Montag, 15. November 2010

Journal :: 14.11.2010

Als das Flugeug abhebt, schließe ich die Augen. Neben mir summt ein Junge von vielleicht 15 oder 16 Jahren Buchstücke einer Melodie ganz leise vor sich hin, und unter mir verschwindet Brüssel. Grau und trüb ist die Stadt, zu der ich gar kein so rechtes Verhältnis habe. Man isst gut in Belgien, das ja, man kann da wohnen, und wenn Freunde da wohnen, dann ist es mir lieber, als wenn man irgendwelche entlegene Orte im Nichts aufsuchen müsste, um sie zu sehen.

Zur EU dagegen habe ich ein rein pragmatisches Verhältnis. Die Schulbuchreden sind mir noch ein bißchen fremder als das, was sich andere Verwaltungseinheiten an Lorbeer flechten, und dem Wissen, dass hier eine Menge Musik spielt, und man mitspielen muss, wenn man nicht gänzlich aus dem Tak geraten will, ist nie eine emotionale Verbundenheit mit dem Projekt Europa gefolgt, wie sie am Ende doch an der Reichstagskuppel hängt oder am alten Plenarsaal am Rhein.

Ob es viele Leute gibt, für die das anders aussieht, frage ich mich und drehe den iPod etwas lauter. Good time to roll on, würde ich mitsingen, wenn auch ich 15 oder 16 wäre, und nicht 35 und auf dem Rückweg heim und so beladen mit Vergangenheit, dass es mir fehlt, wenn etwas keine hat, und sei es eine Behörde.

Donnerstag, 11. November 2010

Journal :: 11.11.2010

Für einen Moment bin ich wirklich verstimmt. Dabei ist alles bestens, keine Frage. Das Essen schmeckt, es schmeckt sogar sehr gut, und nicht einmal die laute Gruppe neben uns stört mich über meinem Kalbsbraten Girardi. Nur der Knödel irritiert mich. Dabei ist der Knödel gut. Ein wenig zu gut, will mir scheinen, und ich frage mich ernsthaft, ob es mir lieber wäre, der Knödel wäre schlechter. Der Knödel - und das ist das Problem - der Knödel schmeckt besser als meine.

Ein wenig sonderbar finde ich mich über dem Knödel. Ich gehe auch sonst gern Dinge essen, die ich selbst nicht kochen kann. Ich kann beispielsweise weder so gut wie kochen wie das Paris Moskau, noch schmeckt mein Sushi so gut wie im Sasaya. Ich backe auch mehr so eine Art Hausfrauenpizza. Der Knödel jedoch, der Knödel gehört zu meinem Küchenrevier, und wenn ein Knödel woanders besser ist als daheim, dann habe ich versagt.

(Blöde Kuh, denke ich mir, trinke noch etwas Wein und ordere mehr. Noch einen Knödel, denn Delegieren ist alles.)

Mittwoch, 10. November 2010

Journal :: 08.11.2010

Langsam füllt sich der Raum und inmitten der Endzeitarchitektur im Berghain beginnt Andreas Scholl zu singen. Makellos, rein, als gebe es einen Himmel voller Engel, quillt die Musik wie kristallklares Wasser in alle Ecken des Raumes. Mit geschlossenen Augen stehe ich und halte mich an meinem Glas fest, um nicht weggetragen zu werden vor Schönheit und Glück.

Als die Musik endet, gehe ich heim. Kalt ist die Stadt geworden. Den Winter kann man schon riechen. Die Fenster der Häuser werden dunkel, es wird unwirtlich in Berlin, trotz Musik und leiser Gespräche, und als ich zu Hause ankomme, stehe ich noch ein paar Minuten im Bad, hellwach und begeistert, und schaue mir fest in die Augen. Die Welt ist schön, sage ich mir, und ich bin es auch. Nur heute nacht.

Dienstag, 9. November 2010

Journal :: 07.11.2010

Im Deutschen Theater einen Sommernachtstraum auf die Bühne zu bringen, ist wahrscheinlich immer ein Wagnis. Nicht, dass irgendeiner der Gäste noch eine mehr als schattenhafte Vorstellung der Reinhardt-Sommernachtsträume hätte, aber vielleicht ist gerade der Nimbus so muskelstrotzend, dass ein echter Sommernachtstraum, leibhaftige Körper im Raum, gegen die Projektion des idealen Sommernachtstraums nur verlieren kann. Wenn der Sommernachtstraum - diesmal von Kriegenburg - auch eher so lala aussieht, ist die Fallhöhe vieleicht auch deshalb unfair hoch.

