Montag, 5. Dezember 2005

Wenn er kommt

„Da bist du ja.“, werde ich ihn begrüßen, und er wird an meinem Bett sitzen, an dem hoffentlich keine Schläuche hängen, weil ich Angst habe vor Krankenhäusern. Müde wird er aussehen, und sogar etwas heruntergekommen in einem fadenscheinigen Anzug, und für einen Moment wird es still sein im Raum. „Warum kommst du erst jetzt?“, werde ich ihn fragen, und die tiefen Falten in seinem Gesicht mit dem Zeigefinger nachzeichnen.

„Ich war immer bei dir.“, wird er sagen, und mir die Hand auf die Stirn legen. Damals, mit 17, wird er mich erinnern, einen ganzen Sommer lang, im Weißdorn am Ferienhaus der Eltern des B. am Meer, das B.²‘s Vater seiner Mutter überlassen hatte bei der Scheidung, und das diese nicht mehr betrat bis zum Verkauf Monate später. Wir tranken alles, was da war, einen ganzen Weinkeller, der völlig verschwendet war an uns, die genausogut hektoliterweise Bier hätten trinken können oder Obstwein oder so, und fuhren nachts im Dunklen auf Motorrädern und ohne Licht immer ums Haus und kreuz und quer über die Insel. Rein gar nichts konnte man sehen. Mit geschlossenen Augen riss ich an der Gabel, und hätte mich nur umdrehen müssen nach ihm, so schnell wäre das gegangen, und nach seiner Hand greifen.

„Du wolltest mich ja nicht.“, wird er lächeln.

Von den langen Nächten wird er erzählen, in denen er im Waffenschrank saß, und uns zuhörte, wie wir über ihn sprachen, und ihn mit fließender Seide bekleideten, behängt mit Gold und lauter funkelnden roten Steinen. Von festen Händen, die zugreifen hätten können, und einer Verabredung, zu der ich nicht ging. „Solange haben wir auf dich gewartet.“, wird er erzählen von diesem Abend, an dem ich nicht kam, und jemanden nie wieder sah, meine Sachen packte statt dessen, um fortzuziehen, und ein Lachen nur noch nachts zu hören, wenn die Wände dünn werden im Mondlicht.

„Ich habe dich gesehen.“, werde ich sagen, und er wird den Kopf schütteln und lachen. „Du doch nicht, meine Liebe.“, wird er antworten, und seine Schuhe ausziehen. Mit angezogenen Beinen wird er neben mir auf der Matratze sitzen, und vielleicht lege ich meinen Kopf in seinen Schoß. „Gut siehst du aus.“, werde ich lügen, und er wird sich amüsieren über mich.

„Das hättest du anders haben können.“, flüstert er mir dann zu, und ich schließe die Augen. Von der Nacht in Schweden wird er sprechen, als wir so müde waren vom Streiten, und uns an der Kante des flaches Daches schlafen legten, sechs Meter hoch, und im Einschlafen überlegten, um wen es mehr schade wäre, und er im Garten stand, neben dem Zaun, und mir zusah.

„Sei jetzt ruhig.“, werde ich sagen, und die anderen Geschichten nicht mehr hören wollen, und er wird den Arm um mich legen, und ich schlafe ein an seiner Schulter.


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