Sonntag, 22. Juli 2012

Gemüsetage

Wissen Sie, ich existiere hier ja eigentlich vor mich hin wie Gemüse. Ich schlafe lange. Dann stille ich den F. und spiele ein bisschen mit ihm, bis er wieder einschläft. Meistens stehe ich dann irgendwann auf und gehe mit dem J. irgendwohin. Der F. hängt dann auf J.s Bauch und schaut sich um.

Heute beispielsweise sind wir nach dem Aufstehen - das war so circa gegen eins - mit dem 38L von der Divisadero zur Market Street gefahren, das ist Downtown zwischen den Hochhäusern der Banken. Heute ist Samstag, deswegen ist da nichts los. Wir sind die Market Street abwärts geschlendert, ich habe photographiert. Dann haben wir ungefähr zwei Stunden lang im Yank Sing gegessen, das ist so ein Dim Sum Lokal, wo ältere chinesische Kellnerinnen auf kleinen Teewagen vorwiegend Teigtaschen, aber auch andere Kleinigkeiten herumfahren. Man sagt der jeweiligen Kellnerin dann, was man haben will, und isst auf diese Weise viel zu viel. Es war aber köstlich.

Wenn wir essen gehen, sitzt der F. immer bei einem von uns auf dem Schoß. Meistens macht er das gutmütig mit. Nur dann, wenn das Essen sehr stark und sehr gut riecht, wird er wütend und versucht, mit den Händen nach dem Essen zu greifen. Zum Glück gelingt ihm das nie.

Nach dem Essen waren wir spazieren. Ich kann gar nicht sagen, wo wir eigentlich lang gelaufen sind. Wir waren im Fery Building, soweit ist die Sache klar. Wir haben Eis gegessen und auf den Pazifik geschaut und den anderen Leuten zgeschaut, wie sie Wochenende machen, und ich habe mir einen Hut gekauft, einen Herrenhut von Dobbs, und dann sind wir wieder nach Hause gefahren, es gab Salat und Sauerteigbrot mit Pastrami und Trüffelkäse. Ich habe gelesen. Ich habe mit dem F. das Klopfspiel gespielt, das darin besteht, dass er auf dem Schoß des J. sitzt, ich ihm gegenüber, und wir beide gleichzeitig mit der flachen Hand auf den Tisch klopfen. Das kann F. noch nicht lange.

Das war eigentlich alles. Wie gesagt: Wie Gemüse.

Samstag, 21. Juli 2012

Am Wasser

Und dann an den Klippen stehen. Tief unter uns rauscht der Pazifik klar und grün, und über den roten Klippen wiegt sich eine Zypresse im Wind. Es ist ganz still hier: Man hört nur die Wellen.

Alles Leben, denke ich, kommt aus dem Meer, und wenn Gott genug von uns hat, schickt er die Fluten, uns zu beenden. Aller Dinge Anfang und Ende ist nass, und so sitzen wir niemals näher am Grund aller Dinge als hier, am Meer. Am Rande des Highway 1, irgendwo zwischen Carmel und L.A.

Freitag, 13. Juli 2012

Nora taugt vielleicht nicht viel

"Was meinen Kritiker eigentlich mit Welthaltigkeit?", frage ich den J. bei Wonmi in der Fillmore Street und halte den F. so, dass er nicht an mein Essen kommt. "Keine Ahnung.", sagt der J. Wo ich das denn herhabe?

Aus der Literaturkritik, gebe ich zu und erzähle, dass ich mir gerade erst angehört habe, was die Jury zu den Klagenfurttexten gesagt habt, um zu destillieren, was eigentlich gute, also lesbare, zeitgemäße Literatur ausmacht. Ich sei, erläutere ich außerdem, nämlich eigentlich fertig mit meiner Nora, die nun acht Kapitel lang vergeblich versucht, sich einen Berliner Sommer lang zu amüsieren.

Gemessen an den Kriterien der Literaturkritik befürchte ich allerdings das Schlimmste. Nora macht nämlich keinerlei Persönlichkeitsentwicklung durch, sondern ist 33 und eigentlich soweit mit der Entwicklung fertig. Der Text weist auch nicht über das rein Private hinaus, denn was wäre privater als eine Frau, die durch die Stadt stolpert und von ein paar verunglückten Dates erzählt, und ich führe den Leser auch nicht aus der Komfortzone, wie es das mehrfach als Forderung an aktuelle Literatur gelesen habe. Auch das Große, Ganze findet bei mir schon deswegen nicht statt, weil ich keine Ahnung habe, was das ist.

