Ob da nichts fehlt
Ach, denke ich auf dem Rad zurück ins Büro. Ist denn niemand mehr verliebt? Leben fast alle Menschen, die ich kenne, längst zu zweit in ihren Wohnungen, sitzen abends mit einem Glas Wein auf dem Sofa und betrachten ihren langjährigen Partner wohlgefällig als eine hochgeschätzte Selbstverständlichkeit, die man ungefähr so gut kennt wie seinen Unterarm? Ist das aufregendste Ereignis im Leben aller meiner Freunde das Warten auf eine Schwangerschaft, auf den Tag, an dem das Kind sitzt, spricht oder sich aufrichtet oder die Suche nach dem absoluten Haus?
Haben denn Kinder und Häuser den Nerv komplett ausgebrannt, der früher anfing zu zucken, wenn man einen Abend mit jemand ausgegangen ist, der einem schön und spannend und wild und klug erschien? Denkt eigentlich niemand mehr außer mir, wenn er tolle Leute trifft, ob er die auch hätte haben können und wie die wohl so ohne alles aussehen und ob es schön wäre, mit denen, oder irgendwie anders als das, was man hat.
Ob den anderen denn nichts fehlt, überlege ich mir und trete in die Pedale. Heiß ist es heute, so heiß wie früher, als der Sommer noch nach Abenteuern roch, nach Asphalt und blühenden Bäumen und Hundehaufen und Bier und Parfum. Heute abend aber wird in meiner Welt trotz Sommer nichts mehr passieren, denn die Sommer für mich, so scheint's, sind vorbei, und was mir bleibt, ist vielleicht nur ein kühler Herbst mit fallendem Laub und ruhigen, klugen, abgeklärten Gesprächen weit abseits von Lachen, von Flieder, von Sommernächten und Rauch.