Auch nicht

Träge lastet die Sonne auf meinem Rücken, und zwischen den einzelnen Sätzen des Nachsommers schließe ich die Augen und höre dem Summen der Gespräche zu, im Weinbergspark, Ende Juli, nachmittags um fünf. Die Schritte höre ich nicht, aber dann flucht jemand laut zu meinen Füßen, und kaltes Bier schäumt über meinen Knöchel. Ich drehe mich um. „Pardon.“, entschuldigt sich ein schlanker, dunkelblonder Herr, erklärt, über meine Beine gestolpert zu sein, und bietet ein Bier an als Schadensersatz.

Wer er ist, was er macht, erzählt mir dann der Mann neben mir auf der Bastmatte, und zerstreut höre ich ihm zu, und blinzele in die Sonne, die noch Kraft hat zu dieser Stunde. „Lass uns mal was trinken gehen.“, sagt er schließlich. Ich nicke, denke „warum nicht“, und sage: „Gern.“, diktiere meine Telephonnummer in sein Handy, und er winkt mir hinterher auf dem Weg nach Haus.

„Wie schaut es aus bei Dir?“, fragt er am Dienstag, er sei verreist gewesen eine Woche, und ob ich am Mittwoch Zeit hätte. Nein? Am Donnerstag müsse er auflegen irgendwo, vielleicht aber am Freitag? Um neun Uhr abends sage ich, im 103, und dann überlege ich, ob ich ihn eigentlich erkennen würde, denn schlank und blond sind ja so viele, und mein Gedächtnis nur gut, wenn es um Worte geht.

Lebhaft, stetig strömend, fließt dann der Freitagnachmittag zwischen den Tischbeinen des Kaffeehauses hindurch, spült mich von der Choriner Straße ostwärts Richtung Kollwitzplatz, löst sich auf im spanischen Wein, und irgendwann ist es spät, zu spät eigentlich für meine Verabredung, und ich schicke meiner Verspätung eine SMS hinterher. Es werde ein wenig später. Er säße mit Freunden, teilt er mit, ich könne mir Zeit lassen, und ich trinke noch ein Glas Wein, sehe dem Fließen der Zeit zu, die stetig schneller zu strömen scheint, und vergesse das 103, vergesse den Mann aus dem Park, und die Nacht treibt mich noch ein Stück weiter ostwärts, dem Morgen entgegen. Als ich vor der Bar auf der Straße stehe, ist es hell.

„Schade.“, summt mein Handy gegen Mittag, und ich schüttele lächelnd den Kopf.
rationalstürmer - 14. Aug. 2005, 11:19 Uhr

Frauen...
die-stimme-der-freien-welt.de - 14. Aug. 2005, 15:25 Uhr

Manchmal ist der Konjunktiv ja auch schöner als der Indikativ.
Modeste - 15. Aug. 2005, 9:05 Uhr

Jedr Indikativ pflegt ja unzählige Konjunktive hervorzubringen, und beim Schönheitswettbewerb Die beste aller möglichen Welten soll die Wirklichkeit, hört man aus berufener Quelle, ja sogar recht weit vorne liegen.
che2001 - 14. Aug. 2005, 15:26 Uhr

@rationalstürmer: ja eben!
moccalover - 14. Aug. 2005, 19:53 Uhr

Traurig oder fröhlich? Sieg oder Niederlage? Souveränität oder gleichgültiger Fatalismus?

Wunderbar, Frau Modeste! Ich mag diese Stimmung, die Sie da bei mir heraufbeschwören. Die Beschreibung, wie die Zeit und die Relvanz der Dinge in Gaststätten - nicht (nur) wegen des Alkohols - ihre Grösse ändern können, kommt mir bekannt vor.
Modeste - 15. Aug. 2005, 9:12 Uhr

Ja, sobald es dunkel ist, fangen die Dinge zu fließen an, ändern Form und Gestalt. Als Kind ängstigen einen diese Verzerrungen. Die Erweiterung der Welt, die scheinbare Außerkraftsetzung ihrer Regeln bei Nacht, gehört zu denjenigen Dingen, die ich an Städten liebe - am Land ist die Nacht zum Schlafen da, und nur in der künstlichen Nacht der großen Städte gewinnt die Dunkelheit noch das Magische, Strömende.
moccalover - 15. Aug. 2005, 10:37 Uhr

Schön gesagt. Ich bin ja eigentlich kein grosser Nachtlebenkonsument, ausser im Privaten, denn schlaflos bin ich schon oft. Spätnachts werden die Dimensionen anders und alle Dinge leichter. Vielleicht hat man deshalb die "Geisterstunde" erfunden, weil die Nacht schon immer etwas letztlich nicht Beherrschbares, und nicht einfach ein Tag ohne Licht, ist. Auf dem Lande? Gähn, Sie haben vollkommen recht, fast, jedenfalls, auch eine Nachwanderung in der Natur hat ihre Eigenheiten.
Thot - 15. Aug. 2005, 13:39 Uhr

Diese Ihre Fähigkeit, Frau Modeste, aus einer alltäglichen Begebenheit, aus dem Nichts eine kleine, feine, spannende Geschichte zu formen, die Tiefe auf den ersten Blick nur erahnen und damit Raum lässt, sie mit eigenen Gedanken auszufüllen, begeistert mich immer wieder aufs Neue.
Modeste - 15. Aug. 2005, 20:26 Uhr

Danke.
psss - 17. Aug. 2005, 10:40 Uhr

also ganz ehrlich, jetzt wunderts mich nicht mehr warum sie keine "neuen" männer in ihrem
leben haben, werte modeste! zumindest eine chance hätte er verdient und so ein bisschen aufregung im
leben wirkt auch unterstützend fuer ihre diät ;-)

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