Donnerstag, 22. Dezember 2005

Das bodenlose Privatleben meines Cousins

„Also, das ist so,“, hebt Cousin L. an, und seufzt ein wenig in sein Chirashi-Don.

„Ich bin also kaum in Berlin angekommen, da treffe ich die I. wieder. Die kennst du vielleicht, die war auf meinem dreißigsten Geburtstag. So eine Kleine, Hübsche, mit Grübchen und Locken.“ – Auf dem dreißigsten Geburtstag meines Cousins vor fast zehn Jahren waren indes Unmengen ziemlich hübscher Frauen, und an die I. kann ich mich durchaus nicht erinnern.

„Die I., die hatte hier so einen Kerl, komischer Typ, nicht viel los damit, und dann, na, du kennst das ja."-–Ich nicke ein wenig zerstreut, und versuche, ein Ikura Nigiri in den Mund zu bekommen, ohne den Lachsrogen zu verlieren. - „Jetzt hat die I. den Kerl abgeschossen und ruft immerzu an. Ohne jede Übertreibung, wirklich immerzu. Jeden Tag. Ich mag schon gar nicht mehr rangehen.“ – „Hast du dich vielleicht ein bißchen, tja, missverständlich ausgedrückt?“, frage ich nach. „Keine Ahnung. Nein, ich habe eigentlich gar nichts gesagt.“, schüttelt Cousin L. den Kopf.

„Das ist natürlich ein bißchen blöd mit I.‘s Anrufen.“, fährt er fort. Kurze Zeit nach der Vertiefung der Bekanntschaft mit I. nämlich habe er eine Studentin kennengelernt, eine ganz reizende Person, blond und zart und verträumt, und die stetigen Anrufe der I. würden jene Studentin schon ein wenig, kaut mein Cousin, irritieren. Am Wochenende zum Beispiel, da habe die I. mindestens dreimal angerufen, und irgendwann habe die Studentin begonnen, nachzufragen, wer denn die Anruferin eigentlich sei.

„Bist du mit der Studentin zusammen?“, frage ich den L., und ordere eine weitere Schale Tee. „Ach was, nein.“, wehrt der ab. Eigentlich habe er sich sogar seiner Frau wieder ein wenig angenähert, sei das Wochenende zuvor nach Frankfurt gefahren, und habe sogar einen gemeinsamen Urlaub mit Kind geplant und gebucht.

„Hast du das den anderen Frauen erzählt?“, hake ich nach. „Ich bin doch nicht bescheuert.“, wehrt der L. ab, und erklärt, ernsthaften Diskussionen für den Rest seines Lebens aus dem Weg gehen zu wollen. „Ich war zwei Jahre verheiratet, das reicht.“

„Wieso warst du eigentlich wieder in Frankfurt?“, wundere ich mich des vor wenigen Wochen geäußerten Vorsatzes eingedenk, die Restfamilie mindestens dieses Jahr nicht mehr aufzusuchen. „Eigentlich wegen der T., der dummen Pute.“, erklärt mein Cousin und bestellt eine weitere Futo-Maki-Rolle. „Kenne ich nicht.“, schüttele ich den Kopf.

„Ist so eine kleine Freundin von meiner Ex. Dumme Geschichte irgendwann letztes Jahr, und jetzt geht sie also los und erzählt meiner Ex die ganze Sache, und die ruft also erst mal an, schimpft und heult und macht mich völlig zur Sau, und sagt, ich dürfte die Kleine nicht mehr sehen. Und dann bin ich halt hingefahren.“

„Eigentlich bist du eine ganz ekelhafte Erscheinung, weißt du das?“, kommentiere ich die Enthüllungen meines Vetters. Der L. stöhnt auf. „Dabei mache ich gar nichts. Ich laufe einfach ein bißchen herum, und ein, zwei, drei steht man vor einem unglaublichen Trümmerhaufen. Versteh‘ ich nicht, bei anderen Leuten geht das doch auch alles glatt.“

„Von außen betrachtet aber sehr unterhaltsam.“, kommentiere ich. „Darf ich drüber schreiben?“ „Klar, dann hassen die mich alle wieder.“, nickt mein Cousin und legt die Stäbchen über seine Platte.



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