Die Enthaarung

Auch: Vom Glück, Metzger zu sein

Nun stellen Sie sich einfach einmal vor, Sie wären Metzger. Metzger, ganz recht. Jeden Tag stehen Sie auf, schleppen sich in den Schlachthof, und machen Kühe tot, weiden die Leichname aus und zerlegen sie in küchengerechte Teile. Auf einem Schemel in der Ecke des Schlachthofes aber liegt ihr Telephon. Dann ruft ein Bekannter an, Sie melden sich, und dann dröhnt es doch tatsächlich aus dem Hörer: „Hör mal zu, ich habe hier gerade so ein Problem, mein Hund ist so alt geworden, der macht’s eh nicht mehr lang - kannst du dich heute abend vielleicht einmal darum kümmern?“ - Korrigieren Sie mich, wenn Sie Metzger sind, aber ich wette: Das kommt eher selten vor im Leben der Metzger.

Auch als Sachbearbeiter im Rathaus verlangen wohl schwerlich Ihre Freunde, dass Sie Ihnen abends doch einmal schnell einen neuen Perso... also, wenn Sie einmal einen Moment Zeit hätten... – Aber kaum studieren Sie ein paar Jahre Jura, dann sitzen Sie nichtsahnend in Ihrem Büro, rechts und links klingeln Telephone, die Schriftstücke auf Ihrem Schreibtisch sind länger als die Frankfurter Anthologie, und wenn es einmal privat klingelt, dann möchte Sie niemand zu Braten und Knödeln einladen oder Ihnen einen Kuchen backen, nein, statt dessen meldet sich nur die A.

„Modeste!“, unterbricht Sie die A. in wirklich sehr schwerwiegenden Tätigkeiten und ihre Stimme überschlägt sich fast vor lauter Aufregung. „Modeste, hast du einen Moment Zeit?“ – „Ganz kurz!“, versuchen Sie, die Unterbrechung möglichst kurz zu halten, schauen auf die Uhr, und nicht eben kurz, aber mit außerordentlich hoher Frequenz an gesprochenen Worten pro Gesprächsminute erläutert die A. ein Problem, das wahrlich seinesgleichen sucht: Es geht um ihre Enthaarung.

Die meisten Leute, wie man weiß, enthaaren sich ja sozusagen auf eigene Faust, einige Leute sind sogar von Natur aus schon nicht so besonders haarig, die A. aber begab sich vor einigen Tagen in ein Geschäft, das der Enthaarung von Personen dient, die diese glücklicherweise heute allgemeinübliche Verrichtung durch bezahltes Personal ausführen lassen. Man legt sich also auf so eine Liege – hörst du mir auch zu, Modeste? – die Leute machen so Wachs auf die Haut – also so Wachs, na, weißt schon, Wachs eben, und dann ziehen sie das Wachs wieder ab.

Interessant, sage ich, schaue wieder auf die Uhr, und höre der A. zu. Als die A. fertig enthaart war jedenfalls, wurde sie eingeölt, legte sich auf eine andere Liege, wartete ab, bis das Öl eingezogen war und fuhr nach Hause. Daheim legte sie sich hin.

Als sie wieder erwachte, so gegen vier Uhr nachmittags, kribbelte ihre Haut. Verschlafen rieb sie sich erst die Augen und begann sich dann zu kratzen. Das Jucken jedoch ging nicht weg. Vor dem Spiegel überkam die A. ein gewaltiger Schreck: Wo vorher Haare waren, waren nun lauter kleine, rote Punkte, ganz gepunktet war die A., und so duschte sie, um die heiße, kribbelnde Haut zu kühlen, und beschloss dann, Schritte zu unternehmen, um sich das jedenfalls – gell, Modeste, da bezahlt man viel Geld, und dann sowas – nicht gefallen zu lassen.

„Du, ich muss jetzt mal wieder was tun.“, bellen Sie also etwas ungehalten in den Hörer, und versuchen, das Gespräch zu beenden. „Du bist doch Juristin...“, beharrt aber die A. - Sie dagegen denken an den Metzger und den Sachbearbeiter aus dem Rathaus, und dann werden Sie auch noch um ein Schreiben gebeten. Ganz kurz. Nur Geld zurück. Und Sie verstehen doch mehr davon, als....

