Auflösung folgt nicht nach
Schade ist auch, dass, anders als bei manchem Erzeugnis der Literatur oder auch in Filmen, im echten Leben die Erklärungen meist nicht nachgeliefert werden. Auflösungen dergestalt etwa, dass ein am Geschehen unbeteiligter, aber umfassend informierter Dritter am Ende daherkommt und erklärt die Motive und verborgenen Handlungen der Akteure, kommen praktisch nicht vor. - Dass nicht die damals durchaus minderjährige Modeste, sondern höchstwahrscheinlich ihre kleine Schwester an den Kühlschrank geschlichen war und alle Cocktailkirschen von der großmütterlichen Geburtstagstorte genommen hat, wird sich so wohl nie aufklären vor den Augen der Welt. Und gleichfalls nie wird ans Licht kommen, wer damals, im Sommer 1992, zum Englischlehrer Dr. F. gegangen war und diesem erzählt haben muss, was ich von ihm und seinen Haaren in den Ohren und überhaupt von der englischen Sprache wirklich hielt.
Könnte in derartigen Fällen vielleicht noch ein fleißiger Kommissar ein bißchen spüren und graben, so schaut es in anderen Fällen noch einmal anders aus. Unwegsam ist nämlich das weite Land der Seele, verschlossen hält der Mund in vielen Fällen die Gedanken, und zu gern wüsste man aber trotzdem, ob der X. sich nur nicht getraut hat, mich zu küssen, oder einfach kein Interesse hatte. Ob der Y. sich wohl gemeldet hätte, hätte ich ihm am Morgen der Abreise aus nicht mehr völlig nachvollziehbaren Gründen nicht nur einen Gruß an die Tür geklebt, sondern meine Telephonnummer dazu? Im Film, auf der Bühne, würde der X. einen Monolog halten, beim Rasieren etwa, und den Zuschauern wäre völlig klar, was der X. vom Fräulein Modeste hält. Der Y. würde so ungefähr in der zweiten Hälfte eines Romans einer Freundin im Park erzählen, was ihm beim Anblick des kontaktmöglichkeitslosen Klebezettels durch den Kopf gegangen, und der Leser wüsste Bescheid. Auch in dieser Hinsicht erweist sich das echte Leben wieder einmal als der Kunst hoffnungslos unterlegen.
Könnte in den Fällen von X. und Y. immerhin noch der jeweilige Herr zumindest theoretisch Aufklärung schaffen, so ist dies in einer weiteren Kategorie der Unwissenheit vollends unmöglich. Ob ich gut daran getan habe, die Rechte zu studieren, und nicht etwa Klassische Philologie? Welche Wendungen mein Leben genommen hätte, wäre ich letzte Woche nicht nach Riga , sondern nach Wales gefahren, weiß kein menschliches Wesen zu sagen. Ein zweites Leben, nur um die Alternative einmal auszuprobieren, steht mir zumindest meines Wissens auch nicht zur Verfügung, und so wird es unklar bleiben, ob es klug und längst überfällig war, Hannover damals zu verlassen, oder ein blödsinniger Kardinalfehler, nicht wieder gut zu machen, und jetzt ist alles vorbei mit Glück und Liebe? War der J. vielleicht der Richtige, oder war´s der E.? War es keiner von beiden, und wahres Glück wartet auf mich hinter tibetanischen Klostermauern?
Zumindest zu Lebzeiten wird mir keiner verraten, welche Wege sich eröffnet hätten, und noch am Ende wird es dunkel werden, ohne dass mir einer sagt, ob nun die Lungenembolie oder eine mörderische Krankenschwester mit Giftspritze das Ende herbeigeführt haben wird, und wer, statt mit meiner Leiche auf den Friedhof, fröhlich pfeifend ins Kaffeehaus geht.
Könnte in derartigen Fällen vielleicht noch ein fleißiger Kommissar ein bißchen spüren und graben, so schaut es in anderen Fällen noch einmal anders aus. Unwegsam ist nämlich das weite Land der Seele, verschlossen hält der Mund in vielen Fällen die Gedanken, und zu gern wüsste man aber trotzdem, ob der X. sich nur nicht getraut hat, mich zu küssen, oder einfach kein Interesse hatte. Ob der Y. sich wohl gemeldet hätte, hätte ich ihm am Morgen der Abreise aus nicht mehr völlig nachvollziehbaren Gründen nicht nur einen Gruß an die Tür geklebt, sondern meine Telephonnummer dazu? Im Film, auf der Bühne, würde der X. einen Monolog halten, beim Rasieren etwa, und den Zuschauern wäre völlig klar, was der X. vom Fräulein Modeste hält. Der Y. würde so ungefähr in der zweiten Hälfte eines Romans einer Freundin im Park erzählen, was ihm beim Anblick des kontaktmöglichkeitslosen Klebezettels durch den Kopf gegangen, und der Leser wüsste Bescheid. Auch in dieser Hinsicht erweist sich das echte Leben wieder einmal als der Kunst hoffnungslos unterlegen.
Könnte in den Fällen von X. und Y. immerhin noch der jeweilige Herr zumindest theoretisch Aufklärung schaffen, so ist dies in einer weiteren Kategorie der Unwissenheit vollends unmöglich. Ob ich gut daran getan habe, die Rechte zu studieren, und nicht etwa Klassische Philologie? Welche Wendungen mein Leben genommen hätte, wäre ich letzte Woche nicht nach Riga , sondern nach Wales gefahren, weiß kein menschliches Wesen zu sagen. Ein zweites Leben, nur um die Alternative einmal auszuprobieren, steht mir zumindest meines Wissens auch nicht zur Verfügung, und so wird es unklar bleiben, ob es klug und längst überfällig war, Hannover damals zu verlassen, oder ein blödsinniger Kardinalfehler, nicht wieder gut zu machen, und jetzt ist alles vorbei mit Glück und Liebe? War der J. vielleicht der Richtige, oder war´s der E.? War es keiner von beiden, und wahres Glück wartet auf mich hinter tibetanischen Klostermauern?
Zumindest zu Lebzeiten wird mir keiner verraten, welche Wege sich eröffnet hätten, und noch am Ende wird es dunkel werden, ohne dass mir einer sagt, ob nun die Lungenembolie oder eine mörderische Krankenschwester mit Giftspritze das Ende herbeigeführt haben wird, und wer, statt mit meiner Leiche auf den Friedhof, fröhlich pfeifend ins Kaffeehaus geht.
von: Modeste Schublade: Datum: 27. Jun. 2005, 0:17 Uhr
nicht so genau wissen zu wollen.
Dass man es nicht weiß, dass man täglich oft mit leichter und gedankenloser Hand Entscheidungen trifft, deren Tragweite man gar nicht überschauen kann, und vielleicht tausendmal an einem besseren Leben vorbeigelaufen ist, das macht mir manchmal schon ein wenig zu schaffen. Außerdem bin ich neugierig, und man wüsste´s ja gern. Was der A. wirklich denkt, ob man den B. hätte heiraten sollen, hätte man sollen Bademeisterin werden oder Auswandern.... keiner wird´s einem verraten, und so macht man vielleicht alles, alles falsch.