Es spricht also nicht viel für die Qualität meiner Nora, gestehe ich dem J. ein wenig betrübt. Nora, fürchte ich, ist eine ziemlich triviale Gestalt, und außerdem ist Nora ziemlich kurz. Rund 100 Normseiten, das ist wirklich ziemlich wenig, und für einen echten Roman vielleicht zu kurz.

Gern wüsste ich, ob meine Nora trotz dieser Defizite etwas taugt, sage ich dem J. auf dem Heimweg, und der zuckt die Schultern. Seit er einen Romanbeginn verrissen hat und ich dann nicht weiterschreiben mochte, zeige ich ihm nämlich ziemlich ungern weitere Texte von mir. Es müsste ein Institut für sowas geben, wünsche ich mir eine Instanz herbei, der man Texte vorlegen kann, und die einem dann sagt, ob man Schrott produziert hat, oder ob sich das weiterarbeiten lohnt. "Gibt es vielleicht.", meint der J., da sind wir schon fast an der Divisadero. Kennen wir nur nicht.

Aber vielleicht kennt sie ja einer der Leser im Blog.

Sonntag, 8. Juli 2012

Erfolg

Beruflichen Erfolg finde ich richtig gut. Dafür bin ich dann auch bereit, notfalls auch einmal zu wenig zu schlafen, zumindest zeitweilig wochenlang bis nachts um elf am Schreibtisch zu sitzen und drei Geburtstage hintereinander mit Kollegen statt mit dem J. zu verbringen. Das ist okay, wenn im Gegenzug möglichst große, wilde Tiere durch brennende Reifen springen, wenn ich das will, und außerdem kann ich mit Geld nicht um und brauche deswegen ziemlich viel.

Wie bei den meisten Menschen hat mein Wunsch nach Erfolg und Geld aber eine klare Grenze nach oben. Ein Job muss mich zunächst einmal interessieren. Aber auch ein interessanter Job, der alles, was ich bin und kann, restlos auffräße, wäre mir zuviel. Einen Job, der mir weder Zeit für Freunde, noch Zeit für den J. und den F. ließe, der mir weder den Raum für dieses Blog noch für gutes Essen, Kino, Reisen und die Oper einräumen würde, möchte ich deswegen nicht haben. Man könnte also sagen: Erfolg ist mir so circa 50 - 55 Stunden die Woche wert. Mehr nicht. Für mich gilt also: Der richtige Job ist der mächtigste, angesehenste, interessanteste, bestbezahlte Job, der mit diesem Aufwand zu stemmen ist.

Für Anne Marie Slaughter scheint sogar noch etwas mehr zeitlicher Aufwand "richtig" gewesen zu sein. Der Job als Chefin des Planungsstabs im amerikanischen Außenministerium ging über das Budget an Zeit, die Slaughter der Erfolg wert war, aber offenbar deutlich hinaus. Als sie das anlässlich von Problemen, die einer ihrer Söhne in der Pubertät hatte, bemerkt hat, hat sie diesen Job verlassen und ist in ihren früheren Job als Professorin in Princeton zurückgekehrt. Nun scheint das Verhältnis wieder zu stimmen.

Mit der Frage, ob Slaughter eine Frau oder ein Mann ist, hat diese Geschichte aus meiner Sicht nun gar nichts zu tun. Die persönliche Obergrenze für den Aufwand, den ein Mensch für beruflichen Erfolg zu betreiben bereit ist, mag bei Männern traditionell etwas höher liegen, weil die meisten Männer noch immer weniger Zeit in Haushalt und Kindererziehung stecken als ihre Frau. Die Bereitschaft, viel zu arbeiten, ist aber auch bei Männern nicht unbegrenzt gegeben, und so wäre ebenso gut ein Mann vorstellbar, der mit dem selben Job eines Tages bemerkt, dass er zu wenig Zeit hat für Dinge, die ihm wichtig sind, und der deswegen kündigt.

Warum Slaughter ihre Kündigung trotzdem auf einen spezifischen Unterschied zwischen Männern und Frauen zurückführt, hat sich mir also nicht ganz erschlossen. Ihre Begründung, warum Frauen ihre Familie existentiell wichtiger sei als Männern (hier auf S. 3), erschöpft sich im rein Anekdotischen. Argumente, die die Allgemeingültigkeit dieser Einzelerfahrungen auf Frauen generell stützen, fehlen.

