich ungefähr so erhaben wie die Königin von England über die Spice Girls und war überzeugt von der völligen Gleichgültigkeit der Beschaffenheit von Staat und Gesellschaft. Meine Banknachbarin J. (nicht die gleichnamige Berliner Freundin) wollte zum Theater, meine Doppelzweier-Partnerin M. träumte von Olympia, mein erster Freund wollte komponieren und der Zweite Leprakranke wieder schön operieren. Ich wollte gar nichts. Von der Wertlosigkeit meiner künstlerischen Versuche war ebenso überzeugt wie von der Unerheblichkeit meiner musikalischen Darbietungen oder sportlichen Leistungen. An dieser Wertlosigkeit litt ich nicht, ein pures, reines Faktum wie meine Augenfarbe oder der Verlauf der Autobahn.

Ich las wie eine Besengte mit ein paar Freunden um die Wette. Im Wettbewerb um den entlegensten Autor, das gesuchteste Bild, die auratischen Romane, von denen unser Deutschlehrer nur vage gehört hatte, habe ich selten gewonnen. Ich habe auch nicht gesucht. Meine Liebe gehörte der Frühromantik, Novalis war ich verfallen, die Expressionisten las ich rauf und runter. Die zumeist miserablen Gedichte der „Menschheitsdämmerung“ klingen bis heute in meinen Ohren, eine etwas peinliche Verirrung, die ich mit 25 abgestritten hätte. Walter Hasenclevers „Irrtum und Leidenschaft“ war entsprechend das erste Buch, dem ich durch die Antiquariate hinterherjagte, um es ein paar Wochen vor meinem Abitur zu erlegen.

Der expressionistische Überschwang tat mir alles in allem nicht besonders gut. Erwartete ich nichts von meiner beruflichen Zukunft, außer zu funktionieren, erwartete ich von der Liebe alles, romantischen Überschwang, Ekstase, kosmisches Weltgefühl und Verschmelzung. Hatte sich die Tür zum Paradies auf Erden wieder einmal nicht geöffnet, so reagierte ich enttäuscht, grausam, verächtlich gegenüber demjenigen, der schon wieder drei Wochen meiner Lebenszeit gestohlen hatte, die ich im Paradies verbringen wollte, um statt dessen auf den sehr farbigen Couches der Neunziger einen Frosch nach dem anderen zu küssen.

Hätte es Blogs gegeben, damals, hätte ich vielleicht ein fürchterlich verstiegenes, ziemlich ärgerliches Blog geführt. So gab es nur kleine Bücher unter Ausschluss der Öffentlichkeit, zumeist hübsch, leinen- oder ledergebunden, die mir mein Vater von Reisen mitbrachte. Eine Reihe dieser Bücher steht heute bei mir. Ich blättere durch die Seiten und bin nicht einmal mehr peinlich berührt, so fremd ist mir dieses Mädchen geworden. Aber auf den letzten Seiten, kurz vor Silvester 1996, stehen ein paar Sätze, die schon von mir sind, und nicht von jenem fremden Mädchen.

„Ich fürchte, daß das immer so weitergeht, bis ich sterbe. Daß die große Liebe nicht kommt, und alles immer dasselbe ist für immer und nichts passiert, das sich lohnt.“

Könnte ich mir zurufen, durch diese bald zehn Jahre, dass da nichts kommt außer den immergleichen Ersatzhandlungen, den künstlichen Aufregungen von Spielen in jenem Casino, in dem ich mein Geld verdiene, der Sinnlosigkeit einer sich immer schneller drehenden Welt, deren Alternativen mir ebenso wenig bedeuten wie ihr derzeitiges Sein – ich hätte wohl nicht....

Doch, natürlich. ...ich hätte genau dasselbe getan, hätte ich diesen Ruf aus der kalten Nacht im Berliner März 2005 gehört. Nicht als diejenige, die einen Apfelbaum pflanzt, was mir schon immer als Gipfel der Sinnlosigkeit erschienen ist. Sondern als diejenige, die der Sinnlosigkeit der Welt keine Alternativen entgegenzusetzen hat, und der ein heißer Tee, eine warme Wohnung und die Beschreibung des Wegs nach Teheran reichen.

