Emotionale Intelligenz

Das Telephon klingelt, und meine Schwester würde wetten, dass ich nicht weiß, wo sie ist. Keine zehn Minuten später steht sie vor der Tür und neben ihr steht ihr grauenhaft grobschlächtiger Freund. Wer sein Unternehmen von so etwas beraten lässt, hat es nicht anders verdient, schießt es mir durch den Kopf.

Schwesterchens Kerl hat beruflich den ganzen Tag zu tun. Auch ich bin nicht ganz beschäftigungslos, ganztägige Einkaufstouren verbieten sich also schon aus diesem Grunde von selbst. Schwesterchen zieht einen Schmollmund und wirft sich auf mein Sofa. „Ich hab´ mich schon so auf dich gefreut.“, jammert Schwesterchen. Wir einigen uns auf eine gemeinsame Mittagspause und abendliche Lustbarkeiten.

Vorerst bleibt Schwesterchen auf dem Sofa liegen und schaut versonnen die Reihe der Bücherregale entlang zum Fenster. „Du hast´s gut,“ sagt Schwesterchen, „du kannst lesen.“ Seit Schwesterchen im Staatsexamen stecke, lese sie kaum noch. Den ganzen Tag – und dann auch noch abends, das wäre zuviel. Ich kann mich allerdings gerade nicht erinnern, Schwesterchen im gemeinsamen Elternhaus jemals mit Büchern gesehen zu haben. Dann schreitet Schwesterchen an den Büchern vorbei Richtung Esstisch. „Wenn Papa mal stirbt, hast du ja alles doppelt,“ spricht sie und deutet auf die Bücher. Dann lässt sie sich den Tee eingießen, plaudert ein bißchen von einer Kaffeeverkostung, schimpft über ihren Friseur und wirft sich tatsächlich mitgebrachten Süßstoff in meinen weißen Tee.

Anschließend geht Schwesterchen einkaufen, ich gehe arbeiten und sie ruft immerhin nur zweimal an. Ja, ich finde A.P.C. auch in Ordnung. Und wir treffen uns bei den Galeries Lafayette.

Bevor ich losfahre, stelle ich mich vor den Spiegel. „Das ist meine einzige Schwester und ich muss nett zu ihr sein.“. schärfe ich mir ein. „Aus meiner intellektuellen Herablassung gegenüber meiner schönen Schwester spricht der blanke Neid.“, wiederhole ich, was ich seit Jahren weiß. „Was ich jemals gelesen, gelernt oder geleistet habe, ist völlig egal in Ansehung ihres bombastischen Aussehens.“, mache ich mich fertig.

In den Galeries Lafayette isst Schwesterchen sechs Austern und drei Petit Fours. „Du langst ja ganz schön hin, Liebchen.“, meine Schwester strahlt mich an. „Mir schmeckt´s halt.“, gebe ich wütend zurück. Schwesterchen zeigt ihre Neuaquisitionen in Größe 34/36.

Ich erzähle ein bißchen vom Besuch unseres Vaters bei mir. „Der interessiert sich doch eh nur für dich.“, unterbricht sie mich. Und dass sie Jahre gebraucht habe, diesen Satz für sich zu formulieren. Ich starre sie an. Ich hatte in den letzten 26 Jahren nie das Gefühl, Schwesterchen könne an der väterlichen Wertschätzung auch nur irgend etwas liegen. Außerdem wird Schwesterchen schon von ausreichend Leuten geschätzt. Dass wenigstens unser Vater nicht zum Verein zur schwesterlichen Anbetung gehört, finde ich ausgleichend und richtig. Und das sage ich auch.

„Dir geht´s doch gut.“, sagt die kleine Schwester. Bei mir funktioniere im Normalfall alles, was ich mir vornehme. Die meisten Menschen würden mich mögen. Und die Liebe sei mir ja ohnehin nicht so wichtig. Sie persönlich würde für ihre große Liebe ja alles tun, sogar ihr Studium abbrechen. Aber emotionale Intelligenz werde unterschätzt.

Ich atme tief durch. Nett sein. Einzige Schwester. Bloßer Neid.

Dann sehe ich auf die Uhr, verabschiede mich hastig und lasse Schwesterchen in den Galeries Lafayette sitzen. „Aber heute abend gehen wir aus.“, freut sich meine kleine Schwester und lacht mich an. „Ich freue mich auch!“, winke ich und stehe schon im Aufzug.

