Montag, 4. Februar 2013

Woanders. Nicht hier.

Gelangweilt in Dierckes Schulatlas herumzublättern, während vorn an der Tafel Herr F. monoton etwas über Landwirtschaft in der UdSSR schwadroniert. In Russland, höre ich, hungern die Leute, aber die Karten sind so bunt, so bunt, erzählen von Erzvorkommen und Bergen, Meeren, und wenn man nicht ganz genau hinsieht, kann man Scheiche sehe und Oasen, singende Frauen mit Krügen auf dem Kopf und melancholische, alte Indianer.

Wie schön das klang: Odessa. Luxor. Ätna, Bergamo. Eriwan und Dehli. So viele Geschichten staken in den kleinen, runden Punkten. Keine der Geschichten aber kannte der Herr F., und die Karten selbst hatten noch nichts zu erzählen, damals, als es das Internet noch gar nicht gab, irgendwann so ungefähr 1985.

Inzwischen ist das anders, denn zu den großartigen Dingen, die das Internet kann, gehört, dass man das machen kann: Die Frau Kitty hat eine Riesekarte eingerichtet voller Geschichten. Ich bin begeistert, befülle (gerade habe ich 2006 durchforscht und hochgeladen) und bewerbe: Hier ist es. Machen Sie mit.

Sonntag, 3. Februar 2013

So gern geraucht

Die letzte Zigarette ... warten Sie: Es muss im Sommer 2011 gewesen sein. Ich saß auf dem Helmholtzplatz, vor dem Vin Pearl, wo man wirklich ganz gut essen kann, und trank irgendwas mit Hibiskus und Wodka. Mir gegenüber saß der U. und sprach mehrere Stunden über seinen Beruf.

Es war schon ziemlich spät. Der Himmel hing schwer, warm und feucht in die Bäume. Die Erde dampfte. An den anderen Tischen saßen ein paar Paare, zwei Mädchen zeigten sich gegenseitig Bilder auf ihren Handys, und ich dachte darüber nach, was eigentlich aus den Bettlern geworden ist, die früher immer hier waren und dann irgendwann nicht mehr.

Irgendwann brach ich auf. Der U. sprach immer noch, als ich aufstand, er sprach, als ich mein Rad aufschloss, und als er 50 Euro auf den Tisch warf, sprach er gleichfalls einfach weiter.

"Hast du noch eine Zigarette für mich?", unterbrach ich ihn, und er nickte. Der U. rauchte eigentlich nicht, nur ab und zu und sozusagen inoffiziell, und dass er trotzdem immer Zigaretten dabei hatte, lag vermutlich an seiner Abneigung daran, irgendwelche Leute um etwas zu bitten. Mir kam das entgegen. Ich rauchte schon damals eigentlich auch nicht mehr.

Ich glaube, er war schon wieder bei seinem Job, als er in seiner Tasche nach einem zerknüllten Päckchen P&S suchte, eine einzelne Zigarette aus dem zerknautschten Papier fingerte, sie sich zwischen die Lippen steckte, anzündete und ein-, zweimal langsam zog. Für vielleicht zehn Sekunden war es still. "Danke.", sagte ich, drehte mich weg und schob mein Rad langsam die Dunckerstraße abwärts Richtung Norden.

Zwei Tage später wusste ich vom F. und saß überwältigt und benommen auf einer Hochzeit in Sachsen-Anhalt. Natürlich rauchte ich nicht. Auch als der F. dann da war, rauchte ich nicht eine einzige Zigarette. Ich bin Nichtraucherin, sage ich inzwischen ohne die Einschränkungen, mit denen ich früher meine späteren Niederlagen garnierte, doch gestern nacht, gestern nacht in der Küche der Frau Kitty, angelehnt an die Küchenzeile und im Gespräch mit dem gloriosen Monsieur Glamourdick, da war ich so nah dran: Fast schon die Rechte ausgestreckt, fast schon die Lippen geöffnet, fast schon die Lunge voll mit trägem, weißen Rauch, und dann doch. Doch nicht. Doch so nah dran.

