Über Urlaub

Sonntag, 23. September 2012

Menschenfeindschaft auf Reisen

Menschen, die mich oberflächlich kennen, halten mich manchmal für freundlich und gesellig. Menschen, die mich etwas besser kennen, wissen: Das ist alles Fassade. In Wirklichkeit bin ich misanthrop. Das merkt man mal mehr und mal weniger. Wenn es um Urlaub geht: Eher mehr.

Dass ich keine Animation mag und keine Musik am Strand gehört da noch eher zu den unauffälligen Zügen meiner Menschenfeindlichkeit. Das geht den meisten Leuten so, die ich kenne. Wie ich im Laufe der Jahre festgestellt habe, gehöre ich aber auch unter gesitteten Menschen zu einer Minderheit, weil ich Urlaubsbekanntschaften grundsätzlich ablehne. Der J. und ich möchten auf Reisen wenig sprechen, es sei denn, miteinander. Unsere gemeinschaftliche Abneigung gegen andere Leute erstreckt sich dabei sowohl auf Einheimische als auch auf andere Touristen.

Am besten schweigt es sich eigentlich in Ferienwohnungen, aber da müsste ich selbst aufräumen. Das mache ich nicht mal zu Hause. Insofern: Hotels. Gern auch einmal landestypisch pittoresk, aber am liebsten ein altes Schloss, ein Grandhotel, so etwas mit respektvoll schweigende Lakaien. Spiegelnde Böden, polierte Möbel, Fünf-Uhr-Tee und Bodenvasen. Schwer fallender Chintz vor den Fenstern.

Nun aber gibt es ein Problem: Ich möchte nicht erleben, wie mein Sohn F. einerseits eine Meissner Porzellanfigur zerstört, andererseits aber selbst beim Robben auf den Marmorböden von einer umgekippten Amphore zerstört wird. Außerdem schreiben manche der schönen, alten Hotels schon auf ihrer Homepage, dass sie Kinder aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen. Andere machen es sich einfach und räumen einfach keine Kinderermäßigung ein. Ich bin nicht geizig, aber ein vierstelliger Betrag dafür, dass der F. in einem mitgebrachten Bettchen neben unserem Bett schläft: Nein.

Scheiden damit schöne, alte Hotels aus, weil der F. da unerwünscht ist, und kleine, niedliche, moderne Hotels, weil man da mit den Leuten sprechen muss, so bleiben - soll es warm sein und am Meer - eigentlich nur Strandhotels. Also so große. Da gibt es natürlich auch solche und solche, wie der Volksmund so sagt. All inclusive mit dem damit verbundenen schrecklichen Publikum überlebe ich nicht. Leider fallen da ziemlich viele Hotels gleich weg. Andere sind perfekt, aber schwer erträglich. Es stand also eine längere Suche an nach Hotels, die gut aussehen, einen umfassenden Service bieten, Kinder mögen, aber ansonsten keine Konversationsbereitschaft voraussetzen, und - trotz ihrer Kinderfreundlichkeit - alles für eine ruhige, wenn möglich eher kontemplative Atmosphäre tun. Außerdem soll es Berge und Meer, eine Stadt und Ausgrabungen und nicht zuletzt fabelhaftes Essen geben.

Ich habe gesucht. Die Suche hat sich als schwierig erwiesen. Ich habe trotzdem gebucht. Ich bin gespannt, aber skeptisch.

Ich werde berichten.

Donnerstag, 20. September 2012

Weg, aber

In die Türkei wollen wir nicht, beschließen der J. und ich und starren schockiert auf die Bilder riesengroßer Hotels mit 4 Buffets, 12 Wasserrutschen, 20 Tennisplätzen und 600 Zimmern, die man im Internet sehen kann: Es sieht scheußlich aus. Und laut. Und nach schrecklichen Leuten. Da will ich nicht hin.

