Mittwoch, 20. März 2013

Erkältet

"Nee.", sage ich. Ich hab' mich nicht in Luft aufgelöst, nur weil ich nichts schreibe, keinen anrufe und nirgendwo auftauche. Ich bin einfach nur erkältet, und zwar so richtig erkältet, so, dass man mit Anstand eigentlich nirgendwo hingehen kann, also so brechhustenerkältet, so reibeisenheisererkältet, so erkältet, dass ich mir einen erkältungsfreien Zustand schon gar nicht mehr vorstellen kann.

Gelegentlich lehne ich mich gegen die Erkältung auf. Dann fahre ich ein Wochenende an die Ostsee. Oder ich koche einen Riesentopf Hühnersuppe mit Eierstich, Zitronenschale, Grießklößchen und haufenweise Gemüse. Oder ich bleibe mal einen Sonntag im Bett. Leider nützt das alles nichts. Ich huste einfach weiter, ich huste mir die Seele aus dem Leib, und wenn es nicht endlich Sommer wird, dann, ja dann: Dann weiß ich auch nicht mehr weiter. Vielleicht wandere ich dann einfach aus.

Dienstag, 12. März 2013

Schneeköniging

Irgendwann morgens um vier aber wache ich auf und kann nicht mehr schlafen. Ein dicker Brocken lag in meinem Traum herum, grau, grob und zerklüftet, an dem hab' mir die Füße wund gestoßen und bin aufgewacht dabei, und nun liege ich in meinem Bett, das heute nacht nicht mein Bett ist, sondern ein Hotelbett, weiß bezogen und so breit, wie ich es zu Hause auch gern hätte und nicht hab'. Gedämpft durch Fenster und Vorhänge rauscht draußen die Ostsee.

Neben mir liegt mein Kind, der F., schläft und verzieht das Gesicht, als wüsste er, dass nicht alles Grün und Gold ist hinter den Fensterscheiben, und klammert sich noch etwas fester an meinen Arm, weil die Schneekönigin zurückgekehrt ist, diese Nacht, und lauert eiskalt im Schatten der Mauern, im dichten Geäst, und dort, wo die Gischt sich bricht und es weiß wird im nächtlichen Wasser.

Schlaf weiter, mein Prinz, flüstere ich dem F. ins Ohr und streiche ihm sanft die Wangen. Morgen wird ein schönerer Tag als heute, und heute ist es besser als gestern. Übermorgen weht es die Schneekönigin fort, heim hinters Meer, und unter dem Eis blühen heimlich schon Märzbecher und Narzissen, der Goldregen streckt seine Arme aus, die Kirschen greifen nach den Wölkchen und der Sommer packt seinen Rucksack ein, voll Eis am Stiel und beschlagenen Gläsern im Prater, voll Fledermäusen und Schwalben, voll rauchender Grills im Volkspark, Geräuschen von Flip-Flops, Radfahren im Rock, Bikinis, Schwimmen im See und reich an Früchten und Blüten.

Sonntag, 3. März 2013

Vorbei

Wir sahen alle schon mal besser aus, schaue ich in Gedanken noch einmal in die Runde von gestern. Diese glatte Marzipanhaut hat niemand mehr am Tisch. So langsam verändern sich auch die Haare, und auch unter der Haut tut sich etwas. Nasen werden knolliger, Augen kleiner, die Haut sitzt nicht mehr so straff auf den Knochen, und nackt würde sich wohl niemand mehr gern jemandem zeigen, der einen nicht schon kennt.

Ab jetzt geht es nur noch abwärts, sinkt mir ein bißchen das Herz. Ich war ja nie schön, vielleicht so gerade eben und an guten Tagen ein nettes Mädchen eben, aber selbst dies zu verlieren, nicht mehr gesehen zu werden, einfach nur noch so da, totes Fleisch, das wird mich doch nicht wenig schmerzen

Du wärst gern schön gewesen, seufze ich mir zu, aber dann stehe ich doch auf, koche mir Kaffee, streichle den F. wach und hole ihn aus seinem Bett, und schaue nur noch flüchtig in dem Spiegel im Flur. Vorbei ist vorbei.

Sonntag, 24. Februar 2013

Sturmtruppen der Reaktion

Im gesamten ersten Lebensjahr hatte der F. nichts. Also so gar nichts. Noch nicht einmal einen Schnupfen, Durchfall oder Koliken oder so. Wir verließen das Krankenhaus vielmehr nach ein paar Tagen mit einem selig schlummernden F. und hatten fortan nur noch anlässlich der vorgeschriebenen Vorsorgeuntersuchungen mit dem Gesundheitswesen zu tun. Da erschienen der J. oder ich dann also jeweils mit unserem Sohn auf dem Arm beim Arzt, ließen uns bestätigen, dass mit jenem alles stimmt, und dann gingen wir wieder nach Hause.

