Die Motivation

Die eine, hört man, hat ihren Freund verabschiedet, weil er sie nicht heiraten wollte. Die andere, weil der ihre so unappetitlich aß. Eine andere hat die Trennung ausgesprochen, weil ihr Liebhaber so selten Zeit für sie hatte, seit er Vater eines Kindes geworden war, dessen Mutter beruflich viel eingespannt gewesen sein soll. Die Trennung meiner lieben Freundin, der X., von ihrem Liebhaber jedoch ist einzigartig bezüglich ihrer Motivationslage, und verdient eine ausführliche, öffentliche Würdigung ob ihrer Originalität. Sie spielte sich nämlich folgendermaßen ab:

Eines Tages, die X. und ihr Liebhaber lagen zu Bett, wurde es ihr langweilig. Langeweile, auch in Gegenwart geliebter Personen, kennt jeder. In Gegenwart von nicht direkt geliebten, wenngleich intim verbundenen Personen, scheint die Langeweile noch etwas häufiger aufzutreten, und so setzte sich die X. auf, verließ das Bett und setzte sich an ihren Rechner.

Neue E-Mails waren keine eingegangen. Auch mit anderen Neuigkeiten sah es schlecht aus, und so schwang sich die X. einfach so von Homepage zu Homepage, las hier ein wenig, und dort ein bißchen, und ihr Liebhaber lag herum und las.

„Was tust du?“, fragte er wohl, und die X. murmelte etwas von „Nachrichten“. „Lass mich mal schauen, was meine Frau macht.“, erscholl es plötzlich aus dem Bett. „Muss nicht sein.“, gähnte die X. „Ach komm, eine Minute.“, schwang sich der Liebhaber aus dem Bett und stand auf einmal neben ihr.

Die - der X. unbekannte - Frau des Liebhabers nämlich hatte kurze Zeit zuvor ein Preisausschreiben gewonnen. Der Preis bestand aus einer Kurzreise, einer Promotion-Tour des veranstaltenden Unternehmens , bei der die Gewinnerinnen – jeweils in Begleitung einer Freundin – auf eine Insel eingeladen wurden. Ihr Tun und Treiben dort wurde live, oder zumindest unwesentlich zeitversetzt, im Internet übertragen, und so konnte man die Frau des Liebhabers sehen, wie sie es sich begleitet von einer reichlich ordinären Freundin lautstark gutgehen ließ.

„Modeste, ich bin fast umgefallen.“, stöhnte die X. Die Frau des Liebhabers nämlich war von erschreckender Beschaffenheit. Groß und massiv wie ein deutsches Mittelgebirge ragte die Frau in den Bildschirm und jodelte ihre Lebensfreude in ungebremster Vulgarität durch das Netz. Ob die Person auf den bewegten Bildern nun die Frau des Liebhabers oder nicht doch sein Bruder sein sollte, war tatsächlich ausschließlich anhand der Ausführungen des Liebhabers auszumachen, der schließlich wissen musste, wen er einmal geheiratet hatte.

Sprachlos saß die X. vor ihrem Rechner. In ihrem Inneren zog sich alles zusammen. Mit Befremden erst, dann auch mit Ekel betrachtete sie den Mann in ihrem Schlafzimmer, der zufrieden ein Bild nach dem anderen per Mausklick vergrößerte. Schelchte Haut hatte die fremde Frau auch.

So also, dachte die X. und betrachtete ihren Liebhaber: So also sah die Frau aus, die dieser Mann geheiratet hatte. Kein Wunder, dass es ihn in andere Schlafzimmer zog. Wahrscheinlich, so erschien es ihr, war es überhaupt nur die Tatsache, dass andere Frauen sich zumindest kurzzeitig seiner erbarmten, die eine Ehe mit dieser ganz und gar unmöglichen Person stabilisierte. Sie, wurde ihr klar, war also dafür verantwortlich, dass dieser Mann mit dieser Frau verheiratet war.

Abscheu ergriff sie. „Kein Wunder, dass du herkommst, wenn das deine Frau ist.“, sagte sie, und der Liebhaber schaute sie erstaunt an. Er liebe doch nur sie, wandte er ein. „Das wundert mich nicht.“, schüttelte sich die X. mit einem Blick auf das unglaubliche Geschöpf auf den Bildern im Netz.

