Zu Besuch

Aber manchmal steigst du herab, die Treppen sind verhangen von Spinnweben, und feucht liegt der Moder auf dem nackten Beton. „Sie waren lange nicht da.“, sagt der Mann an der Rezeption, dessen Züge langsam in der Haut versinken und wirft dir das Wechselgeld auf den Tresen, als sei es nichts wert. Seine Augen aber siehst du nicht mehr, und nur noch Haut, Haut, Haut deckt den blanken Schädel ohne Höhen und Senken. „Hast du denn gar kein Gesicht?“, fragst du ihn, als würdest du ihn kennen, aber er lacht dich nur aus. „Wozu noch, mein Engel?“, legt er seine Hand aufs Herz, und du gehst schnell weiter.

Hinter der Tür schnappt ein Hund nach dir, und ein Fluß rauscht schwarzes Vergessen. Hier scheint die Sonne nicht hin, hier ist der Himmel nichts als ein doppelter Boden, und du gehst schneller. Einen Schafbock zerrst du an der Leine hinter dir her, der Hund heult dir nach, und die grünen Himbeeren rechts und links des Weges leuchten entzündet und grell und zeigen sinnlose, eiserne Dornen. Kehr um, flüstert dir ein Geflügelter zu, aber du läufst weiter, weiter, bis zur Schädelstätte, bis zur Mitte des Nichts, wo die schwarzen Blätter zu Boden fallen, eng beschrieben, aber du willst sie nicht lesen.

Der Schafbock zerrt an seiner Leine, und ein Wind ist aufgekommen, der an deinen Haaren reißt, als sei der, den du rufen willst, schon wieder zurück. „Komm her!“, befiehlst du ihm, und der Sturm drückt dich näher zur Mitte. Der Schafbock schaut dich an aus angstvollen Augen und wendet sich um, als gäbe es noch einen Weg zurück zu Sonne und Gras, aber du rufst den Verschwundenen dreimal beim Namen, und der Bock senkt den Kopf. Du rufst einen Namen, du schwenkst dein mitgebrachtes Messer, und der Bock schwankt, um zu fallen. Aus seiner Kehle lässt du das Blut fließen, dessen Dunst die Luft reinigen wird mit blanken, roten Eisen. „Komm her!“, befiehlst du wieder, und die Schatten drängen sich näher. „Wir sind so schmerzliche, durchseuchte Götter....“, singt ein Chor dir vor, und ein Schatten löst sich aus den Reihen der Tenöre.

„Da bin ich.“, sagt er, und taucht seine Fingerspitzen in das frische Blut. „Erzähl‘ mir was.“, bitte ich, und ungeduldig sehe ich ihn trinken. Rot steigt es auf von seinem Mund, bunt und leuchtend, schillernd in allen Farben einer Sommerlüge, und erst, wenn das Blut getrocknet sein wird, frierend am Ende aller Geschichten, steigst du wieder hinauf, und hinter dir schließen sich die Pforten, bis sie so glatt sind wie die Wand.

"Auf bald.", sagt der Rezeptionist, und du schüttelst den Kopf.

walhalladada - 26. Mai. 2006, 13:49 Uhr

Welcome to Hotel Hades!

(Kategorie: *****)

... offenbar fürchten Sie, dass die Götter der Oberwelt Ihr schwarzes "Strähnchenopfer" verschmähen könnten, andernfalls ließen Sie sich wohl kaum zusätzlich vom unterweltlichen Lethestromlieferanten zu solch einer dunklen Story hinreissen...

Aber, mit Verlaub!

Muss denn die Asphodelenwiese gleich immer mit Blut gedüngt werden?

Ich kann nicht umhin, mich meinerseits als Sympathisant aller Böcke zu outen..., und als solcher wird mir dann naturgemäß immer gleich so blümerant zu Mute...!

Beruhigend finde ich, dass Sie das psychopompöse Etablissement nicht nur heil wieder verlassen haben,sondern auch eine potentielle Wiederkehr - zumindest gestikulatorisch - ausschließen wollen...!
che2001 - 26. Mai. 2006, 18:24 Uhr

Ein wenig Bierce, ein wenig Kafka und viel Harald Braem. Aber die
Frau Modeste wird immer noch steif und fest behaupten, sie schrübe
keine Literatur.
Modeste - 27. Mai. 2006, 10:52 Uhr

Ach, LIteratur, Literatur - man schreibt halt herum, und das Ergebnis ist nie so wie... aber wer, Che, kennt das nicht. Und was die Wiederkehr angeht, Herr Wallhalladada, gehört das Nie weder doch zu den Sünden dazu. Auch zu der Sünde, ein Stockwerk zu tief in der eigenen Seele spazieren zu gehen. Und mit Coca Cola lockt man vielleicht Blogger, aber in jenen Gefilden müssen schon stärkere Saiten aufgezogen werden.
la lune qui brille - 27. Mai. 2006, 2:44 Uhr

willkommen in meiner blogroll
Modeste - 27. Mai. 2006, 10:49 Uhr

Danke.
la lune qui brille - 27. Mai. 2006, 14:22 Uhr

keine Ursache
burnston - 28. Mai. 2006, 17:59 Uhr

Wie sang die Spider Murphy Gang einst: "S'Lebn is wia a Traum."
blogger.de:strappato - 28. Mai. 2006, 20:09 Uhr

We are programed to recieve
You can check out any time you like
But you can never leave


Hotel California (Don Henley/Glenn Frey)
Au-lait - 31. Mai. 2006, 12:47 Uhr

Trakls Verfall modert in meinen Hirnwindungen, während ich um passende Worte ringe und doch daran scheitere, diesem famosen Text irgendeine Form angemessener Würdigung zuteil werden zu lassen.
Modeste - 31. Mai. 2006, 22:54 Uhr

Tja, Burnster, mit den Träumen ist es ja so eine Sache. Wieso "traumhaft" synonym zu "großartig" verwandt wird, muss wohl darauf zurückgehen, dass die deutsche Sprache von besonders sonnigen Gemütern bestückt wird. Und dass wir, Herr Strappato, nichts einfach verlassen können, solange es uns nicht verlässt, versteht sich ja leider fast von selbst. Und einen schönen, hinfälligen, blutigen Verfall, wie ihn der Herr Trakl malen konnte, den, Ole, würde ich auch gern einmal pinseln, aber dafür ist der Trakl groß und tot, und ich bloß eine lebendige Sonntagsschreiberin. Ist mir, im Vertrauen, auch lieber so.

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