"Eilat!", schlage ich vor, aber der J. will mit dem F. in kein Land fliegen, das möglicherweise morgen dem Iran den Krieg erklärt, denn dieser ist sehr, sehr gefährlich, und vielleicht haben die ja doch schon die Bombe, von der alle sprechen, und wir sehen alt aus. Beziehungsweise tot. "Ach, was!", beschwichtige ich den J., aber der bleibt fest. Israel scheide aus. Moslemische Länder, in denen gerade Massen von Leuten auf die Straße gehen, weil sie nicht kapieren, dass der liebe Gott sich nicht für Blasphemie interessiert, suchen wir gleichfalls nicht auf. Außerdem nerven mich Leute, die mir laut und aufdringlich Dinge verkaufen wollen, die ich nicht will.

Asien wäre gut, aber leider haben wir nur eine Woche. In dieser Woche dann zwei Tage komplett im Flugzeug zu sitzen, ist eigentlich blöd. Für vier Tage Ko Chang oder so lohnt sich das nicht. Außerdem passt der F. nicht mehr ins Flugzeugbettchen, und Lust, lange stillzusitzen hat er vermutlich auch nicht. Der F. ist sehr, sehr brav, aber alles hat seine Grenzen.

Kurzzeitig schauen wir uns Bilder von Sansibar an. Sansibar hört sich gut an und sieht auch gut aus. Vielleicht ein bißchen langweilig, aber nicht zu öde für eine Woche. Dann aber lese ich irgendwo, wie weit Sansibar weg ist, und klicke Sanisbar weg. Das also auch nicht. Also Afrika überhaupt. Entweder zu islamisch oder mit allzu langem Flug verbunden. Außerdem habe ich spießigerweise ein bißchen Angst, der F. könnte krank werden, und der lokale Medizinmann ihn nicht wirksam behandeln. Ich glaube nämlich nicht an traditionelle Medizin.

Am Ende schaue ich mir Bilder von La Gomera oder Gran Canaria an und fühle mich irgendwie langweilig und alt. "Was machen eigentlich die anderen Leute?", frage ich den J., der gleichfalls mutlos die Schultern zuckt. Wir sind doch nicht die einzigen Leute, die Ende Oktober eine Woche wegfahren wollen, bekräftigen wir uns gegenseitig, dass es da irgendetwas geben muss, was schön sein soll, warm, am Meer, nicht einsam, aber auch nicht voller unangenehmer, hässlicher Leute, und nicht weiter als vier Stunden weg. Gutes Essen wär auch nicht zu verachten.

Sonntag, 3. Juli 2011

Die Bräunungsaussparung

Am Samstag kommen wir also in Ahlbeck an. Am Sonntag ist das Wetter eher soso. Am Montag aber knallt die Sonne. Ich sitze am Strand, blaues T-Shirt, Shorts und Flip-Flops. Im Gesicht: Eine riesige Sonnenbrille. Rechts rauscht die Ostsee, links liegt die kleine Tochter von Freunden in der Strandmuschel ihrer Eltern, in der Mitte liege ich auf dem Bauch und lese Nabokov. Ab und zu drehe ich mich um und döse in den blauen Himmel über der Ostsee. Irgendwo am unteren Ende meines Gesichtsfeldes kann man die Seebrücke von Ahlbeck sehen.

Es ist warm. Ich schließe die Augen, ich höre dem Meer zu und dem halblauten Quaken des Kindes, das im Laufe des Nachmittags total viel Sand isst und sich darüber schrecklich freut. Man könnte demnächst auch etwas essen, denke ich mir, wenn auch eher keinen Sand, ein Fischbrötchen vielleicht oder eine Waffel oder vielleicht auch beides. Vernünftigerweise sollte ich weder das eine noch das andere verzehren, sondern mich dauerhaft auf Magermilchjoghurt und Äpfel spezialisieren, aber - so beruhige ich mich - im Urlaub gelten andere Gesetze. Außerdem bin ich mit meinen stämmigen 65 Kilo Kampfgewicht auf Usedom eine der zehn schlanksten Frauen über 30 überhaupt, denn hier sieht jede Frau ab 25 aus, als hieße sie mit Vornamen Mutti.

