All The Perfumes Of Arabia

Als ich noch ziemlich klein war, lud mich meine Mutter einmal bei einem meiner Onkel ab, der sein Geld verdiente als ein Strafverteidiger in einer reizenden Barockstadt, in der zu seinem Glück auch schlechte Menschen ein gutes Leben führten. Es war Hochsommer, ich saß im Garten herum und versuchte einmal täglich, das Pferd der Nachbarn zu besteigen oder wenigstens mit Fallobst zu füttern. Jeden Abend gab es stundenlang Unmengen Essen und mein Onkel führte mit meiner Tante lange Gespräche über Dinge, die ich nicht verstand. Aufstehen durfte ich trotzdem nicht.

Einmal die Woche fuhr meine Tante zu irgendeiner Veranstaltung in die Stadt, und mein Onkel und ich aßen allein vorbereitete Speisen, die ich wärmen durfte. Ich deckte also ziemlich unsachgemäß den Tisch, mein Onkel erschien und fragte nach Verlauf und Gestaltung des Schulunterrichts. Anschließend erzählte er ein paar antiklerikale Witze und lachte, dass die Fensterscheiben klirrten.

Eines Abends kam der Onkel spät und ernst. Er aß langsam und lachte so gut wie gar nicht, und am Ende lehnte er sich zurück und erzählte von einem Prozess, in dem ein Mandant überraschend gestanden hatte, seine Geliebte umgebracht zu haben. Es war eine lange und verwickelte Geschichte, insbesondere verstand ich nicht, wieso ein Mann, der schon eine Frau hatte, noch eine weitere brauchte, nur um ihr dann die Hände um den Hals zu legen und zuzudrücken.

Das Zudrücken schilderte mein Onkel ganz genau. Und wie der Mörder die Tote ausgezogen und gewaschen hatte. Und wie die Frau am Ende doch noch gar nicht tot gewesen war, und der Mandant sie noch einmal töten musste, damit sie ruhig war und sich nicht mehr bewegte und schrie. Dies alles erzählte mein Onkel stundenlang. Mit einer für seine Verhältnisse sparsamen Gestik vollzog er all die Bewegungen, die der Mandant auch vollzogen haben muss, nur ohne Opfer natürlich. Als er die Fäuste zusammendrückte, um zu zeigen, wie fest der Mörder zugedrückt haben muss, um das Zungenbein zu brechen, konnte man die Knochen auf seinem Handrücken sehen.

Jahre später, ich war vielleicht 17 oder 18, stand ich mit einem Freund auf einem Hochstand im Wald. Es war frühmorgens, die Nacht war vielversprechend, aber tatenlos verlaufen. Ich war müde, und die Welt leuchtete in unberührter und schweigender Reinheit, als der Freund anlegte und schoss. Als er sich neben dem Wild hinkniete, den Fangschuss verteilte und schließlich das Wild aufbrach, stand ich hinter ihm. Er griff kräftig zu, mit ungebremster Kraft führte er das Jagdmesser und strahlte schwitzend und befleckt, als wir zum Wagen gingen. Ab und zu sah er mich an und lächelte dann ein bißchen unsicher und leicht verschämt.

Mein Onkel behandelte meine Tante stets mir Respekt und einer spürbaren Distanz, die sich als ein ironisches Lächeln in seinen Mundwinkeln festgefressen hatte. Mein Freund von damals lächelte mich nie so an wie den toten Rehbock, und so mag es wohl sein, dass die Liebe, das Beisammensein unter Gleichen, nie den selben Grad an Intensität erreicht, nie die Leidenschaft und das ungebrochene, runde, volle Gefühl.

Vielleicht gibt es die vitale Besinnungslosigkeit der Begeisterung, des Rausches nur in Zusammenhang mit dem fließenden Blut und jenen Handlungen, die vor dem seichten Fluss von Intellekt und Ironie bestanden. Vielleicht ist das, wovon die Liebe uns ein schattenhaftes und verzerrtes Abbild liefert, das Verlieren unser selbst, den lustvollen Untergang im Absoluten, nur der ferne und gebrochene Abklatsch eines Wesens, das unmittelbarer und wahrer war als wir es sein werden, weil es näher ist an den Quellen, von denen wir uns weit entfernt haben. Vielleicht ist das Glück eine schwarze und düstere Angelegenheit, vor der wir zu recht zurückschrecken.
engl - 20. Mär. 2005, 22:25 Uhr

gefällt mir, ausgezeichnet. (muß an EM Foster, A Passage To India denken, weiß aber nicht warum.)
Modeste - 21. Mär. 2005, 10:55 Uhr

Da verneige ich mich doch schwer geschmeichelt. Danke, danke. So sollten alle Tage beginnen.
sebas - 20. Mär. 2005, 22:56 Uhr

Heute deprimieren Sie mich ein wenig.
creature - 20. Mär. 2005, 22:57 Uhr

ich lebe gern in leichtigkeit und alles töten ist mir gräuel, ich kann mich menschen gar nicht nähern die lebewesen getötet haben.
jeden von uns wird eines tages der tod den atem nehmen und wir den kampf verlieren, davor möcht ich davon nichts wissen.
engl - 20. Mär. 2005, 23:00 Uhr

könnte ein fehler sein, sich mit den gewaltigen dingen nicht schon einmal ein bißchen vorher zu beschäftigen. aber darum geht es in dem text gar nicht, glaube ich. es geht ziemlich sehr ums leben. oder?
Modeste - 21. Mär. 2005, 10:54 Uhr

