Journal :: 24.11.2010
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Tschick mag. Die von Wolfgang Herrndorf im Roten Salon vorgelesenen Passagen sind gut, keine Frage. Ich würde sehr gern weiterlesen (das Buch liegt vorerst ungelesen bei mir daheim), ich würde mir noch lieber immer weiter von Herrndorf vorlesen lassen, aber ob ich das Buch mag, weiß ich trotzdem nicht so genau, und erst Stunden später, als die charmante Frau Casino nach Hause gefahren ist, und auch Mek und K., als ich mit dem J. noch eine halbe Stunde in den Nebeln der Bar 3 gesessen habe, irgendwann auf dem Weg heim durch die dunkle, aufgerissene Greifswalder Straße, da fällt mir ein, dass ich Tschick vielleicht nicht so mag, weil ich solche Jungs wie den Erzähler Mike nicht so mochte, als ich 14 war, weil sie nur die Tatjanas mochten, die schönsten Mädchen der Welt, und nicht so ganz normale Mädchen wie mich.
Sehr, sehr albern ist das, so ein nachträgliche Vorwurf, schelte ich mich später und putze meine Zähne. Vollkommen klar ist es doch, dass jeder Junge mit 14 das schönste Mädchen der Welt heiraten will, und dann wird er dreimal zurückgewiesen, scheitert drei Jahre später bei der zweitschönsten Frau der Oberstufe, und dann sucht er sich die Freundin, die er halt so bekommt. Die schönen Frauen schminkt er sich ab, bis er 45 ist und ziemlich erfolgreich.
"Eine blöde Kuh bist du!", sehe ich mir fest in die Augen. Es ist keine Kategorie für ein literarisches Werk, ob man solche Leute mag, wie die, von denen ein Buch handelt, schärfe ich mir ein. Wo käme man andernfalls hin mit Richard III.? Aber gesessen hat es doch, diese Jahre irgendwann früher, wenn ein paar Romanauszüge reichen, um in die Haut eines kleinen Mädchens zurückzufallen, an das ich mich ungern erinnere, weil es ein bißchen sperrig war, ein bißchen trotzig, ein bißchen bockig, nicht so sehr hübsch und ganz bestimmt kein Mädchen, an das irgendwer wehmütig denkt, irgendwann später.
Man soll nicht seine Zeit mit Figuren vertun, zu denen man keine Nähe spürt. Man lebt ein Stückchen eigenes Leben in der Zeit, in der man mit einem Buch und dessen Protagonisten Stunden und Tage verbringt. Deswegen darf man das. Ich erlaube mir das aus einem Abstand zu sagen, weil ich weder das Buch noch Wolfgang Herrndorf persönlich kenne. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich es für mich behalte, wenn ich etwas nicht mag, was jemand schrieb oder tat, dem ich Sympathie entgegenbringe. Blöder oder höflicher Opportunismus. Immer schön geschmeidig. Steht ja auch oft nicht dafür, dass man herumbellt. Ach. Ich wusste von der Lesung, sie fiel mir auf, weil anschließend an selber Stelle Danielle de Picciotto und Alexander Hacke ihre Record Release machen wollten. Aber ich war nicht in Stimmung, weder für das eine, noch das andere. Die beiden im Anschluss waren mir dann auch zu spät. Aber es scheint doch eine schöne Lesung gewesen zu sein. 'Ganz normale Mädchen wie mich' halte ich für eine nicht einmal kokett gemeinte Schieflage der Perspektive. Bzw. frage ich mich, welcher mir unvorstellbare Superlativ mit schönstem Mädchen gemeint sein könnte. Ja, wie schön denn noch.
Aber vielleicht haben wir es hier auch mit diesem Phänomen zu tun, dass die schönsten Frauen den Glauben an die eigene Schönheit nicht stabilisieren können, weil sie es zu selten hören. Denn jeder denkt ja, die hört das doch dauernd. Und hört es nie. Und hält sich für durchschnittlich. Oh là là. Das schreibe ich einer der schönsten
BloggerinnenFrauen unter der Sonne ins Poesiealbum. (Herzensschön außerdem.)