Abends nehme ich die Sonnenbrille wieder ab. Ich bin braun geworden, stelle ich fest, trotz des LSF 20-Sprays. Ganz gut sieht das aus, finde ich, denn trotz aller gegenläufigen Propaganda halte ich Blässe zwar für gesundheitlich wünschenswert, aber nicht für so sonderlich hübsch. Wohlgefällig betrachte ich also meine Beine, auch meine Arme sind okay braun und nicht rot. Dann aber stockt mir der Atem. Mein Gesicht ist nur sehr partiell braun. Um meine Augen herum klaffen riesige, weiße Flecken. Herr im Himmel, denke ich mir. Die Sonnenbrille.

Das wird schon wieder, beruhige ich mich und beschließe, die nächsten Tage auf die Sonnenbrille zu verzichten. Wenn alles nichts nützt, werde ich die Sonnenbrille die nächsten Wochen auch in geschlossenen Räumen und bei Regenwetter tragen. Kommt es ganz schlimm, helfe ich mir Bronzing Powder nach, und wenn alles nichts nützt, setze ich auf das Mitleid und die Diskretion meiner Umgebung in Umgang mit diesem Problem.

Bitte sagen Sie also nichts.

Montag, 27. Juni 2011

Nichts für mich

Man darf sich da nicht blenden lassen: Usedom atmet durchaus den Charme vergangener Zeiten. Es sind allerdings nicht die Zeiten, an die man denkt, wenn man etwas von "Kaiserbädern" liest und an den schön restaurierten Villen vorbeiläuft, die sich die Berliner Bankiers der vorletzten Jahrhundertwende an die Ostsee gestellt haben. Das ist alles da, es sieht auch gut aus, aber es prägt nicht den Geist des Ortes, wie man so sagt, die Atmosphäre hat nichts mit der Opulenz des Fin de siècle zu tun, nicht einmal in einer preussisch-kargen Version. Wer hier spazieren geht, trifft nicht Max Liebermann. Wer hier Urlaub macht, trifft Erich Honecker. Der ist nämlich gar nicht tot. Der lebt hier und hält sich fit mit Nordic Walking.

Hier gibt es noch Rentner, die beigefarbene Westen tragen, und Rentnerinnen, von deren Donnerbusen ein Motivshirt im Winkel von 90° zum Boden hängt. Hier hört man mehr sächsisch als auf dem Bahnhof von Leipzig. Hier fahren Leute in komplettem Sportdress von Tchibo so langsam auf Fahrrädern herum, dass die Helme ganz und gar logisch erscheinen: Die Gefahr, umzukippen, ist verhältnismäßig groß, wenn man sehr, sehr langsam fährt.

Hier haben Frauen bis 50 grundsätzlich zwei Haarfarben - rot und schwarz etwa - und Frauen, die älter sind, eine kurze, graue Dauerwelle. Die meisten Leute wirken irgendwie teigig und verformt. Ich kann nicht schätzen, wie alt diese Menschen sind, aber ich fürchte, viele sind jünger als man so denkt.

"Was macht man hier eigentlich abends?", frage ich mich irgendwann so gegen neun und schaue durchs Fenster auf die Strandpromenade und über den Strand aufs Meer. Es ist menschenleer. Hier scheint es keine Bars zu geben. Das einzige Kino hat, wie ich höre, inzwischen dicht. Einkaufen ist auch ein eher mageres Vergnügen. Wenn die anderen nicht wären, wenn der J. und ich hier allein herumsäßen, dann wäre das hier nichts für mich, und auch so schließe ich die Augen und denke an Kampen, an Cannes, an Sanary-sur-Mer, und beschließe, dass man sich das hier mal anschauen kann, dass man mit der I. und dem S., der M. und dem M., ja fast überall hinfahren kann, aber dass ich hier nicht wieder herkommen werde, denn hier bin ich falsch.

