Sonntag, 23. Dezember 2012

Hobbit

Irgendetwas stimmt nicht mit dem Auenland. Ich kann gar nicht sagen, woran es genau liegt, aber auf sonderbare Weise sieht das Heimatdorf von Bilbo Baggins deutlich unechter aus als in dem doch einige Jahre älteren Herrn der Ringe. Diese Verschlechterung der Optik zieht sich durch den gesamten Film. Bruchtal sieht inzwischen haargenau so aus wie die beleuchteten, elektrisch bewegten Bilder sehr, sehr blauer Wasserfälle, die man in türkischen oder vietnamesischen Trödelmärkten kaufen kann.

Vielleicht hätten wir uns doch für eine sehr, sehr große Leinwand am Potsdamer Platz oder so entscheiden sollen, schaue ich schon eher skeptisch einer sehr sichtbar dem Computer entsprungenen Schlacht zu, bei der das Zwergenreich Erebor gegen einen in der Tat sehr feurigen Drachen verliert. Möglicherweise sieht das in 3D besser aus.

Leider findet 3D in dem kleinen Filmtheater am Friedrichshain bei mir um die Ecke nicht statt. Überhaupt hat man sich aus obskuren Gründen entschlossen, diesen ausgesprochen gigantomanen Film ausgerechnet im kleinsten Kinosaal 3 zu zeigen, in dem sich die Zuschauer nun wie gepackt drängen. Ich nehme an, woanders wäre es weniger eng. So habe ich drei Stunden lang meinen Mantel auf den Füßen.

Als die drei Stunden vorbei sind, kann ich über den Film erstaunlich wenig sagen. Ja, es ist, soweit ich mich der mehr als zwei Jahrezehnte zurück liegenden Lektüre des Kleinen Hobbits erinnere, alles drin, was reingehört, und - soweit ich mich nicht täusche - auch noch Einiges mehr. Sieht man von der merkwürdigen Künstlichkeit der Bilder ab, so sieht der Film auch wirklich gut aus: Es ist Peter Jackson einwandfrei gelungen, jeden Effekt aus dem Buch im Film erstaunlich originalgetreu umzusetzen. Als beispielsweise mitten in der größten Not - der böse Ork hat den Zwergenkönig schon fast am Schlafittchen - Adler kommen, um die Zwerge samt Zauberer Gandalf und Hobbit einzusammeln, so sieht die Szenerie genau so aus, wie man sich das halt so vorstellt. Auch die unterirdischen Trollhöhlen sind gut getroffen. Den einen oder anderen Disney-Effekt hätte man sich sparen können, so habe ich singende Protagonisten schon seit Schneewittchen gehasst, aber nun singen die Zwerge halt schon bei Tolkien, und so lasse ich den Gesang eben über mich ergehen.

In der Summe bleibt gleichwohl fast so etwas wie Enttäuschung, als ich mit dem J. langsam nach Hause gehe. Vielleicht hat man sich selbst an sehr großartige Bilder schon zu schnell gewöhnt? Vielleicht ist die Story doch ein bißchen dünn, um gedrittelt einen Film in Überlänge zu tragen? Vielleicht fehlt es, wie der J. meint, an einer Identifikationsfigur, mit der man ein wenig mitfiebern könnte? Vielleicht liegt es aber auch an mir, die ich mich mit den Jahren immer schlechter auf etwas Anderes einlassen kann. seien es Menschen, seien es Bücher, sei es ein Film.

Dienstag, 18. Dezember 2012

Die Uhr tickt

Sehen Sie, es ist nicht direkt Geiz. Es ist mehr so eine Art abstrakter Ärger über die Vergeblichkeit, aber wenn ich schon für jede Stunde abendliche Abwesenheit ohne Baby 12 Euro zahlen muss, will ich mich wenigstens amüsieren.

Natürlich ist das ein blödsinniger Anspruch. Mein Gott, ich habe in den letzten Jahren unglaublich langweilige, sinn- und geschmacklose Abende verlebt, und dass auch noch nachdem ich aufgehört habe, auch noch zur Eröffnung des letzten Klamottenladens hinzulaufen. Was ich an öden Lesungen, miesen Vernissagen und leeren Parties erlebt habe, reicht für gleich mehrere Personen völlig aus.

Es hat ja auch niemand was davon, wenn ich bei jedem Abend mit Babysitter zu viel erwarte. Letzten Samstag beispielsweise, in der Volksbühne mit Kollegen vom J. Ich saß da also in Reihe 14 ganz links, vor mir schrien und geiferten die wie immer sehenswerten Schauspieler des Ensembles in dem dort ja üblichen Zustand höchster emotionaler Erregung, und ich habe vergeblich versucht, mir den Handlungsstrang halbwegs zu erschließen. Allein die simple Frage, wer in dieser Inszenierung Castorfs von Dostojevskijs "Wirtin" nun eigentlich wahnsinnig ist, war mir eigentlich zu viel.

