Dienstag, 14. Februar 2006

You are my death, you are my beauty

Später aber, als die Musik ausgegangen war, und nur noch die Boxen knackten, irgendwann nach dem letzten Rest von warmen Wodka, riss die Nacht auf, ihre Eingeweide quollen blau aus den offenen Flanken, und wir fuhren noch einmal los, die Torstraße entlang, die Friedrichstraße hinunter und weiter gegen Westen, der Nacht hinterher, die in unserem Rücken schon fadenscheinig wurde, trüb, als habe jemand einen Tropfen grauer Milch in den Himmel gegossen. Der Morgen drückte uns schwer in die Kurven auf dem Weg aus der Stadt. Irgendwo in der verbrauchten Luft im Fond des Taxis flossen meine Gedanken ineinander, verknoteten sich, verbanden sich neu, und mir verschwammen Namen, Orte und Zeit, während der Fahrer mit einer Hand am Steuer einen anderen Radiosender suchte und hin und wieder ohne Anlass auflachte, als glitte auch er dahin auf einem zähen Strom aus Müdigkeit und lauter Gegenwarten zugleich.

Das Fleisch des Mannes an der Tankstelle, bei dem wir Wein kauften und noch mehr Zigaretten, drückte sich aus seinem roten Overall, und unter dem gelben Base-Cap leuchtete seine Haut wie ein roher Schinken. Sein linkes Augen war verklebt mit einem krümeligen, gelben Sediment. „Da war ich mal als Kind.“, sagte mein Begleiter auf dem Weg zurück ins wartende Taxi und deutete auf das Etikett der Weinflasche, und ich nickte, schaute nicht einmal mehr hin, und trank von dem sauren, dünnen Wein, den er mir nach hinten reichte.

„Halten sie an.“, sagte er, und der Wind fuhr übers offene Feld, zog uns weiter zwischen die Bäume, und in der Feuchtigkeit eines Morgens, der der Sauberkeit entbehrte, als sei der Tag schon schillernd vor Fäulnis und verdorben von unserer Gegenwart geboren, stolperten wir zwischen den Grabsteinen entlang. Tief bohrte sich mein Absatz zwischen die Gehsteigplatten. Die Wände der Mausoleen rechts und links von unserem Weg schwitzten Vergänglichkeit und stinkendes Moos.

Wie Teehäuser bargen sich die Mausoleen im Wald, all die Teehäuser der Toten, die auf unser Verschwinden warteten unter den glitschigen Böden, und die kalte Nässe des Waldes drang zwischen Rock und Stiefeln durch die Strumpfhosen in meine Haut und durchtränkte erst meine Beine, um dann mich ganz und gar anzufüllen mit schwarzem, übelriechenden Wasser. Die letzten Tropfen Wein aus der ersten Flasche gossen wir den Toten als Miete auf ihr Grab, öffneten eine weitere Flasche und bliesen den Rauch unserer Zigaretten in die Luft wie ein Brandopfer für die, die vor uns da waren, und deren Namen in Stein gegraben sind, während uns, flüchtigen Passanten einer hastigen Zeit, keine Grabsteine für hundert Jahre mehr aufgestellt werden, wenn wir einmal so tot sein werden wie jene.

Als die Weinflaschen leer waren, gingen wir zur Straße zurück und fuhren heim durch den trüben Morgen, und wie von jeder unserer Nächte sollte uns nichts bleiben als die Gewissheit, das alle unsere Stunden nicht mehr enthalten würden als den Rausch vergeblicher Exzesse und eine Traurigkeit, die gleißend hinter den Dingen steht wie die Wände verrottender Mausoleen weit hinter der Stadt.



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