Montag, 9. Mai 2011

Westwärts wehn

Zehn Stunden Bangkok - Berlin sind eigentlich ziemlich gut. Unterwegs döse ich ein bißchen, während unter uns Taschkent, Dushanbe, lauter tolle Namen, dahingleiten. Die Berge kann man sehen, trocken und braun unter den Wolken. Da will ich hin, sage dem J., der neben mir döst und etwas schwer Verständliches murmelt.

Die anderen Leute im Flugzeug sind mir durchweg unsympathisch, denn wenn ich müde bin, neige ich zur Misanthropie und hasse sie alle: Die Leute, die ich schon deswegen für Sextouristen halte, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass jemand freiwillig mit ihnen schläft. Die braungebrannten schrecklich robusten Paare mit zu blonden Haaren und zu großen Zähnen. Die Späthippies mit ihre bescheuerten Batikhängern, die faltigen Frauen, die stolz ihre gefälschten Handtaschen schwenken. Die hässlichen Kinder.

Weil ich schon in Bangkok nichts mehr zu lesen hatte, lese ich jetzt Tender is the Night innerhalb einer Woche zum zweiten Mal. Ich habe das Buch mit 20 schon einmal gelesen und auch damals gemocht. Von der Vergeblichkeit der Liebe schien es mir damals zu handeln, weil sich Dick und Nicole Diver lieben und sich doch nicht retten können. Von dem, was wir verlieren, wenn wir altern, handelt das Buch jetzt, beim Wiederlesen mit 35, und ich schaue mit einem Schauder, der vor 15 Jahren noch nicht da war, Dick Diver auf seinem Weg vor die Hunde zu. Ich habe Angst davor, alt zu werden, denke ich und schaue auf die blendend weißen Wolken herab. Ich will nicht 50 sein.

Unter uns zieht das Schwarze Meer vorbei. Nun geht es schnell. Um mich herum wachen Leute auf. Schon sind wir in Europa, Rumänien müsste das sein. Das schwarze Europa hat kürzlich ein Bekannter diesen Teil der EU genannt, und ich habe verlegen gelacht, weil ich das überheblich fand, unverschämt, und gleichzeitig genau wusste, was er meint.

Und doch schon vorbei. Über Polen sinkt das Flugzeug langsam ab, durchstößt die Wolken, und man kann Seen ausmachen, dunkelgrüne Wälder. Die Leute, die mir vor Müdigkeit so unsympathisch sind, fangen an, in ihren Sachen zu kramen. Solche Leute haben es ja immer so eilig, denke ich, was ungerecht ist, weil ich es auch immer eilig habe und mir nur mehr Mühe gebe als jene, dass man das nicht so merkt.

Am Ende aber sitzen wir im Taxi. "Prenzlauer Berg?", fragt der Taxifahrer, weil man damit bei Leuten um die 35 vermutlich meistens richtig liegt. Wir nicken und fahren heim. Zu müde bin ich um zu schlafen, zu aufgekratzt, um jetzt daheim zu bleiben. "Willkommen Berlin!", denke ich, weil ich nirgendwo so gern bin wie hier, und dann laden wir unser Gepäck zu Hause ab, streicheln die Katzen, ziehen uns um und fahren nach Mitte. Eine Flasche Cygnus, ein Roastbeef von der Temmener Queen Tagliata und eine Zigarette auf der Terrasse des Grill Royal an der Spree, und hinter dem Bode Museum leuchtet der Fernsehturm Heimat und Freude mir zu.

Donnerstag, 5. Mai 2011

Ein Bild von einem Oger

"Das bin doch nicht ich?", rufe ich erschreckt aus und drehe mich nach dem J. um. Auf den Bildern von unserer Wanderung im Dschungel bei Mae Hong Son sieht man ganz deutlich einen Oger. Aus unerklärliche Gründen hat der Oger meine Hosen an, er trägt mein blaues Shirt, einen Rucksack auf dem Rücken und balanciert plump und etwas unbeholfen über einen Baumstamm.