"Was hat diese Ameise zu bedeuten?", wispere ich dem J. irgendwann zu und schaue Kathrin Angerer zu, wie sie betet, schreit, in einen Brunnen fällt, woanders wieder auftaucht und so weiter. "Weiß nicht.", antwortet der und vertieft sich wieder in die seltsam unkonzentrierte Inszenierung. Immerhin das Bühnenbild ist schön: Eine lange, dunkle Hütte vor einer schneeweßen, feindlichen Bühne.

Zwei Stunden später in der bar3 gewinnt der Abend wieder ganz erheblich. Ich trinke sehr schnell zwei Glas Grünen Veltliner auf Eis, denke über Haare, Gesichter, Kleider und Taschen nach, spreche über Suhrkamp und Rainald Goetz, stolpere mit dem J. durch den wärmeren Abend und lächele mich selbst aus, als ich im Bett liegend den Abend bilanziere.

Es ist nicht Geiz, sage ich mir. Es nimmt nur den Nächten das Leichte, Fließende, bei dem es nicht darauf ankommt, ob es elf Uhr abends ist oder morgens um vier. Ich werde mich dran gewöhnen, sage ich mir dann, und mache Pläne für die nächste Woche und schärfe mir ein, so zu planen, als sei ich allein.

Montag, 17. Dezember 2012

Ach, ach. Federpuschel

"Halt!"; rufe ich direkt nach dem Eingang und bleibe stehen. Hinter mir ziehen fremde Frauen mit Einkaufstaschen scharf die Luft ein und weichen taumelnd aus. Ich wende mich nach rechts. Da hängen sie: Grobgestrickte Wollmützen in bunten Farben mit einem großen Federpuschel in der Mitte.

"Haben, haben!", singe ich und setze mir begeistert eine Mütze nach der anderen auf den Kopf. Mein Favorit ist rot mit einem lila Puschel.

Peinlich berührt steht der J. ein paar Meter von mir entfernt zwischen Tüchern und Taschen. Es ist voll im Lafayette, sehr voll sogar, und der J. sucht sichtbar nach den richtigen Worten im Umgang mit den Mützen, die mir irgendwie schöner zu sein scheinen als ihm.

"Findest du 199 teuer?", frage ich ihn und setze eine safranfarbene Mütze mit einem grünem Puschel auf und bewundere mich im Spiegel. Okay, man könnte schlanker, gepfleger und besser frisiert sein. Die Mütze aber sitzt.

"199!", ächzt der J. und nimmt erkennbar Anlauf zu den richtigen Worten. Ihm ist klar, ein falsches Wort kann die Statik dieses Nachmittags zum Einsturz bringen. Ich habe nicht sonderlich viel gegessen, außerem ist es uns beiden zu voll hier, aber dann traut er sich doch. Betroffen schaue ich ihn an. Einen Moment stehe ich leicht begossen und ziemlich traurig vor dem Spiegel.

Dann fällt es mir auch auf. Ich bin tatsächlich 37. Ich bin nicht 15. Die Zeit der bunten Mützen ist vorbei und kehrt nimmermehr wieder.

Donnerstag, 6. Dezember 2012

Die drei Phasen der Erkältung

Phase 1 - Sibirien

Phase 1 geht unspektakulär los: Eine Frau sitzt an einem Schreibtisch.

In dem Raum, in dem die Frau sitzt, ist es bullig warm. Auf dem Tisch schwitzt eine Orchidee. Ein Dutzend Akten auf und unter dem Besprechungstisch japst nach Luft. Manche Büroklammern haben Ausreiseanträge nach Grönland gestellt. Die Frau aber friert: Trotz der tropischen Temperaturen trägt sie einen wolligen Shawl. In den Händen hält sie eine dampfende Tasse Pfefferminztee. Aus den grobgestrickten Ärmeln ihrer Jacke ragt ein halber Zentimeter Gänsehaut.

Abends legt sich die Frau in die Wanne und dreht das heiße Wasser auf. Langsam hört sie auf zu zittern. Die Frau ist rot wie ein Hummer, im Badezimmer rinnen dicke Trocken Kondenswasser die Wände herab, aber der Frau ist immer noch ein bißchen kalt. Im Schlafzimmer friert sie erst recht. Das Thermometer zeigt 37,8° C. Heute schläft die Frau in einem Jogginganzug, und nachts steht sie irgendwann auf und holt sich ein Extrapaar Socken.

Phase 2 - Kunstharz

Am nächsten Morgen ist die Frau aus Sibirien wieder zurück. Allerdings machen lange Reisen müde. Die Frau ist schwach und ganz zitterig auf den Beinen. Ihre Haut ist ausgesprochen berührungsempfindlich. Ihr Kreislauf findet heute nur bis zur Höhe der Knöchel statt. "Du willst doch nicht etwa ins Büro?", hört sie eine dünne, leise Stimme sehr weit weg. Sie dreht sich um. Direkt vor ihr steht der J. und schickt sie wieder ins Bett. Folgsam legt sie sich wieder hin und schläft sofort ein.