Nachtrag:
Laut telephonischer Aussage meines Vaters ist das alles nicht wahr. Im Haupte dieses reizenden älteren Herrn führe ich ein Dasein als ein stets vergnügter Fratz, der besonders schön malen konnte.

Mittwoch, 2. März 2005

Vorfreude oder: Modeste geht einkaufen

Angeblich sind die Dänen, wie letztlich mal in der Zeitung stand, die glücklichsten Menschen der Welt, und das glaube ich seit einem Ausflug nach Kopenhagen letzten Sommer sogar ohne empirischen Nachweis. Die Dänen sind aber nicht nur sehr glücklich in ihrer mordsaufgeräumten Hauptstadt und anderswo, sie sind auch sehr gut angezogen, auf eine minimalistische und stilvolle Weise aktuell, und ihre Oberbekleidung können sie rechts und links in ihrer ja sowieso nicht besonders großen Hauptstadt kaufen. Man kann eine Menge Geld ausgeben in Kopenhagen.

„Schau,“, sagte ich damals zu meinem Begleiter und zupfte an samtenen Röcken und double-layered Organzaoberteilen herum, „die Dänen tragen die Mode der letzten Schauen tatsächlich.“ Der Begleiter zuckte die Achseln, sprach mir vom geliebten Berliner Dreck, sprach äußerst abfällig über die gesunde Schönheit der Däninnen und erinnerte sich sehnsüchtig der artifiziellen Lässigkeit der Kastanienallee.

Ich warf noch ein paar Sehnsuchtsblicke, der Begleiter murrte und schwor, aus Dänenhass nie wieder bei SØR zu kaufen, und mit fast nichts im Gepäck kehrte ich heim. An den anderen Tischen der Cafés von Berlin trugen die Menschen Camper an den Füßen, oder wildlederne Schuhe von adidas in gelb und grün, die Oberkörper pressten selbst reife Frauen um die dreißig in ausgewaschene T-Shirts mit unoriginellen Aufdrucken, und die ganze Welt bestand aus Baumwolle: Jeans, T-Shirts, Kleider, die wie lange Spaghettiträgertops aussehen mit den drei Streifen an der Seite.

Zehn Jahre. Und nun ist es wohl vorbei.

Ich will hier gar nicht von diesen Stiefeln sprechen, deren besonderes Verdienst es ist, auch schlanke Beine plump erscheinen zu lassen. Und auch nicht von der Tatsache, dass der Berliner Straßenbelag eigentlich keine Schuhe erlaubt, die nicht über eine sehr dicke, sehr massive Sohle verfügen, und keinesfalls Absatz haben dürfen. Ich trage deswegen gegenwärtig im wesentlichen immer die selben Schuhe – die derbsten, die ich habe. Aber die süßen Tussenschuhe, die Stiefelchen mit dem nach innen gebogenen Pfennigabsatz, die Sandaletten des nächsten Sommers mit koketten Seidenschleifchen seitlich am Riemchen – der nächste Sommer wird der Sommer der Diminutive.

Auch die T-Shirts in den Schaufenstern wirken auf einmal alt, nichts weiter als Souvenirs provinzieller Berlinbesucher, letzte Käufer der Logoshirt-Restposten. Die Stoffe schimmern wieder. Ein Etuikleid mit Pailletten? Ein knielanger Rock bei „parapluie“ in Pfeffer-und-Salz mit seidenen Applikationen? Ein gerafftes Oberteil mit Rüschen oder Puffärmeln, ein gepunktetes Cocktailkleid bei „Fame and Glory“?

Ach, wir werden schweben diesen Sommer, das Kellybag überm Arm, wer sich traut in dem verschatteteten Pastell des Rokoko. Wir werden schöner sein als die Däninnen in ihrer robusten Gesundheit. In diesen türkisfarbenen, seidenen Mary Janes am Hackeschen Markt mit den feinen Applikationen Ton in Ton werden wir über den zerbrochenen Beton, den Dreck, den lauten Stolz und die geborstenen Träume dieser Stadt steigen und noch einmal schön sein.

Dienstag, 1. März 2005

Cellulite

Einer der vielen Gründe, wieso mein Leben mit in an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überhaupt nie verfilmt werden wird, besteht in der Tatsache, dass meine Existenz ganz genau so jugendfrei ist wie Bambi oder Dokumentationen über Zahntechnik im 19. Jahrhundert. Sowas will keiner sehen und auch ichhabe selten Grund, diesen Zustand zu begrüßen. Meiner lieben Freundin J. jedoch verdanke ich erst in der letzten Nacht eine eingehende und unter die Haut gehende Erzählung über das, was passieren kann, wenn man versucht, diesen Zustand zu verändern.