Auch auf den anderen Bildern ist der Oger zu sehen. Er sieht zufrieden aus. Auf manchen Bildern lacht er sogar. Er trinkt Wasser, er macht auf einem großen Stein an einem Wasserfall eine Pause, er schwitzt fürchterlich, wie Oger es eben tun. Der Oger mag den Wald, wie es scheint, klar: Oger leben schließlich immer im Dickicht und verstecken sich in Höhlen. Dies scheint auch auf diesen Oger zuzutreffen, denn er ist dermaßen bleich, als habe er seit Monaten keine Sonne mehr gesehen.

Wie der Oger die lange Wanderung überstanden hat, weiß die Hölle. Der Oger sieht extrem unsportlich aus. Dabei macht der Oger einen zufriedenen Eindruck, vermutlich mag er die riesigen Bäume, den Fluß, die Einsamkeit am Ende der Welt, wo man vier Stunden lang laufen und niemanden treffen kann. Der Oger schaut Schmetterlingen hinterher, der Oger isst einen Keks. Vor der Schlange, die sich über den Trampelpfad schlängelt, hat der Oger sich erschreckt, aber die war so schnell, die hat der J. nicht photographiert.

"Sehe ich wirklich so aus?", frage ich vier Tage später sehr niedergeschlagen den J. und schaue mir die Ogerbilder genau an. Der J. beschwichtigt. Der J. hat es ohnehin nicht leicht mit mir, die ich sehr gern reise und sehr ungern am Strand liege, und nur wegen des J. überhaupt auf diese Insel mitgekommen bin. "Das bin doch nicht ich.", versuche ich noch einmal, den Oger abzuleugnen. Der J. lacht. "Mein kleiner Oger.", zieht er mich freundlich an den Ohren und macht das Licht aus.

Mittwoch, 4. Mai 2011

Der Urlaub der anderen

Morgens um acht wache ich also auf. Die Klimaanlage hat die Raumtemperatur auf angenehme 20° C heruntergekühlt, ohne dabei schrecklich zu lärmen. Der J. wälzt sich neben mir und lächelt mich freundlich an. Irgendwo hinter den noch zugezogenen Vorhängen wuchert ein üppiger tropischer Garten, hinter dem Garten liegt das Meer, überwölbt von einem straff gespannten, azurblauen Himmel.

Der angemietete Bungalow ist aus Teak und sieht wirklich gut aus. Der Pool ist perfekt, das Meer noch besser. Es ist immerzu warm und sonnig, das WiFi läuft tadellos. Heute morgen hat der J. Pancakes gegessen mit gegrillten Bananen, ich habe Eggs Florentine bestellt. Die Kellner lächeln. Es gibt nicht so besonders viele andere Gäste, und die, die es gibt, sind ziemlich ruhig. Der J. ist nicht zuletzt aus diesem Grunde den ganzen Tag gut gelaunt. Nachmittags stellen die Zimmermädchen uns Kekse und Tee auf die Terrasse. Am Strand sind maximal zehn Menschen zu sehen. Diese Menschen baden oder sie lesen.

Auch ich bade und lese. Allerdings dauert das Baden und Lesen maximal zwei Stunden. Auch zum Einkaufen brauche ich nicht mehr als eine Stunde. Ausflüge werden hier zu anderen Stränden angeboten, das reizt mich nicht so, weil ich keine Ahnung habe, was ich da dann machen soll, wenn ich erst da bin. Da sitze ich also, es ist ungefähr zwölf, und frage mich, wie eigentlich die anderen so etwas aushalten, was denen durch den Kopf geht den ganzen Tag, ob sie sich auch langweilen, ob sie auch nach Hause wollen, und ob sie sich jetzt auch in ihren Bungalow unter die Klimaanlage legen und sich Geschichten ausdenken, die natürlich nicht am Strand spielen - was soll da auch schon groß passieren - sondern irgendwo in großen Städten, zum Beispiel in Berlin. Berlin.