Die Schauspieler jedenfalls beweisen einmal mehr, dass das DT noch mehr als die anderen Berliner Häuser über eine qualitative Spreizung der beschäftigten Akteure verfügt, die eigentlich kaum zu erklären ist. Wieso stellt eine der ersten Bühnen der Republik ab und zu großartige, hinreissende Personen ein, und dann wieder Leute, die man sieht und auf der Stelle vergisst? Warum fällt niemand Kriegenburg in den Arm, wenn er den Puck, den großen Puck, den kleinen Bruder des großen Pan zu einer blässlichen Existenz im schwarzen Anzug herabwürdigt, an dem man fast vorbeisieht? Warum kreischen Hermia und Helena wie zwei Fischweiber? Was bedeutet es, dass die Handwerker alle verkleidete Frauen sind? Und wieso hat man bei der Renovierung des DT darauf verzichtet, die Beinfreiheit in den Rängen der Körpergröße neuzeitlicher Menschen anzupassen?

Das Bühnenbild immerhin ist gelungen. Ein großer Raum, drehbar, mit verstellbarer Hinterfront aus einem rötlich-braunen Furnier. Seitenwände aus Glas, zusammengesetzt aus vielen Quadraten, und den Wald eingesperrt in den Hohlraum zwischen den Scheiben. Durch die Äste fällt ein somnambules, wahrhaft sommernächtliches Licht, und manche Bilder, die Kriegenburg schafft, haben eine traumhafte, schwerelose Eleganz, die für sich steht und leuchtet. Insgesamt aber rundet sich der Bilderbogen nicht. Ein wenig unbefriedigt ob so wenig Magie zieht man davon, und auch das gute Essen im Toca Rouge lässt einen, nun, ein wenig hungrig nach dem schwarzen Zauber der Feen und dem, was wir brauchen, auch wenn wir es fürchten und es uns, wie wir wissen, zumeist nicht bekommt.

Sonntag, 7. November 2010

Journal :: 06.11.2010

Ausführliche Telefonate im Familienkreise haben ergeben, dass Körperpflege in meinem Leben nicht die Rolle zu spielen scheint, die ihr gebührt. Mit durchschnittlich vier kosmetischen Behandlungen pro Jahr kann ich die Rücklichter meiner weiblichen Verwandten im Rennen um eine gepflegte Erscheinung nur noch mit Mühe am Horizont ausmachen. Außer mir, so erfahre ich, geht jeder normale Mensch weiblichen Geschlechts jeden Monat zur Kosmetik und lässt Gesicht, Brust, Hände, Füße und Körperbehaarung professionell in Ordnung bringen. Ich bin verunsichert. Ich schaffe es vielleicht einmal im Quartal zu Kosmetikerin N., der leicht verfetteten Schönheitskönigin einer bulgarischen Kleinstadt. Die Erkenntnis ist bitter: Ich bin Modeste, das Mädchen aus dem Urwald.

Schlecht gelaunt und struppig liege ich auf dem Sofa und surfe ich ein bißchen im Netz. Die Schminktipps der Stars wenden sich an eine offensichtlich deutlich differierende Zielgruppe. Ich kann und will Megan Fox nicht zum Vorbild nehmen. Haben Sie Lindsay Lohan mal gesehen? Ich habe zwei Hautcremes aus der Apotheke, ein Make Up und zwei Lippenstifte von Rossmann. Ich kaufe da auch ab und zu die rosa Einmalrasierer, um nicht komplett zu verstrubbeln. Wo haben eigentlich andere Frauen das Wissen um das ganze Zeug her, das es in diesem Segment zu kaufen gibt? Woher weiß man überhaupt, welchem Hauttyp man angehört? Ich habe an sich keine Falten, aber ab und zu Pickel, wenn ich etwas sehr Fettes esse. Nennt man das Mischhaut oder ist das normal? Wieso gibt es eigentlich keine Creme für normale Haut? Habe ich schon reife Haut oder brauche ich eine Spezialcreme für große Poren? Ist meine pH-5,5-Body-Lotion Anti-Aging genug oder altere ich ohne besondere Pflege am Rest der Welt vorbei und sehe in wenigen Jahren so aus, als sei ich mindestens schlecht erhaltene 40, während alle anderen Frauen meines Jahrgangs sich nonchalant als 28 ausgeben können?