„SCHLÄFST DU SCHON?“, brummt mein Telephon in den sehr frühen Morgenstunden, und wer den Ruf des Nebelhorns jemals vernommen hat, weiß, dass spätestens die Anfrage den erwünschten Zustand der Aktivität herstellen wird. Auf mein Lebenszeichen hin fährt wenig später J.´s Wagen krachend über den Gehsteig.

Vor so circa zwei Wochen, J. und ich feierten irgendwo in Mitte das deutsche Filmkunstschaffen, lernte die J. auf dem Weg zu den Waschräumen einen jungen Mann kennen. Man unterhielt sich, soweit möglich, der fünfundzwanzigjährige für meinen Geschmack etwas zu Berlin Style geschleckte Knabe offenbarte Profession (Regieassistenz) und Herkunft (Offenbach), man fand sich sympathisch, und verabredete sich wenige Tage später. Ob sodann die Drei-Tage-Regel eingehalten wurde, weiß ich nicht, jedenfalls fand ein weiteres Treffen gestern abend statt.

Ob die J. den Knaben mit ihrer Kochkunst bezaubern wollte, oder nur einen weiteren Zug durch die Clubs der Stadt in Ansehung des heutigen Arbeitstages für zu anstrengend erachtete – gegen acht Uhr am Abend erschien der Junge bei ihr, sie rührte, raspelte, deckte den Tisch mit Blumen und Kerzen, und man aß. Beim Wein auf dem Sofa kam man sich näher, ein Kuss auf die Ohren, ein Küsschen auf den Hals, ein zwangloser Wechsel des Standortes, und schließlich standen sich die Beteiligten unbekleidet gegenüber.

„Und dann?“, frage ich. „Was ist schiefgelaufen?“ J. starrt in ihre Teetasse. Während ich in ihrem Rücken nach weiterem Gebäck suche, fängt die J. erst ziemlich schrill an zu lachen, und fährt mit ihrem Bericht fort.

Der Knabe habe sie, so die J., umrundet, getätschelt, in einzelne Gliedmaßen gekniffen und sogar ein bißchen an den Haaren gezupft. In horizontaler Position angekommen, habe er mit der Hand über ihre Rückseite gestreichelt, nicht unangenehm, dann sei seine Hand jedoch auf Höhe ihrer Oberschenkel hängengeblieben, und er sprach die vernichtenden Worte: „Ganz schöne Krater hier.“

Die J. ist im Großen und Ganzen nicht unattraktiv, wie nicht wenige Frauen sind ihre Hüften und Oberschenkel aber leider deutlich dicker als alle entsprechenden Gliedmaßen, die die Vogue einer Abbildung für würdig befindet. „Modeste, ich habe mich gefühlt wie die Venus von Willendorf.“, die J. lacht immer noch in dieser alarmierend schrillen Tonlage.

„Ich dachte, Männer bemerken Cellulite gar nicht?“, sage ich, und schenke Tee nach. „Auch nur so eine gnädige Lüge.“, befindet J. Der Knabe habe, berichtet sie weiter, auf ihre Nachfrage, ob ihn das nachlassende Bindegewebe störe, entschuldigend geantwortet, wir hätten ja alle unsere kleinen Makel und Fehler. Während seiner schonungsvollen Ausführungen über innere Werte habe er allerdings fortgefahren, mit der Hand Bauch und Schenkel der J. zu inspizieren.

Schließlich, die Stimmung sei ohnehin zu Teufel gewesen, sei sie aufgestanden. Eine ganze Weile habe sie im Bad gesessen, geraucht, und als sie ins Schlafzimmer zurückgekommen sei, habe der Knabe auf ihrem Bett gelegen und in einer älteren „brand 1“ Ausgabe geblättert. „Das liest du?“, frage ich leicht verwundert. „Ich krieg´ die kostenlos.“, rechtfertigt sich J., und berichtet von dem erfolgreichen sanften Rauswurf.