Dienstag, 3. Mai 2011

Drei Karten aus dem Paradies

Liebe Mama,

hier ist es sehr schön warm und grün. Wir sind gut untergekommen; Adam war ein paar Stunden vor mir da und hat alles vorbereitet. Auch die Verpflegung ist sehr gut, es gibt jeden Tag all inclusive Fisch, Fleisch und frische Früchte. Das Obst pflücken wir übrigens direkt von den Bäumen. Das Management hat an alles gedacht: Äpfel, Birnen, Ananas, Bananen - auch jede Menge Früchte, von denen ich noch nie gehört habe. Nur von einem Baum dürfen wir nicht essen, der ist dem Management vorbehalten. Reicht ja aber auch so; ich habe schon zwei Kilo zugenommen, die müssen wieder weg!

Alles Liebe, auch vom Adam
Deine Eva

***

Liebe Kollegen,

ist bei Euch auch so schönes Wetter? Wir haben hier rund um die Uhr mindestens 25° C. Geregnet hat es bisher nur nachts. Adam und ich können nur morgens joggen, später wird es zu warm. Leider hat Adam ziemlich zu tun; das Management hat ihn spontan beauftragt, die hier ansässigen Tiere zu benennen. Mit solchen Jobs hat er ja viel Erfahrung. Ich vertreibe mir die Zeit also meistens allein und mache viel Sport. Ab und zu spreche ich mit der Schlange, die ist recht kurzweilig, ansonsten ist es hier etwas einsam, aber natürlich trotzdem sehr schön.

Euch eine ruhige Zeit, macht keine Dummheiten und viele liebe Grüße
Eure Eva

***

Hey Süße,

der Garten Eden ist nichts für mich. Es ist zwar alles da, aber ich weiß schon zwei Stunden nach dem Frühstück nicht mehr, was ich machen soll. Adam muss hier Tiere benennen und lässt sich Namen einfallen, da ist das Ende von ab. Unglaublich. "Opossum" oder "Nasenbär" sind noch das Geringste. Ich weiß nicht, warum er immer noch jeden noch so blöden Job annimmt.

Du fehlst mir! Ohne Freundinnen macht das alles keinen Spaß. Außer der Schlange gibt es hier niemandem, mit dem man mal ein Schwätzchen halten kann, und die spricht immer nur über den Baum, dessen Früchte wir nicht essen dürfen. Auf die Dauer ist das auch kein abendfüllendes Thema, schließlich steht uns hier alles andere zur Verfügung. Ich bin mir außerdem sicher, so gut schmecken die verbotenen Früchte nun auch wieder nicht. Okay, probieren würde ich schon, wenn es keiner mitbekommt, aber Du kennst ja Adam, der geht ja selbst morgens um drei nur bei grün über die Ampel ... Vielleicht spreche ich heute abend mal mit ihm über diesen Baum, aber vermutlich ist es hier wie mit allem: Wenn man ihn nicht vor vollendete Tatsachen stellt, wird nie etwas draus.

So, halb drei: Ich bin mit der Schlange zum Tennis verabredet. Sie spielt ganz gut, aber natürlich nicht so gut wie Du. Alles Liebe jedenfalls und bis bald

Deine Eva

Mittwoch, 27. April 2011

Reisen

Es gibt eine Reiseführer-Reihe, die heißt "Richtig Reisen", und jedesmal, wenn ich bei Dussmann davor stehe, schäme ich mich kurz - sehr kurz, nicht länger als ein Wimpernschlag - für den, der sich diesen Namen ausgedacht hat. "Richtig Reisen" ist der absurdeste Reiseführertitel überhaupt, diese schlecht verhohlene Angst, man könne vielleicht etwas falsch machen, gepaart mit verkniffenen Überlegenheitsgefühlen gegenüber allen anderen Leuten, die ganz sicher etwas falsch machen, halbnackt mit einem Eis in der Hand Kirchen heimsuchen zum Beispiel, Handtücher zu Reservierungszwecken auf Liegen legen und All-Inklusive-Hotels in Antalya buchen. Der Wunsch nach "Richtig Reisen" gehört, so scheint es mir, zu den Distinktionsmerkmalen älterer Lehrer in Abgrenzung zu denjenigen Eltern ihrer Schüler, die ihnen unsympathisch sind.