Noch zwei Stunden. Und keine Anfälle von emotionalem Schwachsinn. Nett sein. Nett.
engl - 9. Feb. 2005, 19:11 Uhr

na, dann viel spaß! (aber was ist ApunktPpunktCpunkt? - ich hoffe ich mache mich damit keiner -intellektuellen- unfähigkeit schuldig.)
Modeste - 9. Feb. 2005, 19:14 Uhr

Ach was, ist so´n Klamottenladen, muss man nicht kennen, machen aber ganz nettes Zeug. www.apc.fr

Ich merke gerade, dass sich der Beitrag ja irgendwie ganz fies liest. Dabei mag ich meine Schwester, sie macht mich nur leider irre. Ob ich auch noch zu wenig Familiensinn habe? Oder ist das Teil der Emotionalen Intelligenz?
engl - 9. Feb. 2005, 19:24 Uhr

zu 1: himmel, da tun sich klassenunterschiede auf. warum sprichst du überhaupt mit mir? (außerdem kann ich flashseiten nicht leiden.)
zu 2: das liest sich überaus fies und urkomisch dazu, vom ersten satz an. hat aber nichts mit fehlendem familiensinn zu tun, auch nicht mit irgendeiner art von intelligenz. klingt eher wie eine ganz normale schwesterliche grundkonstellation.
nachsatz: kennt deine schwester diese seite? ;-)
Modeste - 10. Feb. 2005, 0:32 Uhr

Natürlich kennt Schwesterchen diese Seite nicht. Wäre dem so, hätte ich das Posting unterlassen und hätte ganz entsetzlich hundsgemein gestimmt Schwesterchen getroffen. Das wäre ein Massaker geworden. So war es nur ein Martyrium, aber zum Glück nur für mich. Schwesterchen ist sozusagen die Inkarnation aller meiner Minderwertigkeitskomplexe. Ich weiß, ich bin gerade eine tibetanische Gebetsmühle, aber es ist so ungerecht, so ungerecht, so irrsinnig ungerecht, dass den Schönheiten die Nacht gehört, und den Doktorandinnen bloß ein Haufen Papier.
gamine - 10. Feb. 2005, 11:20 Uhr

aha, mangelnde emontionale intelligenz nennt sich das, wenn normal intelligente erwachsene menschen in bezug auf ihre familie unerklärlicherweise irrationelle emotionale erregungen zeigen. betrifft mich ganz fest auch, dieses problem. gibt es wohl eine weiterbildungsmögichkeit für die emotionale intelligenz?
kaltmamsell - 10. Feb. 2005, 12:47 Uhr

Herr Twoblog: Ihre beiden Kommentare sind mit ihrem Oszillieren zwischen Überheblichkeit und devoter Schleimerei, ergänzt durch kriechendes Mitleidheischen ein Musterbeispiel für fehlende emotionale Intelligenz. Ganz wunderbar!
Ich habe übrigens auch kein Karma.

Und, Modeste: Vielen Dank für die Geschichte. Halten Sie uns auf dem Laufenden, bitte.
barbarellababe - 10. Feb. 2005, 11:24 Uhr

Sehr treffend und urkomisch...

...liebe Frau Modeste. Habe eben sehr gelacht....Ich habe auch eine (kleine) Schwester, die mir gerne & regelmäßi sagt, wie sehr ich sie doch nerve und dass es nur zwei Menschen gibt, die sie zur Weißglut bringen und ich sei einer davon. Dass ich das so nicht zurück gebe, liegt vermutlich nur daran, dass sie mit ihrem Leben manchmal nicht klar kommt und mir das leid tut bzw. ich nicht so gut bin im Kritik-üben.
Seien Sie nicht so böse mit ihrer schönen Schwester, denn die hat dafür sicherlich genug andere Probleme. Schönheit hat Vorteile, aber auch genug Nachteile. Und wer Größe 34 hat, macht Sport oder ißt wenig (große Reduzierung der Lebensfreude!). Und Sie haben bestimmt Talente, die diese Schönheit ausgleichen (zB. das Schreibtalent), also würde ich davon ausgehen, dass Ihre Schwester Sie darum genauso beneidet wie Sie diese wegen ihrer Schönheit. Fragen Sie sie doch mal. Übrigens habe ich die Erfahrung gemacht, dass das mit zunehmendem Alter weniger wird und man sich immer besser versteht. Blut ist eben doch dicker als Wasser ;-) Liebe Grüße Ihre Barbarella
twoblog - 10. Feb. 2005, 18:23 Uhr

Kommentare.

Meine beiden Kommentare
habe ich eben gelöscht.

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