Mittwoch, 16. Januar 2013

Sekt

"Sucht Euch was aus.", stellt der M. drei Flaschen vor uns auf. Schloss Wackerbarth lese ich auf der ersten, Mumm auf der zweiten, und den Namen der dritten Flasche habe ich vergessen. Jedenfalls war es Champagner. Champagner unterschreitet - so meine Erfahrung - nie ein trinkbares Niveau und versetzt mich eigentlich immer auf der Stelle in richtig gute Laune. Ich möchte deswegen eigentlich sehr gern von der dritten Flasche trinken, aber irgendetwas hält mich zurück.

"Sei doch nicht so spießig.", zische ich mir zu, aber das hilft gar nichts. "Man trinkt doch nicht einfach so Champagner!", zischt es nämlich zurück, und dann sehe ich sie in meinen Augenwinkeln auf dem Sofa sitzen: Die weißen Haare akkurat frisiert und mit sehr viel Haarspray fixiert. Ein hellblaues Twinset mit goldfarbenen, runden Knöpfchen daran. In den Händen Strickzeug oder einen Stickrahmen oder auch nur einfach die Zeitung, sitzt meine Großmutter auf dem rosengeblümten Sofa der M. und des M., und schaut mich stirnrunzelnd an.

"Wir brauchen einen Anlass!", höre ich mich folgsam sagen, und neben mir nickt die I. Die hatte bestimmt auch eine Oma, die Champagner nicht anlasslos trank, bin ich überzeugt, und auch der M. wundert sich rein gar nicht. "Dann trinken wir eben auf die S.!", geht er auf meine innere Großmutter ein, deutet auf sein frisch geborenes Baby, und wir nicken begeistert. Ein Neugeborenes ist ein richtig guter Anlass, der auch meine Oma voll und ganz überzeugt hätte, und so füllt der M. die Gläser.

Ob es, überlege ich, solche Damen eigentlich noch gibt? In deren Kopf es eine wohlgeordnete Rangfolge gibt, zu welchen Anlässen Champagner getrunken werden darf? Die ganz genau wissen, dass zu einem 70. Geburtstag Champagner gereicht werden darf, zu einem 68. aber nur Krimsekt? Die gern morgens für den Kreislauf oder nachmittags mit Freundinnen zu Tee und Torte einen Sekt aufmachen, aber dann darf es nur Mumm sein oder maximal ein Winzersekt, der ungefähr die zehn Mark kosten darf, die der Mumm kostet?

Mit Sparsamkeit hatte das, so weit ich das beurteilen kann, noch nicht einmal etwas zu tun. Auch geschenkter Champagner durfte nicht einfach so geöffnet werden, und ich meine mich deutlich daran zu erinnern, dass eines Tages, wir waren just nach 500 km Fahrt angekommen, ein Sekt getrunken werden sollte, aber ausschließlich Krimsekt oder Champagner im Haus waren. Davon gab es bisweilen nämlich ziemlich viel, weil mein Onkel P. von dankbaren Mandanten immer wieder Champagner geschenkt bekam, aber wegen Problemen mit derlei Getränken in der Vergangenheit jenen nicht trank. Meine Großmutter öffnete angesichts dieser Lage nun aber nicht etwa die günstigste Flasche der vorhandenen Vorräte. Vielmehr zog sie sich an, nahm mich an die eine Hand, eine Einkaufstasche in die andere, und zog los.

"Auf die S.!", verteilt der M. nun die Gläser, und wir trinken auf das Kind. Lebe hoch, denke ich und lächele dem schlafenden Baby zu. Alles Gute. Hab' es immer, immer gut, wünsche ich der Kleinen, Glück zuhauf und jeden Tag - wann immer Du magst - Champagner.

Donnerstag, 3. Januar 2013

Der Möbelhändler aus Moskau

Vor einigen Jahren - ich glaube, es war 2009 - fuhr ich mit dem J. also nach Bali.

Bali ist hübsch. Die Balinesen sind ganz freundlich, es gibt ziemlich dekorative Tempel mit skurrilen, kleinen Geister- und Götterfiguren darin und darum, und es gibt einige nette Hotels. In einem dieser Hotels wohnten wir und lagen im Bett. Es war früh, also ungefähr zehn abends.