„Nun komm schon.“, zog sie der Liebhaber am Arm zu ihrer Bettstatt. „Lass mich los.“, entzog sie sich seinem Griff. Völlig unmöglich erschien es ihr auf einmal, diesen Mann zu berühren. Den Mann einer solchen Person – es würgte sie ein bißchen.

„Fahr nach Hause.“, dachte sie erst, und dann hörte sie sich laut sagen, dass er seine Sachen packen, sich anziehen und verschwinden solle. - „Was ist denn los mit dir?“, wunderte sich der Liebhaber erst, dann regte er sich ein bißchen auf, wurde traurig, winselte, und am Ende ging er doch.

Die X. werde, sagt sie, ihn nicht wieder anrufen.

che2001 - 8. Okt. 2007, 10:18 Uhr

Uuuups. Auch mich erstaunt ja immer wieder, mit was für Brocken manch tolle Frau
oder toller Mann so liiert ist :-)
mark793 - 8. Okt. 2007, 10:38 Uhr

Naja,

so originell die Details der Geschichte auch sein mögen: Dass die Attraktivität der Ehefrau direkten Einfluss auf den Marktwert des Mannes als Liebhaber hat, kann nicht wirklich überraschen. Das hätte dem Typen doch ansatzweise klar sein müssen. Seit ich verheiratet bin, kriege ich jedenfalls mehr Telefonnummern zugesteckt als vorher, und die Mamis im Kindergarten sehen mich auch mit anderen Augen an, seit meine Frau auf dem Elternabend war...
arboretum - 8. Okt. 2007, 15:53 Uhr

Sie haben es wahrscheinlich nicht so gemeint, aber man könnte ihre letzte Bemerkung auch so verstehen, dass Ihre Frau so unansehnlich wie die Gattin vom Liebhaber der X. ist, denn zumindest hat er es mal geschafft, die X als Geliebte abzubekommen. Vermutlich meinten Sie es aber genau umgekehrt. Je attraktiver das (zu betrügende) Ehegespons, desto höher der Wert der Beute.
mark793 - 8. Okt. 2007, 16:40 Uhr

Ja, natürlich.

Wollte nur nicht zu undezent rumprahlen. Dass ich nicht unter Geschmacksverirrung leide, kann Ihnen Herr Bandini sicher bestätigen. ;-)
Weltenweiser - 11. Okt. 2007, 9:05 Uhr

Das war doch schon

früher in der Disko so, dass man mehr Aufmerksamkeit abbekommen hat, wenn man nicht allein sondern in attraktiver Begleitung einritt.
St. Burnster - 11. Okt. 2007, 10:26 Uhr

Sie sind mit Bandini verheiratet?! Das sind ja mal Neuigkeiten! Gratulation, lieber Mark.
mark793 - 12. Okt. 2007, 18:42 Uhr

Nein,

ich BIN Bandini! Ich hab das Gefühl, die Leute hier wollen mich partout missverstehen. ;-)
che2001 - 15. Okt. 2007, 9:59 Uhr

Soso, demzufolge habe ich dann also mit Mark 793 Kaffee getrunken ;-))
kittykoma - 8. Okt. 2007, 12:10 Uhr

wie schön das dieses ehestabilisierende dreiecksverhältnis illustiert. ohne den häßlichen brocken wäre die geliebte weniger begehrenswert, ohne die geliebte der häßliche brocken unerträglich.
che2001 - 8. Okt. 2007, 13:15 Uhr

Och, ich kannte schon Dreiecksverhältnisse, die ohne Brockenkomponente
über Jahre stabil waren.
walhalladada - 8. Okt. 2007, 13:49 Uhr

Herr Che, ich bin ein großer Bewunderer ihres Erfahrungsschatzes:
Wenn Sie's nicht selbst erlebt haben, dann kennen Sie zumindest einige, die es getan haben...

Was da platzt im 'Stream' der Internetzübertragung ist kein Geheimnis, bzw., das 'Geheimnis'. Ich trage schon seit Jahren keinen 'Ehering' mehr, um mich der 'Anmachen' von solchen X-Typinnen gar nicht erst auszusetzen:)
Der Reiz, es mit einem 'Ehemann' zu treiben, beflügelt offenbar die Phantasie! Wird der 'Ehemann' dann konkret, sprich in Gestalt der dazugehörigen Frau, so mag diese letztlich aussehen, wie sie will:
Der Reiz geht einfach flöten...