Möglicherweise, auch das muss man sicher erwägen liegt es gar nicht an fehlender Pflege. Vielleicht würde ich auch mit einer sehr guten und regelmäßigen Pflege noch immer eher als ein feiner Kerl und mehr so zufällig weiblich und nicht als eine Prinzessin vom Prenzlauer Berg eingeordnet werden. Vielleicht, so sinniere ich und koche mir einen Zintronengrasteee, vielleicht ist man erst Exponentin eines gewissen Typs, dann zieht dies einen gewissen Lebensstil nach sich, und dass ich am Samstag mittag wirklich meine Sachen packe, um mich in Mitte ein wenig verschönern zu lassen, ist ganz egal und völlig vergeblich.

(Zumal, wenn man nicht groß ausgeht, sondern Samstag abends einfach so zu viert mit dem R. und der I. im Cavallino Rosso etwas isst.)

Journal :: 05.11.2010

Erst letztens war in der ZEIT ein Titelthema über die Gefahren des Schlafmangels und dessen zunehmende Verbreitung. Ich habe den Artikel nicht gelesen, weil ich die ZEIT aus Versehen bei der I. liegen gelassen habe, aber ich nehme an, sie meinten mich: Ich gehe jeden Abend theoretisch so gegen 1.30 Uhr zu Bett. Praktisch schlafe ich aber nicht vor 2.00 Uhr ein. Morgens klingelt mein Wecker um 8.30 Uhr. In Wirklichkeit bin ich aber meistens um 7.00 Uhr wach, weil mein Kater gattungstechnisch zu den Feliden zählen mag, in Hinblick auf seinen Tagesablauf aber als eine Lerche angesehen werden muss, die ab 6.45 Uhr mit den Vorderpfoten auf der Bettkanten Radau schlägt und in schrillen Tönen nach Futter schreit. Aussperren kann man ihn kaum, außer, man kann schlafen, wenn vor der verschlossenen Tür im Flur die französische Revolution tobt und über Stunden freien Zugang zu den weichen Fauteuils der Paläste verlangt.

Mindestens einmal die Woche finde ich so spät nach Haus, dass der ganze nächste Tag leicht verrutscht. Ich gähne dann nicht von morgens bis abends, das nun nicht, aber das leichte Flirren in den Augenwinkeln, die etwas verzeichneten Farben, so eine gewisse Verlangsamung - man merkt das dann schon. Zwar war es Donnerstag nun nicht gar so spät, aber vor 2.30 Uhr war ich halt doch nicht im Bett, und der Freitag war, nun, doch eher etwas mühsam. Mit ein wenig Routine und viel Kaffee geht das alles, abends ist man dann ja auch wieder halbwegs fit genug für ein bißchen Sozialleben - schöner wäre es aber doch, man bräuchte schlicht weniger Schlaf. Wie man das anstellt, ist mir aber ein Rätsel.

Einfach mehr zu schlafen, ist jedenfalls keine Option. Ich arbeite so ungefähr von 9.30 Uhr bis 20.30 Uhr. Manchmal wird es noch später. Wenn ich dann noch irgendwo hingehen will, ist es zwangsläufig nach Mitternacht. Das Berliner Leben spielt sich tendenziell auch eher etwas später ab. Schnell nach Hause zu gehen und zu Bett, ist als Freizeitbeschäftigung zudem nicht so besonders atraktiv. Ich habe keine Ahnung, was andere Leute zu Hause unternehmen, das ihnen amüsanter erscheint als auszugehen; mich jedenfalls hat noch keine denkbare Alternative überzeugt.

In der Praxis finde ich mich mit der Müdigkeit einfach ab. Dass so wenig Schlaf nicht so richtig gesund sein kann, erscheint mir aber gerade an so etwas übermüdeten Tagen trotzdem einleuchtend. Das beunruhigt mich etwas. Napoleon etwa schlief angeblich nur vier Stunden pro Nacht, wurde - vielleicht deswegen - aber auch nur 52. Das kann man sich leisten, wenn man mit 35 Kaiser der Franzosen ist, ist man mit 35 aber nichts weiter als Anwalt in Berlin, gehört die lebensverkürzende Wirkung des Schafmangels vermutlich nicht mehr zu den Dingen, die man eben einfach so billigend in Kauf nimmt, und so richte ich an dieser Stelle einen dringenden Appell an die pharamazeutische Forschung: Unternehmen Sie irgendetwas. Machen Sie der Gottesgeißel Schlafbedarf endlich ein Ende. Und wenn Ihnen das nicht gelingt: Überzeugen Sie die Politik, per Gesetz den täglichen Beginn des öffentlichen Lebens auf 10.00 Uhr zu verlegen. Als Lobbyisten sind Sie doch angeblich ganz groß.



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