Mit der Kita änderte sich das auf einen Schlag. Anfang Januar brachten wir den F. in diese an sich segensreiche Gruppeneinrichtung. Zwei Wochen später war er eingewöhnt, hatte sich also damit abgefunden, fortan seine Tage mit den Kindergartentanten und den anderen Kleinkindern der Gruppe zu verbringen, und nach circa zehn weiteren Tagen fing er an zu schniefen. Seitdem ist eigentlich immer irgendwas. Derzeit hustet der F. dermaßen gottserbärmlich, dass ich ernsthaft überlege, künftig mit Ohropax zu schlafen. Außerdem laufen ihm pro Stunde mehrere Deziliter Sekret aus der Nase. Die Bindehautentzündung von letzter Woche ist zum Glück gerade wieder weg.

Nun könnte man das alles unter "Abhärtung" verbuchen. Der Mensch ist vielleicht einfach so gestrickt, dass er das Stahlbad der Infektionskatjuschas als Kleinkind erst einmal braucht, um dann um so gestärkter den Herausforderungen des Lebens entgegentreten zu können. Was aber unter dieser Prämisse keinen wirklichen Sinn ergibt: Der J. und ich schniefen auch. Wir husten alle beide den ganzen Tag wie alte Hunde. Der J. hatte sogar letzte Woche richtig Fieber und Schüttelfrost. Dabei brauchen wir doch gar keine Abhärtung mehr. Wir sind nämlich alle beide den normalen Keimen eines Berliner Alltags durchaus gewachsen, wie die letzten Jahrzehnte zeigen, die wir ja auch irgendwie überlebt haben.

Hier sitzen wir nun also leicht geschwächt auf dem Sofa und rätseln über den evolutionären Sinn dieser Dauererkältung. Handelt es sich - so mutmaßen wir - vielleicht um eine Maßnahme, mit der ER, der große Beweger, verhindern will, dass Schwächlinge mit einem degenerierten Immunsystem ihr erstes Kind überleben und gar weitere Kinder zeugen, die dann auch alle so eine schlechte Immunabwehr haben wie ihre Eltern? Oder benötigt der Körper eine Auffrischung des als Kleinkind erworbenen Immunschutzes alle paar Jahrzehnte, und weil wir bis gegen Ende unseres vierten Lebensjahrzehnts mit dem Kinderkriegen gewartet haben, fällt diese Reimmuniesierung jetzt einfach mal ganz besonders heftig aus? Oder handelt es sich schlicht um ein Komplott, eine Verschwörung, eine biologische Bombe, mit der interessierte Kreise Eltern subtil bestrafen wollen, die ihre Kinder nicht mindestens bis zur Einschulung zu Hause behalten, eine Art Komplementärmaßnahme zum Betreuungsgeld also, die einerseits unsereinen dazu bringen soll, den F. aus der Kita zu nehmen, andererseits andere Leute, die uns kennen, abschrecken soll, eine Fremdbetreuung in Anspruch zu nehmen?

Mehr und mehr leuchtet mir die letztgenannte Alternative ein, und so bleibt mir nur noch zu fragen: Wer genau war der Übeltäter, und wie legt man jenem das Handwerk?

Sonntag, 10. Februar 2013

Samstagnacht

Der Taxifahrer ist muffig. Schweigend fährt er uns von der Greifswalder Straße nach Mitte, und als wir Ecke Chaussestraße aussteigen, bin ich fast froh, nicht mehr in der Enttäuschung zu sitzen, dass der ältere Mann für zehn Euro zu uns gekommen ist, und strecke meine Glieder. Dick, weiß und fröhlich wirbelt der Schnee über die Torstraße und glitzert im Licht der Laternen.

Im Toca Rouge sitzen wir direkt an der Tür. Kalt ist es ab und zu, und voll, richtig voll, wie die ganze Stadt voll ist am ersten Berlinale Wochenende, und ich erzähle dem J. von dem russischen Wettbewerbsfilm, den ich am Nachmittag gesehen habe, und von der Hauptdarstellerin, die so russisch aussah wie die Mädchen, die nachts in der bar tausend tanzen.

"Ich will in den Pauly Saal!", ziehe ich den J. nach dem Essen in die Auguststraße, und da stehen wir dann, unsere Drinks in der Hand. "Keine schönen Menschen, heute.", meint der J., und kurz überlege ich, ob wir noch in die King Size Bar müssen oder doch noch ins Grosz, schaue zu, wie das Licht sich im geschliffenen Glas der Tumbler bricht, erzähle irgendwas und lasse mir erzählen und freue mich auf den griechischen Film am Sonntag, den Abend mit der lustigen T. nächsten Donnerstag, das Essen im Grill Royal am letzten Berlinale Abend und stelle mir vor, wie wir aussehen, wenn man uns nicht kennt, von den Sofas, von der Bar und einfach so auf der Straße.



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