Draußen war es dunkel, aber laut. Es war sogar sehr laut, also sehr, sehr laut, und es wurde auch nicht leiser. Die Lärmquelle war gut zu lokalisieren. Der Krach kam vom Nachbarbalkon, auf dem offenbar eine Art Party gefeiert wurde. Man hörte Gläserklirren und laute Stimmen. "Verdammt, Russen.", ärgerte sich irgendwann der J., und dann schwiegen wir beide vielleicht zwanzig Minuten zemlich verdrossen, denn wir fahren im Urlaub ganz gern in so absolute Rentnerhotels, um uns da einmal richtig auszuschlafen. Mit feiernden Russen nebenan geht das aber nicht.

Nach einer weiteren halben Stunde hatte ich genug. Es sollte wieder leise sein. "Geh du doch mal rüber.", bat ich den J., der aufstand, sich anzog, nach draußen ging und dann stundenlang nicht wiederkam.

Für kurze Zeit machte ich mir Sorgen. Dann aber vernahm ich des J. Stimme inmitten der russischen Trinklieder. Verstimmt, aber beruhigt zog ich mir die Decke über den Kopf und schlief ein. Irgendwann nachts erschien der J. und schlief am nächsten Tag bis in den Nachmittag.

In den nächsten zehn Tagen hielten uns die Russen tagsüber am Strand Liegen frei und bestellten für uns Bier mit. Die Russen waren vier oder fünf, ungefähr in unserem Alter. Die Frauen waren blond und hübsch, die Männer eher unauffällig, und der Mittelpunkt der Gruppe war ein russischer Möbelhändler, nett und eloquent, recht gutaussehend und offensichtlich nicht arm. Als sie fuhren, tauschten wir E-Mailadressen, versprachen ein Treffen, wenn wir in Moskau oder die Russen in Berlin weilen würden, und dann ging jeder seines Weges.

Wenig später kam facebook. "Ich habe den Russen wiedergefunden.", verkündete der J. und zeigte mir ein Bild des russischen Möbelhändlers, wie er mit einer Freundin (seiner Freundin?) im Arm vor einem Club stand. "Aha.", sagte ich und scrollte die Bildleiste herunter. Auf jedem zweiten Bild stand der Russe in Begleitung hübscher und unwahrscheinlich aufgetakelter Frauen und strahlte in die Kamera.

In den nächsten Monaten, nein: Jahren, wurde der Russe dem J. nahezu unheimlich. In schnellem Wechsel stand und steht er auf den vielen Bildern auf seiner facebook-Seite neben geradezu unwahrscheinlich vielen Damen, die irgendwie aussehen, als würden sie im Fernsehballet tanzen oder fungierten als russische Glücksrad-Assistentin. "Bist du dir sicher, das er wirklich Möbelhändler ist?", fragte ich den J. mehrfach, der nicht ganz ohne Neid das offenbar verhältnismäßig glamouröse Leben seines russischen Bekannten auf facebook verfolgt. Der Russe, so scheint es, feiert immerzu und jedes Wochenende mit schönen Menschen exzessive Feste.

"Spricht er da über Möbel?", fragte ich den J. heute, der mir ein Bild zeigte, auf dem der Russe nun offenbar sogar im Fernsehen neben zwei lasziv posierenden Damen zum Publikum spricht. "Sieht nicht so aus.", meinte der J. stirnrunzelnd und betrachtete verständnislos die russischen Lettern über dem Bild, die den Hintergrund dieses Bildes möglicherweise näher beleuchten. Möbel waren auf dem Bild keine zu sehen.

Ich warf einen Seitenblick auf den J. Er war - er wird dies abstreiten - gelb vor Neid.

Dienstag, 1. Januar 2013

Jahresrückblick 2012

Zugenommen oder abgenommen?
Abgenommen. Aber nur, weil ich am 1. Januar 2012 im neunten Monat schwanger war. Obektiv immer noch sieben kg schwerer als vor Beginn der Schwangerschaft. Ich müsste richtig abnehmen, bin dafür aber zu verfressen.

