Dienstag, 13. September 2005

Der Budapester Tortentrip

„Also,“, sage ich zur C., und gieße der J. noch einen Tee ein. „ganz großartig war´s.“, und die J. nickt. „Und ohne mich, verdammt.“, sagt die C., und bedauert noch einmal, nicht mitgefahren zu sein. „Du hättest die Kaffeehäuser gemocht.“, sage ich, und lobe das Kaffeehaus Central, in dem man ganze Nachmittage und Abende dazu verbringen kann, wie es mit einem guten Kaffeehaus eben so geht. Das Café Gerbaud, ergänzt die J. mag zwar prächtiger sein, Jahrhundertwende mit seidenen Tapeten und Samtportieren, aber da machen einen die anderen Gäste ganz nervös, mit ihrem hektischen Rascheln, den irritierten Blicken, wenn ein paar Minuten keine Kellnerin zu sehen ist, und ihren Bestellungen, die aus zwei Flaschen Wasser und einem Schinkenbaguette bestehen.

„Schlechte Kaffeehausgäste.“, bestätigt die J., und wir beschreiben die anderen, wohl meistenteils gleichfalls auswärtigen Besucher der Budapester Renommierkaffeehäuser, die in absurden Gewandungen das im Reiseführer vorgeschriebene Tortenstück verzehren und sodann zu weiteren Top-Tips weitereilen. „Ganz schlimm,“, erzähle ich der C. zur Warnung, „war´s in der Konditorei Ruszwurm auf dem Burgberg.“, die zwar an sich sehr niedlich ist mit ihrer Biedermeiereinrichtung und den wirklich formidablen Torten, in der jedoch unter unermesslicher Geräuschentwicklung ungefähr alle zwanzig Minuten dreißig fehlfarbene Rentner das Café verlassen, um durch dreißig andere, wenn auch exakt identisch anmutende Rentner ersetzt zu werden, die mit den Ellenbogen auf den zierlichen Tischchen ein Stück Schwarzwälder Kirsch in sich hineinschlingen.

„Waren die Torten denn gut?“, fragt die C., und schaut ein wenig sehnsüchtig daher. „Extrem.“, lobt die J., und beschreibt Aussehen, Geschmack und Zusammensetzung der verzehrten Torten, und der bedauerlicherweise nicht verzehrten Torten dazu. Morgens, berichte ich der J., sind wir in eine kleinere Konditorei mit Stehtischen auf dem Ring eingekehrt, und haben erst einmal ein Stück gegessen, und vielleicht noch eine Kremschnitte dazu. „Die Dobostorte!“, seufzt die J., und verflucht die Berliner Konditoren. Ein paar Stunden später, fahre ich fort, die nächste Pause, vielleicht so gegen 11.00 Uhr, natürlich Torte, vielleicht ein bißchen Kleingebäck dazu und ein Kännchen Tee. Das ohnehin in meinem persönlichen persönlichen Ranking höchstplazierte Central hat sich auf diesem Gebiet weitere Meriten erworben, derweilen es als einziges der besuchten Kaffeehäuser losen Tee statt der weitverbreiteten Beutel verwendet. – Am Nachmittag dann ein weiteres Stück Torte, vielleicht ein Ischler Törtchen dazu, vielleicht ein Teller mit Kleingebäck wie jenen kleinen Linzer Törtchen, von denen ich mir einige hundert Gramm mit nach Berlin gebracht habe. Am Abend natürlich Torte, oder eine Mehlspeise, Strudel vielleicht oder Palatschinken, und dann ein bißchen Wein und zurück zum Hotel.

„Hört sich ja eindrucksvoll an.“, lacht die C., und fragt nach weiteren Speisen. „Bißchen Gulaschsuppe.“, sage ich, „und ein paar Würste.“, und winke ab, denn die herzhaften Spezialitäten der ungarischen Küche sind in aller Regel ein wenig zu deftig für meinen Geschmack, und besteht zum größeren Teil einfach aus Sauerrahm, Kohl und Paprika in Zusammenhang mit Fleisch oder Fisch.

„Und sonst?“, fragt die C. und fragt nach nicht-kulinarischen Reiseeindrücken. „Schön.“, sage ich. Genau im richtigen Maß verrottet, prächtig, elegant, melancholisch und vibrierend. Große, schöne Bäume an den Straßen und Denkmäler auf allen Plätzen. Die höchste Fast-Foodkettendichte, die ich jemals gesehen habe, ein Friedhof, der es an Größe vermutlich mit dem Centralfriedhof in Wien aufnehmen kann, abends schweigend an der Donau sitzen, am Morgen über einen schattigen Kirchplatz spazieren und den alten Frauen zuschauen, die gebeugt und ein wenig hexenhaft zur Messe gehen. Am Samstag den vielen, vielen Bräuten zuschauen, die in allen Kirchen Budapests heiraten, und nachts auf dem Franz-Liszt-Platz der J. erzählen, wie man sich alles vorgestellt hat einmal, und was daraus geworden ist in diesem Leben, bisher.

„Aber warte auf die Photos.“, sage ich der C., und schenke Tee nach.


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