Urlaub
Ab und an sollte man für ein paar Tage oder Stunden Urlaub nehmen können vom eigenen Leben und ein anderer sein können, mit anderen Erinnerungen, anderen Begabungen und in einem anderen Körper stecken. Heute nacht vielleicht eine vierzigjährige Frau sein, die mit ihrem Mann daheim beim Wein sitzt, einen Film schaut, den ich nicht mögen würde, und hin und wieder mit der linken Hand über seine Schulter streicht, weil das warm ist und gut. Irgendwann müde werden auf dem gemusterten Sofa. Der Mann, ich den ich mich niemals verliebt hätte, schaltet auf Zehenspitzen den Fernseher aus, und zöge die andere, die ich gerade wäre, sanft ins Bad und dann zu Bett. - Vielleicht auch einmal ein Mann sein, mit Freunden durch die Bars zu ziehen, schnalzen, wenn eine Frau den Raum durchquert, und soviel Bier zu trinken, wie ich es niemals könnte noch täte. Einen anderen Gang zu gehen, in aller Selbstverständlichkeit, und genau zu wissen, welcher Fußballverein wann welche Meisterschaft gewonnen hat. Auf dem Heimweg an Lieblingsgerichte zu denken, die ich im Leben nicht essen würde. Schweinekrustenbraten zum Beispiel. Oder gefüllte Milz.
Ein Kind zu sein, das eine fremde Mutter staubige Straßen entlangziehen würde auf dünnen Beinen und weinen wollen, weil es kalt ist, und der Weg noch lange nicht zuende. Auf der Straße sitzen und auf jemanden warten, der mir Geld geben würde für etwas zu essen oder das gefälschte Glück aus den Laboren oder von den Mohnfeldern Afghanistans. Vielleicht ein Tier sein, spielende Muskeln. Ein Stern. Etwas, was im Boden wartet, um irgendwann zu keimen.
Vielleicht, wenn ich jemand wäre in meiner Urlaubsexistenz, der lesen kann und schreiben, würde ich mir eine Postkarte schicken: "Liebe Modeste, die diesjährige Unterkunft ist wirklich schön, über das Essen kann man sich nicht beklagen, und einmal musst auch Du in diesen Zipfel der Welt fahren, in dem es sich zu leben lohnt." - Tage später, wenn ich wieder zurück wäre aus dem anderen Leben, würde ich die Postkarte finden und lächeln, und mich an das fremde Sein erinnern wie an einen fremdartigen und wirren Traum.
Ein Kind zu sein, das eine fremde Mutter staubige Straßen entlangziehen würde auf dünnen Beinen und weinen wollen, weil es kalt ist, und der Weg noch lange nicht zuende. Auf der Straße sitzen und auf jemanden warten, der mir Geld geben würde für etwas zu essen oder das gefälschte Glück aus den Laboren oder von den Mohnfeldern Afghanistans. Vielleicht ein Tier sein, spielende Muskeln. Ein Stern. Etwas, was im Boden wartet, um irgendwann zu keimen.
Vielleicht, wenn ich jemand wäre in meiner Urlaubsexistenz, der lesen kann und schreiben, würde ich mir eine Postkarte schicken: "Liebe Modeste, die diesjährige Unterkunft ist wirklich schön, über das Essen kann man sich nicht beklagen, und einmal musst auch Du in diesen Zipfel der Welt fahren, in dem es sich zu leben lohnt." - Tage später, wenn ich wieder zurück wäre aus dem anderen Leben, würde ich die Postkarte finden und lächeln, und mich an das fremde Sein erinnern wie an einen fremdartigen und wirren Traum.
von: Modeste Schublade: Datum: 6. Aug. 2005, 23:50 Uhr
Schwingt da nicht leis die Sehnsucht mit dem eigenen Leben zu entfliehn?
Wenn auch nur für kurze Zeit, oder ist es mehr der Wunsch zu schauen,
wie die anderen das machen mit dem Leben?
Ich wünschte mich eher an die eine oder andere Weggabelung meines
Lebens zurück, von der man damals nicht mal wusste das es eine war,
um den anderen Abzweig zu nehmen, anders zu handeln, den anderen
Satz sagen. Aber vieleicht würde das alles ändern und ich säße jetzt in,
na sagen wir Finsterwalde, hätte einen Vollbart und einen dicken Bauch.
Na ja, ich wüßte es dann aber auch nicht besser.
Es ist schön Ihnen zuzuhören.