In der Tür habe der Knabe ihr noch einen Kuss aufgedrückt und versichert, demnächst einmal anzurufen. „Dem hätte ich die Augen ausgekratzt.“, sage ich. „Davon findet der mich auch nicht schöner.“, antwortet die J.

Montag, 28. Februar 2005

Bereichert Euch

Manchmal, an besonders langweiligen und unergiebigen Tagen wie dem heutigen, male ich mir aus, wie schlechte Menschen versuchen, mit diesem Blog Geld zu verdienen, und zu diesem Zweck versuchen, aus den Inhalten samt Kommentaren die Zielgruppe und ihre Konsumwünsche zu destillieren. Klingeltöne sind den Lesern hoffentlich eher nicht so anzudrehen. Und ich esse zwar ganz gerne mal einen Happen – allerdings kaufe ich nur in äußerst mäßigem Umfange verarbeitete Lebensmittel. Gegen Werbung für Bamberger Hörnle oder schwarze Schokolade von Amadei, mit deren letzten Fatz ich gerade versuche, meine miese Laune zu kompensieren, hätte ich zwar nicht direkt etwas einzuwenden. Indes – mit derartiger Werbung wird man den Porsche eher weniger bezahlen können, das reicht wohl nicht einmal für die Leasingraten. Vielleicht doch Weightwatchers? Oder Singlebörsen? Nicht, dass ich plane, abzunehmen, oder im Internet auf die Pirsch zu gehen, wenn es schon draußen nicht hinhaut – aber vielleicht ist da ja der eine oder andere Leser, der dieses Blog gerade wegen des ausdauernden Lamento einer verwandten Seele schätzt und diesbezüglich empfänglich wäre?

Ob sich aus meiner kleinen Welt irgendwelche marktforscherischen Rückschlüsse ziehen lassen, möchte ich auch mal eher bezweifeln. Wie die Zielgruppe heißen soll, deren mitteilungsfreudige Exponentin ich mich nenne darf, wage ich mir gar nicht vorzustellen.

Aber auf den Versuch wäre ich gespannt.

A Life less ordinary

Mein kleiner Cousin ist deprimiert. In der großen Pause hat er das verehrte Fräulein gestellt, bis hinter die Turnhalle ist er ihr gefolgt, hat ihr dortselbst sein Herz ausgeschüttet und einen Korb kassiert, der wohl nur deswegen so umfänglich wirkt, weil es eben der erste ist. Immerhin, und dass hebe ich telephonisch hervor, hat sie nicht auf seine individuelle Untauglichkeit als Dauerbegleiter abgestellt. Sie wünsche sich einen Mann, keinen unreifen Jungen, hat die Verehrte meinem Cousin entgegen geschleudert, und ich kann für das Mädchen nur schwer hoffen, dass sie sich diesen Wunsch entweder schnellstens abschminkt, oder sich in ihrem späteren Leben an einen Ort begibt, der sich keinesfalls dort befindet, wo ich meine Zeit mit annähernd dreißigjährigen Kindsköpfen totschlage.

Er werde sich nie wieder verlieben, klagt der Kleine, und ich ertappe mich dabei, mit den drei mittleren Fingerkuppen der linken Hand abwechselnd ungeduldig auf den Schreibtisch zu klopfen, während ich dem Kleinen versichere, sich mindestens dreimal erneut zu verlieben, bevor das Jahr zur Neige geht.

„Wann hast du dich das letzte Mal verliebt?“, stößt der Kleine zu. Treffer, denke ich. Versenkt. Und dass man Minderjährige nicht unterschätzen sollte. Ich grabe tief in meinem Gedächtnis, um schließlich festzustellen, dass der Zeitpunkt des letzten tiefsitzenden und drei Wochen überdauernden brennenden Interesses an einem gegengeschlechtlichen Mitmensch schon eine Weile her ist.

„Ich führe ja auch nicht gerade ein exzeptionell empfehlenswertes Dasein.“, entgegne ich mit dem Versuch, meine persönlichen Angelegenheiten aus der Schusslinie zu bringen und erläutere in einer gewissen Breite, dass jeder, der sich mein Leben als Leitstern wählte, einen folgenschweren Fehler beginge. „So wie du, will ich nie werden.“, jammert der Kleine. Ich auch nicht, denke ich. „Na dann viel Spaß auf der Suche nach stilvollen Alternativen.“, sage ich noch. Und dass ich mich nächste Woche wieder melde.


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