Die äußerst unbefriedigende Abweichung zwischen Sein und Sollen
Morgen zum Beispiel sollte ich bis so ungefähr zehn schlafen. Dann sollte ich langsam aufstehen, eine Tasse Kaffee ans Bett geliefert bekommen, in Ruhe frühstücken und die Zeitung lesen, zumindest die wenig ärgerlichen Teile. Dann sollte ich ein bißchen arbeiten, vielleicht im „Lass uns Freunde bleiben“ einen frischen Pfefferminztee trinken und lauter interessante Gespräche mit lauter reizenden Leuten führen, wieder ein bißchen arbeiten, Kuchen essen, der sich nicht auf der Stelle ringförmig um meinen Bauch lagert, und abends kochen. Hähnchen vielleicht, mit Rosmarin und Knoblauch und Chili und Honig gewürzt, gebackene Kartoffeln dazu und einen Salat aus lauter reifen, roten Tomaten, die nach Sonne schmecken über einem weiten, offenen Land. Später irgendwann sollte ich ausgehen, lange schlafen, nicht aufwachen des Nachts mit Steinen auf der Brust, von denen ich nicht sagen kann, aus welchen Höhen sie auf mich niederfallen, und so schreiben, wie ich es können möchte und doch nicht kann.
Von dem Stapel Bücher, die ich mir am Samstag gekauft habe, möchte ich lesen, einen ganzen Nachmittag im Weinbergspark liegen auf einer Bastmatte, ab und zu eine Flasche Bionade holen, rauchen und de, Rauch hinterschauen, der sich langsam auflöst in der warmen, streichelnden Luft. Am Abend würde ich Freundinnen treffen, die mir lauter amüsante Geschichten erzählen, lachende, perlende Geschichten, und nichts, was schwer aufs Herz drückt, keine Lieblosigkeiten und keine Gleichgültigkeit, Geschichten von mühelosen, eleganten Siegen, Geschichten vom Lieben und Geliebtwerden, und nichts von Männern, die nicht anrufen, wenn sie sollen, und einer zähen, muffigen Langeweile. Nicht nur die A. sollte von ihrem Freund einen Smart Roadster geschenkt bekommen, und nicht nur die Orchideen meiner kleinen Schwester blühen.
Den Doktortitel, um den ich eine sagenhaft langweilige Dissertation geschrieben habe, möchte ich schon besitzen. Der Job, den ich mag, sollte morgens um 11.00 Uhr anfangen. Der Mann, den ich liebe, sollte mir eine Überraschung bereiten, eine Blume, ein Schächtelchen Konfekt, ein Brief, in dem lauter Sachen stehen, die so schön sind, wie ich mir sie nicht ausdenken kann. Mein schwarzer Anzug, den ich vor fünf Jahren gekauft habe, sollte wieder locker über meine Hüften fallen, meine Leserzahlen sollten steigen, und die Stadt sollte mir zulächeln, mit lauter Lachfältchen um die grau-grünen Augen.
Lass es dir gutgehen, Prinzessin, soll die Stadt mir zurufen, und ich winke zurück, und der Sommer zieht mich an seine glatte, feste Brust und streicht mir mit den Händen über den Bauch, und ich schnurre wie eine Katze in der Sonne.