In Würde altern
"Der Lack ist ab.", kommentiert der M. unseren kollektiven Zustand und liegt damit absolut richtig. Das Berufseinstiegsfett, das jeder ansetzt, wenn er seinen ersten Job mit Besprechungskeksen und fettem Business Lunch antritt, wird rund um den Tisch mehr statt weniger. In den irgendwann mal dunkelblonden Haaren des M. sieht man inzwischen ziemlich viele graue Haare und ein bißchen Kopfhaut, und der S., schräg gegenüber an diesem Terassentisch am Ende der Welt entlang der Radstrecke 1 aus S. schlauem Buch über Fahrradfahren in Berlin, hat haupthaarbezogen inzwischen einen Zustand erreicht, den man als "meliert" bezeichnen könnte.
Die I., sagt sie, bekäme langsam feine Fältchen auf der Oberlippe, und die M., wie ich höre, an den Augen. Wenn ich morgens aufwache, wirke ich seit ein, zwei Jahren schon ziemlich zerknittert, weil meine generelle Spannkraft halt nicht mehr dieselbe ist wie vor zehn Jahren, und dass der Kellner in diesem Ausflugslokal irgendwo in der Nähe des Tegeler Sees uns siezt, liegt vermutlich nicht nur daran, dass das "Sie" hier allgemein gebräuchlicher ist als im heimischen Prenzlauer Berg: Ich bin auch in den Innenstadtbezirken inzwischen mehrfach zurückgesiezt worden, wenn ich - unbedacht, man ist ja noch nicht lange alt - Verkäuferinnen oder Kellnerinnen geduzt habe. Man fühlt sich dann immer ein bißchen peinlich und plump.
"Da kommt jetzt nicht mehr viel Neues bis zur Rente.", behauptet die M. ein paar Stunden später in meiner Küche, in der ich Pasta für alle koche, und ich rühre wortlos in der Pfanne mit den Möhren und dem Sellerie, weil mir nichts einfällt, was ehrlich klingt, aber nicht ganz so deprimierend.
wenn ich heute an 30 oder jünger zurückdenke, kann ich nur noch die hände über den kopf zusammenschlagen. und trotz kennengelernter cousine und neffen kann ich nur sagen: der einzige echte und dauerhafte kick, den es im leben gibt ist ein partner, an dem man sich reibt und mit dem man wächst. täglich. dagegen ist alles andere total langweilig.
Ansonsten liebe Madame, ergänzen Sie doch Ihre Liste mit "Designerkleid", "Sternerestaurant", "Festspiele", "edles Hotel", Sonnenaufgang beim Aufstehen und nicht beim Zubettgehen, nein sagen können, heim gehen können - ein Heim haben - Art Deco Sofa kaufen etc pp
und was die äußere Schönheit betrifft - fast jede Frau, die ich seit Jahren kenne, sieht heute mit Ende 30 wesentlich besser aus als vor 15 Jahren...
* und im gegensatz zu früher ihren ersten "richtigen" höhepunkt sogar davor!.