Als sie wieder aufwacht, sind sechs Stunden vergangen. Nach wie vor ist die Welt sonderbar geräuschlos. Sie riecht auch nach nichts. Außerdem ist der Kopf der Frau so schwer, wie an anderen Tagen ein ganzes Bein. Das alles ist sehr irritierend für die Frau, die immer noch den Jogginganzug von gestern trägt. Erst nach einem weiteren Schläfchen kommt sie auf die schlichte Wahrheit: Ihr Kopf ist über Nacht ausgegossen worden. Ausgegossen mit Kunstharz.

Phase 3 - Panta Rhei


Am Tag darauf hat es geschneit. Es sieht schön aus draußen. Die Frau will durch den wirbelnden Schnee zur Arbeit gehen, und nur die besorgten Blicke des J. halten sie davon ab. Sie bestellt sie statt dessen ein Taxi.

Im Taxi dann öffnen sich die Quellen des lebensspendenden Nils. Auf den sieben Euro bis ins Büro verbrauche ich zwei eigene Taschentücher und drei Kleenex aus einer Dose, die der Taxifahrer hilfreich reicht, weil er Angst hat, die Ausscheidungen aus der Nase der Frau könnten ihn ansonsten ertränken oder zumindest seine Ledersitze untragbar verunreinigen.

Den ganzen Tag über verbraucht die Frau mehrere Kilo Tissue. Sie trinkt vier Kannen Tee, isst dafür endlich einmal wie ein Spatz (okay: wie ein sehr großer Spatz), und schleppt sich abends müde und schniefend die 20 Minuten zu Fuß nach Hause.

Wenn keiner hinschaut, zieht sie die Nase hoch, um nicht alle zwanzig Minuten ein neues Taschentuchpäckchen aus der Kammer holen zu müssen. Heute nacht wird sie vermutlich das Kopfkissen mit einem Plastikbezug schützen. Ab und zu geht sie ins Bad und schaut in den Spiegel. Sie sieht es ganz deutlich: Rudolph the red-nosed reindeer ist keine Fama.

Heute nacht schläft die Frau vemrutlich wieder allein. Der J. verzieht sich in die hinterletzten Winkel der Wohnung. Der F. wird vermutlich im Laufe der Nacht auf dem Bauch hinter ihm her robben, um ungestört schlafen zu können. Nur die Frau, die Frau selbst liegt mit offenem Mund auf dem Rücken und japst im Shlaf nach Luft, umgeben von einer grünklich schillernden Wolke fröhlich tanzender Viren.

Sonntag, 2. Dezember 2012

Nach dem Kino

Dann aber endet der Film, und wir drängen erst aus dem Saal und dann nach unten. Voll ist es auf der Schönhauser Allee, denn vor Weihnachten ist die Stadt noch voller als sonst, zum Platzen voll sozusagen, denn sobald der erste Advent naht, versammeln sich auch die Bewohner entlegender Stadtteile, Brandenburger sogar, auch viele, viele Touristen in den Geschäften der Innenstadt, auf ihren Straßen und vor allem auf ihren Weihnachtsmärkten. Da ist es dann ganz, ganz voll.

Der J. und ich trinken noch einen Glögg. Das machen wir jedes Jahr, auch wenn ich den eigentlich gar nicht so gern mag, und dann erzählen wir uns die besten Szenen des Films noch einmal. Die Kaffeeszene, sage ich. Der Nazifilm, sagt der J., und dann fragen wir uns, ob eigentlich auch Leute außerhalb von Berlin den Film mögen. "Nichtstun ist doch auch anderswo eine Lebensform.", gebe ich zu bedenken. "In Berlin hat Nichtstun aber schon eine sehr spezielle Ausprägung gefunden.", weiß der J., und dann laufen wir sehr vergnügt heim.

Das alles liegt hinter uns, versichern wir uns, und hören uns ein wenig ungläubig zu, wie wir das sagen. Wir waren sehr lange jung, wissen wir. Selbst als wir schon lange richtig gearbeitet haben, also so richtig mit Verantwortung und richtigem Geld und Sekretärinnen und so, waren wir noch jung oder haben zumindest so gelebt. Diese langen Nächte am Landwehrkanal mit dem Saum von Licht weit im Osten. All der Beton, der fremde Schweiß und die Bässe, die bröckelnden Mauern von Mitte. All die Sonne, das Bier und Grillen schon morgens am Falkplatz und mit uns die Ewigkeit, weil nichts drängte, damals, und nur Wunden schmerzten, die nicht verschwinden, wenn man irgendwas macht.

Das ist alles vorbei, schärfen wir uns ein, und wir lachen. Ein letztes Bier holen wir uns noch auf dem Heimweg, verabschieden die K., die auf dem Sofa schlechte Romane liest und lesen, bis die Augen zufallen, und nehmen im Schlaf nochmal einen schmerzlosen Abschied. Es war schön. Es hat mich meistens gefreut.



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