Haare länger oder kürzer?
Unverändert lang.

Kurzsichtiger oder weitsichtiger?
Genauso kurzsichtig wie immer.

Mehr Kohle oder weniger.

Mehr.

Mehr ausgegeben oder weniger?

Weniger. Trotz Baby. Offenbar war der größte Ausgabeposten in den letzten Jahren das Nachtleben. Ich gehe zwar immer noch und ziemlich gern aus, aber allein schon die babysitterbedingt drastische Verkürzung der Nächte auswärts hindert mich daran, für Schrillionen Euro Gin Tonic und Champagner zu kaufen. Dagegen fällt so ein Baby kostentechnisch kaum ins Gewicht, nicht einmal ein Baby mit kaufsüchtiger Mama, die in der Kinderabteilung des Lafayette schon einmal die Beherrschung verliert.

Der hirnrissigste Plan?
In der Elternzeit einen Roman zu schreiben. Es gibt was, das ist aber auch danach.

Die gefährlichste Unternehmung?

Verkehrsteilnahme in Berlin. Ich war ganz gut unterwegs dieses Jahr, aber gefährlich wurde es genau einmal: Im Taxi zwischen Schönefeld und Prenzlberg, als ein Wahnsinniger im Wohnmobil frontal auf uns zuraste, und der Taxifahrer zum Glück ausweichen konnte. Es war kurz nach elf, wir hundemüde auf dem Rückweg aus der Türkei. Der Kerl im Wohnmobil versuchte im Anschluss sogar noch zu flüchten. Der Taxifahrer immer hinterher. Irgendwann kam dann die Polizei. Im Januar findet eine Gegenüberstellung statt.

Mehr Sport oder weniger?

Gleich viel, also wenig.

Die teuerste Anschaffung?

War jeden Cent wert.

Das leckerste Essen?

Im reinstoff. Mein Gott, war das gut. Aber im Rutz war's auch lecker. Und im Paris Moskau.

Das beeindruckendste Buch?

Christian Kracht, Imperium.

Das enttäuschendste Buch?
Helmut Krausser, Nicht ganz schlechte Menschen. Ich lese selten ein Buch nicht zuende, aber das war nicht auszuhalten.

Der ergreifendste Film?
Ich war nur dreimal im Kino, und ein wirklich ergreifendes Erlebnis war nicht dabei.

Der beste Theaterbesuch?
Josef und seine Brüder im Deutschen Theater. Indes gilt auch hier: Ich war zu wenig im Theater, um dieses Jahr ein wirklich belastbares Urteil fällen zu können.

Die beste Musik?
Rufus Wainwright, Out of the Game. Und Jessye Norman, von deren berückender Interpretation der Gurrelieder man hier einen ersten Eindruck gewinnt.

Die meiste Zeit verbracht mit…?
Dem J. und dem F.

Die schönste Zeit verbracht mit… ?
Dem J. und dem F.

Vorherrschendes Gefühl 2012?
Was für ein Jahr!

2012 zum ersten Mal getan?
Einen Rückbildungskurs besucht. Über die Golden Gate Bridge gefahren. Einen Dollar in Las Vegas verspielt. Geheiratet.

2012 nach langer Zeit wieder getan?
Einen Zahn verloren.

3 Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen?
3 kg. Mit den restlichen vier mehr als früher habe ich mich schon fast angefreundet, nachdem sie mir versprochen haben, nach und nach wieder von selbst zu verschwinden.

Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?
Hatte was mit meinem Beruf zu tun.

Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?
Der J. ist eigentlich gut in Form und Haltung, aber im Kreisssaal war er dann doch ganz schön aus dem Häuschen.

Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?
"Mamama!"

Der folgenreichste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?
"Sie können seinen Kopf schon ertasten."

Der folgenreichste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?
"Geben sie mir mein Kind!"

2012 war mit 1 Wort…?
Nie dagewesen großartig.

Vorsätze für 20123?
Ein neuer Roman und drei Kilo weniger.



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