Im Pausensommer

Einen ganzen langen Sommer irgendwann in der zweiten Hälfte der Neunziger lagen wir am Pool einer Freundin, deren Eltern so gut wie nie daheim waren. Das Haus lag am Ende der Welt zwischen Kornfeldern und Laubwäldern, die als ein grüner Saum den flirrenden Himmel und das zunehmend trockene Gelb der Felder trennten. Vorbei kam nur, wer eingeladen war, es gab keine Nachbarn, es gab keine Straße, nur einen Feldweg, der von einer Bundesstraße aus kilometerweit durch die Hügel führte, bis hinter einer Taxushecke schließlich das Haus auftauchte, ein weißer Bungalow am Ende der Welt.

Wir waren zu fünft damals, lagen um den Pool herum, und wenn ich mich richtig erinnere, dann hatte ich in diesem Sommer den letzten Bikini an, den ich jemals mein eigen nannte, ein Neckholder, schwarz, mit weißen Nähten. Auf den beiden Photos, die ich noch habe, schaue ich mir fröhlich und sonnenverbrannt entgegen, einmal mit Sonnenbrille und einmal ohne. Der Freund, mit dem die Liebe damals zu Ende ging, befand sich irgendwo auf dem Balkan, und der, der erst noch mein Freund werden sollte, fuhr durch die USA. Ab und zu schrieben sie Briefe, die ich vielleicht einmal die Woche aus meinem Briefkasten zog, um dann hochzugehen in meine erhitzte, leere Wohnung, in der der Staub immer dicker auf den Regalen lag, und mit ein paar frischen Kleidungsstücken in der Tasche wieder abzuziehen.

Am Abend zogen wir uns Jeans über die Bikinihosen, befeuerten hin und wieder den gemauerten Grill, und tanzten ohne Zuschauer auf dem Gras. Die Gastgeberin sprengte den Rasen und spritzte uns mit dem Schlauch nass, wenn eine gerade nicht aufpasste. Nachts schlief ich in einem riesigen Gästebett, dessen andere Hälfte meine damals beste Freundin einnahm. Den einzigen Mann, den ich wochenlang sah, war der Gärtner der Eltern der Gastgeberin, der einmal die Woche vorbeikam und die Beete pflegte.

Ein paar Monate später heiratete die Gastgeberin, zog davon, und der Abend der Hochzeit war der letzte, den ich in dem Garten verbrachte, in einem luftleeren Raum zwischen den Akten, erfüllt von Musik, Hitze und Gelächter.

Die Gastgeberin ist inzwischen geschieden und denkt daran, ihr damals abgebrochenes Studium doch noch zum Ende zu bringen. 34 ist sie inzwischen, wohnt wieder bei den Eltern und das ist schwierig, mit Kind. Die beiden Schwestern aus meinem Semester, rotblonde Zwillinge, sitzen wieder im Badischen, Richterin ist die eine geworden, und ein Kind hat die andere, nachdem es mit dem Job nicht klappen wollte. Die Richterin ruft nie zurück, ihre Schwester dafür um so häufiger an. Es gehe ihrer Schwester nicht gut, sagt die mit dem Kind, und dass das Ende der letzten Beziehung nun auch schon zwei Jahre her sei. Der Mann habe sich nicht scheiden lassen wollen von der Frau, die halt schon da war. Gesundheitlich gehe es ihrer Schwester auch nicht gut. Wie es ihr selber geht, sagt sie selten. Die Karriere ihres Mannes läuft ziemlich gut, und eine passende KiTa hat sie auch gefunden.