Und dann legen Sie auf. Sie fühlen sich irgendwie verkannt, die Welt scheint irgendwie nicht ganz so zu sein, wie sie zu sein hat, wenn andere Leute sich für Geld enthaaren lassen, und Sie sollen sich darum kümmern, wenn diese Leute davon rote Punkte bekommen. Sie denken für noch einen Moment an den Metzger, und dann an die Beile und so, und dass es eigentlich ganz nett wäre... aber für so etwas haben Sie zum Glück keine Zeit.

che2001 - 11. Aug. 2006, 11:34 Uhr

Oh je, Probleme haben manche Leute :-)

Ich verstehe allerdings eh nicht, was die ganze Epiliererei soll.
pathologe - 11. Aug. 2006, 13:55 Uhr

Ist das nicht eine normale Reaktion, wenn die wehrlosen Haare samt Wurzel aus ihrer angestammten Umgebung gezogen werden? Und das Öl gegebenenfalls eine allergische Reaktion hervorruft?

Ich möchte Sie, Frau Modeste, dann ebenfalls anrufen dürfen, wenn ich mir bei der Nassrasur wieder einige Rinnen ins Antlitz geschnitzt habe. Nur um mein Geld vom Klingenhersteller zurückzubekommen.

(und ich dachte, der Metzger hätte was mit der Borstenentfernung Enthaarung zu tun)
Au-lait - 11. Aug. 2006, 14:19 Uhr

Der Wurstfachverkäuferin sang plötzlich: "Es war das Bonbon aus Wurst, das ihr Glück gebracht... Bonbon aus Wurst... die ganze Nacht!"

Pardonnez-moi, Madame. Es ist eher ein Kommentarunwesen, was ich derzeit treibe. In einer Woche mag sich vieles bessern. Dann wird zumindest mein OpusMagnum eingetütet sein.
varzil - 11. Aug. 2006, 14:44 Uhr

Das Schicksall eines (enthaarten) Juristen. Barhäuptig und kahl senkt sich die Stirn und begegnet der sich aufwärts bewegenden Handinnenfläche: ***Platsch***
Metzger statt Jura! Das wär's gewesen.
nacktmulch - 11. Aug. 2006, 19:14 Uhr

Das schwere Juristenschicksal, empörte Mitmenschen bar jeglichen Rechtsgefühls auf der Suche nach kostenloser Beratung abwimmeln zu müssen, wird nur noch von dem der Mediziner getoppt, die sich auf Parties etc. jedes nur erdenkliche Zipperlein mit der Bitte um Sofortdiagnose anhören müssen. Letzteres ist dann meistens noch unappetitlich, ersteres zum Glück nur nervig. Ich gestehe dann gerne zerknirscht, leider nur Spezialist für Weltraumrecht zu sein und verweise den Fall an den nächsten Mediziner.
St. Burnster - 11. Aug. 2006, 19:57 Uhr

Seltsam, mich ruft nie jemand an und will, dass ich eine Todesanzeige für ihn schreibe.
acqua - 11. Aug. 2006, 21:57 Uhr

Dass die A. als Freundin wohl eher eine Belastung als eine Freude ist wird zum Glück dadurch wettgemacht, dass sie Stoff für so schöne Geschichten liefert. Ich hoffe, Sie halten den Kontakt.
(Falls ich mich nicht irre, und die A. tatsächlich jene Person ist, die in diesem Blog bereits mehrmals ihr Unwesen trieb.)
Modeste - 12. Aug. 2006, 13:11 Uhr

Dass Enthaarung als solche eine gute Sache ist, finde ich, Che, durchaus. Weibliche Personen sollten eher nicht so behaart erscheinen, aber das mag Geschmackssache sein. Und nur zu, Herr Pathologe, trauen Sie sich. Dann schreibe ich auch über Sie einen Text, der sich rasiert gewaschen hat.

Da Examenskandidaten, lieber Ole, ja einfach alles dürfen, tu' Dir keinen Zwang an. Und Bonbons aus Wurst finde ich gut. Würde ich auch machen, wenn ich Metzger wäre, Herr Varzil. Aber zu recht heißt es ja Anwalt, bleib bei deinen Akten.

Sehr viel allgemeingebräuchlicher als Weltraumrecht ist, Herr Nacktmulch, mein Tun und Treiben auch nicht gerade, leider hilft es nichts gegen rechtsunkundige Bekannte, und die A., da hat Frau Aqua recht, bringt mir zumindest immer wieder gute Geschichten ein.

Und wenn es denn einmal so weit sein sollte, lieber Burnster, denke ich an Dich. Versprochen.
che2001 - 12. Aug. 2006, 15:52 Uhr

Currywurstbonbon könnte eine neue Berliner Delikatesse werden. Es gibt ja
eine türkdeutsche Theatertruppe namens Knoblauchbonbon, bekannt für das
Stück "Deutschland nix gut, sonst Geld zurück - hirnig, birnig, rassig".
nacktmulch - 12. Aug. 2006, 17:53 Uhr

Da machen Sie mich aber neugierig: was ist denn ähnlich abwegig und abschrecken für Rechtsratsuchende wie mein geliebtes Weltraumrecht?
auffahrtsallee - 13. Aug. 2006, 11:04 Uhr