Bringt man diesen Teil des Aufsatzes also als unlogisch in Abzug, bleibt trotzdem Einiges übrig, was zu lesen sich lohnt. So ist die Forderung, Schul- und Berufsleben sollten zeitlich besser aufeinander abgestimmt werden, sicherlich richtig. Auch der Wunsch, Karrierewege mögen flexibler werden, wird sicherlich zu recht von vielen geteilt. Auch der Hinweis, dass die Epoche der Anwesenheitskultur gerade in den großen Law Firms offenbar mangels Nachfrage gerade zu Ende geht, ist interessant. Ich habe mich schon einige Male gefragt, ob das ein deutsches Phänomen darstellt oder eine weltweite Entwicklung.

Unschön an der ganzen Sache bleibt die Überschrift. Der Bezug auf Frauen, die "nicht alles haben können", suggeriert gerade denjenigen, die finden, dass Frauen auch nicht alles haben sollten, Bestätigung, und wenn es darum geht, ob ich oder irgendeine andere Frau befördert wird, werden wir noch etwas härter kämpfen müssen, um den mächtigsten, angesehensten, interessantesten, bestbezahlten Job zu bekommen, der zu uns passt, wenn diejenigen, die das entscheiden, glauben, einer Frau sei der Job ja im Grunde gar nicht so wichtig.

Freitag, 6. Juli 2012

Rätsel

"Warum sind die Leute hier alle so freundlich?", frage ich den J. auf dem Weg vom Exploratorium zum Bus 43 aus dem Marina District zur Masonic, und der J. zuckt die Schultern. Doch es ist auffällig: Weder er noch ich haben in Berlin jemals einen Penner getroffen, der sich auf der Straße bei uns entschuldigt hat, weil sein Einkaufswagen im Weg stand. Und wenn in Berlin jemand als Tourist erkennbar ist, begegnen ihm die Berliner normalerweise mit einer Mischung aus Eile, Ungeduld und einer Prise Verachtung für jeden, der nicht Berliner ist. Hier sprechen uns ständig Leute an und fragen, wo wir hin wollen, wenn wir irgendwo Stadtpläne lesen. Sogar die Busfahrer lächeln und geben freundlich und zutreffend Auskunft. Die Berliner Busfahrer sind dagegen dafür bekannt, gern ohne Halt an Wartenden vorbeizufahren oder plötzlich anzufahren, wenn Leute hilflos schwankend im Gang stehen.

Nun könnte man die Berliner Unfreundlichkeit auf das Wetter schieben. Aber die Berliner sind ja auch im Sommer grob. Oder auf die schlechte wirtschaftliche Lage. Aber die ist hier, glaube ich, auch nicht besser. Ein Freund von mir macht für die deutsche Muffigkeit seit jeher die Nazis verantwortlich. Er hat sich da so eine lange Erklärungskette ausgedacht, die ich nicht mehr vollständig parat habe, aber es hat irgendetwas mit Scham und Kompensation zu tun. Ich kann mir das nicht recht vorstellen; außerdem waren die Berliner wahrscheinlich schon immer so.

Vermutlich ist es anders: San Francisco ist perfekt. Also richtig perfekt. Nicht perfekt auf so eine Art und Weise, die einen dann auch wieder nervös macht, weil alles ein bißchen zu aufgeräumt ist und sofort jemand herangesprungen kommt, wenn irgendwo ein Blatt vom Baum fällt. Oder es fällt auf, dass man gar keine Penner sieht, und man ahnt irgendwann, dass die Perfektion einen Preis hat, den man lieber nicht zahlen will. Hier dagegen habe ich den Preis noch nicht gesehen.

Außerdem liegt San Francisco am Meer. Die Luft ist deswegen kühl und rein. Es ist sonnig. Irgendwo rauscht immer das Meer. Das Umland, sagt man, sei schön. Auch das Essen ist gut: Es gibt Fisch und Meeresfrüchte, Austern und Schnecken. Es überhaupt gibt sehr, sehr gutes Essen. Sauerteigbrot mit gesalzener Butter und Pastrami. Ordentliche Käsetheken. Ein dicker, säuerlicher Joghurt, duftendes Obst. Kobe Steaks, Falafel und Ceviche, Brioche mit Quittengelee, Pâtisserien voller Macarons und kleiner, delikater Törtchen.

In einem solchen Umfeld kann man auch ganz gut freundlich sein, mutmaße ich. Schließlich sind die Leute in Kopenhagen, wo es ähnlich perfekt aussieht, auch ganz schön nett. Auf der anderen Seite würde ich aber auch nicht darauf schwören, dass die Berliner, würden sie mit den Leuten hier mal die Stadt tauschen, nach ein paar Jahren ähnlich freundlich würden. Es muss also mehr als nur die Umstände sein. Es bleibt ein Rätsel:

Warum sind die Leute hier alle so freundlich?



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