Goldene Zeiten
Wieso er ausgerechnet mich gegooglet und angeschrieben hat, mag der Teufel wissen, aber vielleicht war ich wirklich die einzige Person, die während der letzten Schuljahre mit dem armen Kerl aus war, dessen Sozialstatus in der Jahrgangsstufe kaum mehr messbar war, ohne dass ich jemals herausgefunden hätte, wieso.
Ein guter Teil seiner Probleme lag vermutlich in der Tatsache begründet, dass er sich mit seinem hoffnungslosen Status offenbar nicht bereit war abzufinden. Nach den Gesetzen dieses 11. Jahrgangs war er unberührbar, und die Tatsache, dass er trotzdem Mädchen ansprach und einlud, wurde von meiner frischgebackenen Banknachbarin als eine unglaubliche Frechheit und unzumutbare Belästigung betrachtet.
Ich war neu in der Schule und neu in der Stadt. Seine Anfrage nach einer Tasse Tee im Garten seiner Eltern stieß schon deswegen auf freundliches Interesse, weil es die erste Einladung war, noch am zweiten Tag nach meiner Ankunft. „Ihhh!“, gluckste meine Banknachbarin. „Der ist eklig. Der geht gar nicht. Du musst auf jeden Fall absagen, nachher will der noch was von dir.“ Natürlich ging ich hin.
Mit der Banknachbarin freundete ich mich nicht an, dafür mit einigen anderen Kameraden, die meine gelegentlichen Besuche bei dem Jahrgangsparia extrem skurril und ziemlich lustig fanden. Den Schneid, ihn zu meiner Abiparty einzuladen, hatte ich leider trotzdem nicht, und nach der Schulzeit sah ich ihn nie wieder.
Er sei gelegentlich in Berlin, hatte er vor ein paar Wochen geschrieben, ich schrieb darauf etwas, in dem die Worte „mal einen Tee“ und „melde dich doch mal“ vorkamen. Er rief sofort an.
„Hey,“, versuchte ich zu bremsen, „ruf einfach kurzfristig an, und ich sag an, ob ich Zeit habe.“ „Nein, nein“, kam zurück. Es müsse auf jeden Fall klappen. Ewig nicht gesehen. Alte Freundschaft.
Na gut. Montag abend also. Aber Montag abend war ich krank – oder zumindest ein bißchen unpässlich, zu wenig gut beisammen, jedenfalls, um mich irgendwo mit irgendwem zu treffen. So rief ich an und sagte ab. Er war ein bißchen enttäuschter, als angemessen. Heute morgen lag dann ein Brief im Briefkasten, er muss ihn gestern nacht eingesteckt haben, ohne zu klingeln.
Er habe, schreibt er, mich treffen wollen, um herauszufinden, ob da noch etwas sei. Er habe der verpassten Chance lange hinterhergetrauert. Er sei zu schüchtern gewesen, um mich direkt anzusprechen, hoffnungslos verliebt und unbeholfen. Und nun wolle er doch einmal wissen, mehr zehn Jahre später, ob es die Chance gegeben habe, von der er bis heute nicht wisse, ob sie tatsächlich bestand.
Und nun weiß ich nicht, ob ich wirklich ehrlich sein soll, oder ihm die Erinnerung an Jahre, die für ihn quälend gewesen sein müssen, ein bißchen vergolden soll, nachträglich.
Ein guter Teil seiner Probleme lag vermutlich in der Tatsache begründet, dass er sich mit seinem hoffnungslosen Status offenbar nicht bereit war abzufinden. Nach den Gesetzen dieses 11. Jahrgangs war er unberührbar, und die Tatsache, dass er trotzdem Mädchen ansprach und einlud, wurde von meiner frischgebackenen Banknachbarin als eine unglaubliche Frechheit und unzumutbare Belästigung betrachtet.
Ich war neu in der Schule und neu in der Stadt. Seine Anfrage nach einer Tasse Tee im Garten seiner Eltern stieß schon deswegen auf freundliches Interesse, weil es die erste Einladung war, noch am zweiten Tag nach meiner Ankunft. „Ihhh!“, gluckste meine Banknachbarin. „Der ist eklig. Der geht gar nicht. Du musst auf jeden Fall absagen, nachher will der noch was von dir.“ Natürlich ging ich hin.
Mit der Banknachbarin freundete ich mich nicht an, dafür mit einigen anderen Kameraden, die meine gelegentlichen Besuche bei dem Jahrgangsparia extrem skurril und ziemlich lustig fanden. Den Schneid, ihn zu meiner Abiparty einzuladen, hatte ich leider trotzdem nicht, und nach der Schulzeit sah ich ihn nie wieder.
Er sei gelegentlich in Berlin, hatte er vor ein paar Wochen geschrieben, ich schrieb darauf etwas, in dem die Worte „mal einen Tee“ und „melde dich doch mal“ vorkamen. Er rief sofort an.
„Hey,“, versuchte ich zu bremsen, „ruf einfach kurzfristig an, und ich sag an, ob ich Zeit habe.“ „Nein, nein“, kam zurück. Es müsse auf jeden Fall klappen. Ewig nicht gesehen. Alte Freundschaft.
Na gut. Montag abend also. Aber Montag abend war ich krank – oder zumindest ein bißchen unpässlich, zu wenig gut beisammen, jedenfalls, um mich irgendwo mit irgendwem zu treffen. So rief ich an und sagte ab. Er war ein bißchen enttäuschter, als angemessen. Heute morgen lag dann ein Brief im Briefkasten, er muss ihn gestern nacht eingesteckt haben, ohne zu klingeln.
Er habe, schreibt er, mich treffen wollen, um herauszufinden, ob da noch etwas sei. Er habe der verpassten Chance lange hinterhergetrauert. Er sei zu schüchtern gewesen, um mich direkt anzusprechen, hoffnungslos verliebt und unbeholfen. Und nun wolle er doch einmal wissen, mehr zehn Jahre später, ob es die Chance gegeben habe, von der er bis heute nicht wisse, ob sie tatsächlich bestand.
Und nun weiß ich nicht, ob ich wirklich ehrlich sein soll, oder ihm die Erinnerung an Jahre, die für ihn quälend gewesen sein müssen, ein bißchen vergolden soll, nachträglich.
von: Modeste Schublade: Datum: 22. Mär. 2005, 12:20 Uhr