In brasilianischen Kreisen schwört man auf eine verschärfte Methode, nämlich Zuckerwasser. Doppelt so schmerzhaft, dafür noch wirksamer. Soll dort auch bei Männern fashionable sein. Juristisch aber sicher erst interessant, wenn die Reaktion des Patienten in den Bereich des Notwehrexzesses vorstößt.
Modeste - 13. Aug. 2006, 14:24 Uhr

Mich animieren, Che, ja weder Currywurst- noch Knoblauchbonbon, auch das Weltraumrecht, Herr Nacktmulch, reißt mich jetzt nicht gerade zu Begeisterungsstürmen hin. Was ich so ganz konkret mache, schreibe ich hier aber nicht, sonst wenden sich noch (mehr) Menschen von diesem Blog ab oder kippen vor lauter Langeweile einfach so vor dem Bildschirm um. Mir macht's ja Spaß, ich beobachte allerdings immer wieder, dass der unvoreingenommene Betrachter sich sein "Interessant" wirklich ziemlich von den Lippen quält.

Und wie die Enthaarung mit Zuckerwasser funktioniert, Auffahrtsallee, mag ich mir gar nicht vorstellen. Das muss doch wahnsinnig schmerzhaft sein. Kann man in eine derartige Selbstentwürdigung eigentlich noch wirksam einwiligen? Oder beginnt da bereits der Bereich, den der Jurist unter dem Schlagwort Zwergenweitwurf dem Gebiet der einwilligungsfeindlichen Menschenwürdeverletzung zurechnet?

Aber genug davon.
rationalstürmer - 13. Aug. 2006, 23:35 Uhr

Jetzt aber, Frau Modeste. Sie wollen doch bloß, dass man Sie für noch beschäftigter als die A. hält. Den Fall hätte ja sogar ich mit meinem peinlichen BGB-für-Kleinkünstler-Schein einszweidrei am Telefon durchexerziert.

@Burnster: Ich würd da vielleicht auch Interesse bekunden wollen, wenns soweit ist.
St. Burnster - 14. Aug. 2006, 12:27 Uhr

Aber bitte kurz vorher Bescheid sagen!
Modeste - 15. Aug. 2006, 23:31 Uhr

Herr Ratonalstürmer, da ist es wie mit vielem: Man könnte schon. Man will aber nicht. Und wer sich rechtsberaten lassen will, wende sich doch bitteschön an einen Anwalt und nicht an seine Freunde.
croco - 16. Aug. 2006, 22:35 Uhr

Also, mein Vetter, der ist Anwalt. Und der sagt immer, wenn ihm einer so kommt aus der Verwandtschaft, dann fragt er schnell mal nach der Rechtsschutzversicherung.Und dann ist er nicht mehr Tantes Liebling.
Modeste - 16. Aug. 2006, 22:41 Uhr

Verwandtschaft ist ja schon ohne Rechtsstreitigkeiten eigentlich fast das Schlimmste. Zum Glück löst meine Sippe wenigstens ihre Streitigkeiten ohne meine Mithilfe.
marbot - 22. Aug. 2006, 14:15 Uhr

Mediziner

Als Arzt hat man da natürlich auch so seine Erfahrungen. Wobei die Konsultationen weniger telefonisch, sondern auf Feiern erfolgen. Also eine Tante meiner Frau weit weg feiert Geburtstag. Die kenne ich immerehin schon ein paar Jahre. Auf der Feier begegnen mir nun wirklich wildfremde Menschen, irgendwelche entfernten Verwandten von der ganz anderen Seite, die zufällig erfahren, dass ich Arzt bin. Und dann wird mir eine ausführliche Krankengeschichte vorgelegt. Sie waren beim Hausarzt, der hat zum Facharzt überwiesen, der in eine universitäre Spezialambulanz. Und alle habe etwas (und zwar das gleiche) empfohlen und gesagt. Wenn ich dann auch noch etwas sage - wem glauben diese Menschen dann: mir!
Sie kennen mich vorher nicht (im Gegensatz zu ihrem Hausarzt, den sie seit Jahren kennen), ich bin überhaupt nicht vom richtige Fach- oder gar Teilgebiet wie die spezialisierte Uniklinikambulanz. Aber mir vertrauen sie, weil ich sie ja so nebenbei und ohne eigene Interessen berate.
Was ich empfohhlen habe? Ich habe gesagt, dass die Uniambulanz doch sehr kompetent zu sein scheint - und sie mal tun sollten, was die gesagt haben.
creezy - 23. Aug. 2006, 13:16 Uhr

Du, kannst Du mir nicht mal schnell 'ne Homepage mit Online-Shop für lau …?*dütdütdütdütdüt*

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