Mein ehemals beste Freundin und nach wie vor gute Freundin lacht immer noch ziemlich viel, mag ihren Beruf, wenn auch nicht ihren Arbeitgeber, und könnte etwas mehr verdienen für die Arbeitszeiten und die Verantwortung und sowieso. Gut schaut sie aus, wenn sie mal in Berlin ist, oder ich bei ihr, was ungefähr alle sechs Monate der Fall ist in den letzten Jahren. Sie ist ein wenig üppiger geworden mit den Jahren, aber nicht dick, und den Grübchen und dem wunderschönen, dicken Haar schauen nach wie vor Männer nach, wenn sie im Café sitzt und lacht. In ihrer geschmackvollen Wohnung in einem schönen Stadtviertel der großen Stadt, in der sie lebt, wo die Bäume rauschen, hat seit dem Einzug aber noch kein Mann übernachtet, und das ist nun auch schon wieder drei Jahre her. Als ich sie anrief, um meine letzte Trennung durchzugeben, hat sie mich gewarnt, etwas sei vielleicht besser als nichts. Und es werde schwieriger werden, als ich denke, nicht allein am Frühstückstisch zu sitzen all die Jahre, die noch kommen.

Vor ein paar Tagen hat sie mich wieder angerufen. Die Gastgeberin in jenem Haus am Ende der Welt verbringe den Sommer allein im Haus, die Eltern seien auch diesen Sommer nicht da. Und ob ich auch kommen wolle, vielleicht nur ein paar Tage, oder auch eine Woche, wenn es denn passt. Und dass es doch schön wäre, gemeinsam grillen, am Pool liegen und im Garten tanzen, wenn keiner zuschaut.
croco - 12. Apr. 2005, 20:57 Uhr

Das ist aber

eine schöne Geschichte......
Sie riecht sogar nach Sommer, und nach Zeiten, die vergangen sind.
Einen wunderschönen Sommer wünsche ich Ihnen und dem anderen Fräulein.
safari - 13. Apr. 2005, 10:51 Uhr

gehen Sie hin!
Modeste - 13. Apr. 2005, 13:30 Uhr

Selbstverständlich fahre ich - aber es wird ein wenig traurig werden, fürchte ich.
pathologe - 13. Apr. 2005, 15:57 Uhr

Wie steht es bei Robman so schön als Überschrift?

Geschichte jedoch ereignet sich immer zwei Mal: Das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Welcome to the loop...

Wobei ich das erste Erlebnis nicht unbedingt als Tragödie sehen würde, aber der Loop...
Booldog - 13. Apr. 2005, 17:21 Uhr

Traurig - ach was.

Zwei Frauen um die 30, erfolgreich, attraktiv, saturiert, die bisher aus ihrem Leben das Beste gemacht haben, von bösen Rück- und Schicksalsschlägen verschont worden sind, die, auch wenn sie zufällig gerade das statistisch nicht allzu unwahrscheinliche Single-Los vereint, dabei allerbeste Chancen auf dem Single-Markt de luxe haben (wenn auch das Angebot auf der Attraktivitätsskala nach oben hin naturgemäß etwas dünner wird).

Feiert Euer Single-Dasein, das Euch die Freiheit gibt, jederzeit in der Sommerfrische zusammenkommen zu können, ohne daß Euch Anhang irgendwelcher Art daran hindert.
Feiert es, solange es noch geht!
Modeste - 13. Apr. 2005, 18:10 Uhr

Was haben wir erwartet, von den jahren, die kommen, und was hat sich davon wirklich ereignet - und ich kann nicht einmal mehr sagen, was ich erwartet und gewünscht habe.
Booldog - 13. Apr. 2005, 18:21 Uhr

Vielleicht ist es sogar besser so. Ich lerne mit zunehmendem Alter - wenn auch leider nur sehr langsam - meinen Wünschen und Erwartungen zu mißtrauen.
Gerade bin ich zum Fenster gegangen, das auf eine bekannte Touristenstraße führt, und habe versucht, mir den von damals vorzustellen, der vor knapp 7 Jahren da unten mit seiner Liebsten entlanggeschlendert ist. Fremder könnte mir jemand nicht sein.
TEMPORA MUTANTUR NOS ET MUTAMUR IN ILLIES

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