P.S.: Wie sieht eigentlich die X so aus?
che2001 - 8. Okt. 2007, 14:06 Uhr

Walhalladada, wenn der eigene Freundes/Kommilitonen/Kollegenkreis über etwa
15 Jahre aus einer hordenartigen Ansammlung befreundeter WGs/Wohnkommunen
besteht, innerhalb derer die Liebesbeziehungen karusselmäßig rotieren, ist der Unterschied
zwischen Leute kennen und selber Leute sein in diesem Bedeutungszusammenhang
nicht wirklich relevant. Zumal das
Liebesleben dann so etwas wie eine öffentliche Angelegenheit darstellt.
che2001 - 8. Okt. 2007, 16:18 Uhr

Walhalladada, da ich noch nie einen Ehering trug, ist das natürlich eine mir total
fremde Erfahrungswelt. Ich weiß nur, dass mann schneller mit Frauen ins Gespräch
kommt, wenn man einen Hund dabei hat ;-)
walhalladada - 8. Okt. 2007, 17:01 Uhr

Man kann natürlich mit und ohne Ring ein 'Windhund' sein :)

P.S.: Im Übrigen, Frau Modeste, erfüllt Ihre Geschichte
auf vermittelte Weise den Tatbestand des Pornographischen...
che2001 - 9. Okt. 2007, 11:10 Uhr

Na ja pornographisch, ich würde mal eher sagen erotisch-frivol. Anyway, eine sehr
schöne Geschichte, wobei ich mich frage: Wahr oder erfunden? Manche Dinge sind
auf ihre Weise natürlich so wahr, dass sie erfunden werden müssen...
netbitch - 9. Okt. 2007, 14:27 Uhr

Ach Che, die Zeiten "Neue Linke - quervögeln und Pfaffenhass, isses das?" sind aber auch
echt schon verstaubt. Schön war die Zeit, aber deutlich vor 1997.
walhalladada - 9. Okt. 2007, 23:14 Uhr

at Che

'Frivol-erotisch' ? Ei, wenn nicht gar...Nein, da bleib ich doch lieber in der Nähe meines Begriffs und nenne diese Geschichte, die übrigens bestimmt nicht das Leben geschrieben hat, sondern unsere geschätzte Gastgeberin, zumindest 'obszön'. Mich 'würgt' es nämlich bei der Lektüre genauso wie die X... Wenn der Terminus nicht so abgegriffen wäre - mir fällt kein besserer ein - lese ich diese Geschichte als ein 'Szenario' allseitiger Entfremdung: Irgendwie ist jeder jedem Objekt in dieser Geschichte und als solche sind alle unfrei und bloße Staffage...
che2001 - 10. Okt. 2007, 10:40 Uhr

In anderen Fällen würde man von "doublebind" sprechen, hier aber fehlt die dazu
notwendige dramatische physische Dynamik. Siegmund hätte an sowas seine Freud
gehabt.
walküre - 10. Okt. 2007, 20:16 Uhr

Dass die Geschichte

nicht das Leben geschrieben hat, wage ich zu bezweifeln, zumal einer sehr guten, intelligenten und keineswegs unattraktiven Freundin vor einiger Zeit ähnliches unter anderen Vorzeichen widerfahren ist: Der Mann an ihrer Seite pflegte seitensprünglich mit strohdummen und tendenziell ungepflegten Frauen zu verkehren. Eine niveauvolle Konkurrentin wäre eventuell noch eine Herausforderung gewesen, unter den gegebenen Vorzeichen wurde jedoch eine sofortige Trennung in die Wege geleitet. Die Begründung des Mannes lautete übrigens: "Man kann ja schließlich nicht jeden Tag Schnitzel essen."
Weltenweiser - 11. Okt. 2007, 9:08 Uhr

Da hätte sie antworten sollen:

Aber musste es denn gleich Tütensuppe sein?
die_trying - 29. Okt. 2007, 14:07 Uhr

was macht den Unterschied aus ob die Hauptfrau hübsch oder hässlich,
intelligent oder dröge, flink oder behäbig ist ? Ist das wichtig ?

Aus Beobachtung: viele Hauptbeziehungen würden ohne die Nebensache
längst nicht mehr existieren. Fremdgehen ist ein unheimlicher Stabilisator,
unheimlich im wahrsten Sinne des Wortes.

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