***

Jüngere Menschen, die ich kenne, gehen mit der Last, richtig zu reisen, deutlich diskreter um als die vorgenannten alten Lehrer. Wann immer möglich, behauptet der jüngere Mensch, er besuche vor Ort irgendwelche Leute. Das segnet dann auch Urlaubsorte ab, die der Reisende selbst als irgendwie unpassend empfindet. Die Westtürkei etwa. Ibiza. Der Besuch mag nur ein paar Stunden dauern, es mag sich um ein Kaffeetrinken handeln oder einen Drink an einer Hotelbar, aber einfach so mag offenbar keiner irgendwo hingefahren sein.

***

Der geheime Wunsch aller Reisenden ist es natürlich, so Reporter-Tim-haft irgendwo hinzufahren, also absichtslos in Ereignisse hineingezogen zu werden, die automatisch spektakuläre Ortsveränderungen auslösen (Nepal! Bordurien! Der Mond!), abseits einer Erlebnisse simulierenden Erlebnisindustrie jede Menge zu erleben, alles sieht super aus, und am Ende schreibt man auf den Frontblättern der Zeitungen darüber und erntet unsterblichen Ruhm.

Mittwoch, 20. April 2011

Ich packe einen Koffer

Nein. Eigentlich packe ich keinen Koffer. Ich werde einen Rucksack packen, den mir die M. Sonntag ausleiht, und mit dem Rucksack werde ich mich als Backpacker verkleiden, weil ich ansonsten ja immer hochseriös mit Rollkoffer herumreise und es ganz lustig finde, mich als jemand auszugeben, der ich nicht bin. Ein Rucksack also.

Weil ich in Asien zwar irgendwie einheimisch, aber in den Augen der Leute da gleichzeitig total fett aussehe, ist es fast egal, was ich anhaben werde. Ich trage deswegen Flip Flops, Sandaletten und ansonsten Chucks. Ich werde Kleider anhaben, so Hängerchen mit Spaghettiträgern, und vielleicht Shorts mit Tanktops. Für die Ortsansässigen bin ich sowieso das Walross, da ist das dann auch egal, und dem J. werde ich verbieten, mich zu photographieren.

Bücher habe ich gekauft. Ich lese E. M. Forsters A Passage to India, weil ich der letzte Mensch bin, der das noch nicht kennt. Es hört sich großartig an. Ich lese Ford Madox Ford. Ich lese Ian Mc Ewan Am Strand. Ich werde Houellebecqs Karte und Gebiet lesen, nachdem ich schon vorletzte Woche die Lesung in Berlin verpasst habe, zu der ich unbedingt hingehen wollte, aber dann war ich auch an diesem Abend bis elf im Büro und habe mich ziemlich geärgert.

F. Scott Fitzgerald lese ich vielleicht schon auf dem Hinweg durch. Ich habe Tender is the Night schon dreimal gelesen, aber wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann möchte ich dieses Buch noch einmal zum ersten Mal mal lesen. Außerdem habe ich den neuen Krausser im Gepäck.

Ein bißchen herumfahren werde ich und schleppe meine Bücher und mich durch das Land. Ein wenig irgendwo im Nichts am Meer werde ich sein, sehr entspannten Menschen bei der Entspannung zuschauen, baden in meinem Bikini, aus dem ich aus allen Seiten herausquelle, aber mit 35 ist das bekanntlich egal. Schreiben werde ich, weil ich mir eine Frau ausgedacht habe, die Dinge für mich tut, damit ich sie nicht erleben muss, und weil ich Berlin vermisse, wenn ich nicht hier bin, lasse ich sie durch Berlin laufen, und es wird Sommer sein dort wie hier.



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