Journal :: 17.10.2010

Ich bin müde. Ich bin vormittags drei Stunden durch Mitte gelaufen und habe dem Stiefsohn unseres Besuchs Berlin gezeigt. Ich habe zu wenig geschlafen und hätte gern noch ein bißchen länger gefrühstückt und dabei Zeitung gelesen. Ungelesen liegt die Süddeutsche neben dem Sofa und wartet auf eine ruhige halbe Stunde.

Jetzt aber wird es dunkel in der Schaubühne. Die Bühne wird durch Leuchtstäbe illuminiert. Die Bühne selbst ist überflutet, das scheint gerade modern zu sein, im Prinz von Homburg vor ein paar Monaten im Deutschen Theater sah das auch schon so aus, nur rot und nicht schwarz, und Was Ihr wollt spielte in einer Arena aus Schlamm.

Auf der Bühne stehen ein paar Stühle im U. Auf den Stühlen sitzen Othello und Desdemona, Cassio und Jago sitzen nebeneinander, und im Laufe des Abends wird die Bühne mal gekippt, mal begibt man sich zu Heimlichkeiten zwischen die durchsichtigen Wände aus Leuchtstäben, und auch wenn Desdemona ein wenig blaß bleibt, auch wenn die Musik sich bisweilen einen Moment zu lange gefällt, nimmt die Geschichte um Ausgrenzung und Rivalität, falsche Freunde und echte Liebe mich mit. Ich schelte Othello für seine Gutgläubigkeit, ich ärgere mich über den törichten Rodrigo, ich hasse Jago aus ganzem Herzen und werde dann doch für Sekunden zum Intriganten iauf der Bühne, der mit feinnerviger, gieriger Sensibilität für die Schwäche Othellos spielt, siegt und doch alles verliert. Als Desdemona werde ich sterben.

Kalt ist es dann, als ich spät vor der Schaubühne stehe. Der Lehniner Platz ist so weit weg von daheim in diesem viel zu frühen Winter, und zu Hause schlafe ich ein, um etwas Fremdes, Verworrenes zu träumen, das nach Zimt und Muskat riecht, nach Benzin und dem Staub von Bahnhöfen am anderen Ende der Welt und wünsche mir, halb schon erwacht, ich wäre mehr gereist in den letzten zwei Wochen.

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