@creature: Das kann man sicherlich so sehen. Aber Frau Engl hat recht - hier geht es nicht um das Ende des Lebens, sondern um das Leben selbst. Blendet man die brombeerdunkle, intensive Seite des Lebens aus, so bleibt nur eine dünnflüssige Lebenslimonade zurück, fürchte ich.
Booldog - 21. Mär. 2005, 1:37 Uhr

[Edit: wurde dem Thema nicht gerecht, b.]
croco - 21. Mär. 2005, 15:49 Uhr

Darüber habe ich mir schon oft Gedanken gemacht, du triffst es auf den Punkt.
Ich kenne das, wie Menschen aussehen, wenn sie Tiere töten. Es hat was mit Macht zu tun und auch etwas mit selbst leben wollen. Blut ist , was in uns selbst fließt und sollte selbstverständlich sein. Es ist nur nicht sichtbar.Und was zaubert es in die Gesichter, die es anblicken.
Als Kind habe habe ich ältere Menschen gefragt, ob sie schon jemanden umgebracht habenund wie das gewesen wäre. Einer hat mir ehrlich geantwortet, von zwei anderen wusste ich es so. So kenne ich also drei Möder. Einer war bei der SS, der andere hat jemanden in den Rücken geschossen und der Dritte war der Mann einer Freundin und ist für andere Dinge verurteilt worden.
So ist das, der Lack ist dünn.
Modeste - 21. Mär. 2005, 16:45 Uhr

Das Erschreckende dabei ist, dass es vielleicht wirklich nur eine Lust gibt, und die des Tötens und die andere nicht nur benachbart sind, sondern nur zwei Facetten derselben Sache, die sich nur durch den Grad ihrer Sagbarkeit unterscheiden.
kid37 - 21. Mär. 2005, 21:40 Uhr

Mein Freund von damals lächelte mich nie so an wie den toten Rehbock...
Was für ein schöner Satz.

Archaische Rituale haben eine besondere Kraft, vor der die meisten von uns heutzutage zurückschrecken. Initiationsriten haben meist alle mit Blut zu tun, und die Kraft von Blut, sein (abstoßend-anziehender) Geruch ist häufig stärker als man(n) selbst. Es gibt auch nicht wenige Momente, wo Sexualität - ganz archaisch - mit Blut verbunden ist.

Ich bin mir aber dennoch nicht sicher, ob die "Kunst" des Tötens, der Sexualität, des Gebärens gegensätzlich oder nicht doch miteinander verbunden sind. In unserer differenzierten und aufgespaltenen Welt haben wir ja für alles Spezialisten. Vielleicht bleibt nur deshalb die Ironie, der distanzierte Respekt als Ausdruck des Glücks.

Geht man den einen Weg weiter oder den anderen zurück?
Modeste - 21. Mär. 2005, 22:52 Uhr

An diesem Scheideweg hat man vermutlich kaum eine Wahl, und wir werden sitzen bleiben mit diesem verdünnten Glück, dem das scharfe Wasser der Ironie den Blutgeruch nimmt. Die Brechnung des Bewusstseins, ist sie einmal erfolgt, lässt sich wohl kaum mehr rückgängig machen. Der Versuch, den Ironiemodus auszustellen, bleibt in der Regel ja erfolglos. Aber schade ist es doch um das volle Glück, nicht?
Booldog - 21. Mär. 2005, 22:57 Uhr

Es gibt das "volle Glück" nicht - ebensowenig wie es im Räuber-Beute-Zyklus eine Phase gibt, in der beide - Jäger und Beute - je die maximale Populationsstärke erreichen. Ein Jäger, der kein ruhiges Blut behält, trifft nämlich nicht. So einfach ist das.
Modeste - 21. Mär. 2005, 23:11 Uhr

Es muss das volle Glück geben. Irgendwo unter den Schichten von Bewusstsein, Kritik, Reflexion und Selbstbeschau gibt es einen Kern, der zu schlichten, unzweideutigen Gefühlen in der Lage ist. Ich habe von diesem Kern nur einen Abglanz gesehen, aber er ist da.
Booldog - 21. Mär. 2005, 23:15 Uhr

Ich wollte doch nur meinen Zweifel ausdrücken, daß es "ihr und sein volles Glück" gleichzeitig gibt. Das Diktum einer Ex-Bekannten gebe ich ein andermal zum Besten. Herrlich, herrlich, sage ich nur.
Booldog - 21. Mär. 2005, 23:18 Uhr

Was texte ich eigentlich für Bullshit? Nur ganz am Anfang gibt es solches Glück wohl nie. Aber ich habe es schon erlebt, daher kann ich sagen, daß es das gibt. (Aber der Rückweg von diesem Glück ist wie der einer Biene, die einen Warmblütler gestochen hat. Sämtliche Eingeweide bleiben hängen und werden herausgetrennt.
[Hach, Herr B., sind wir heute wieder pathetisch! *Fächerstups*])
Modeste - 22. Mär. 2005, 9:57 Uhr

Gibt es das Glück nicht überhaupt nur am Anfang, um dann zwischen Wochenendarrangements und Mittagspausen zu versinken? Nein, im Ernst: Glück hat mit der Frage, ob es "sein und ihr" Glück gleichzeitig gibt, gar nichts zu tun. Der Geliebte ist letztlich doch eher Gefäß oder Anlass, Droge, was auch immer. Die Liebe ist eine so einsame Sache wie alles andere.
Booldog - 22. Mär. 2005, 10:10 Uhr

Ich verstand unter "Anfang" die Anbahnungsphase und nicht die erste Zeit miteinander. Und wenn Dein letzter Satz stimmt (ich weiß es nicht), dann sollte doch eigentlich alles ganz einfach sein.

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