Sonntag, 7. Mai 2006

Der Haxnfresser

„Wie stehe ich denn da, wenn du das schreibst?“, ringt die B.² am anderen Ende der Leitung hörbar die Hände, und so ist es mir eine Pflicht, bereits an dieser Stelle rein prophylaktisch anzumerken, dass die B.² so etwas ansonsten wirklich nie tut und sich eigentlich immer so korrekt benimmt, wie es ihrer guten Erziehung in einer konfessionellen schwäbischen Mädchenschule entspricht. Die B.² kann man eigentlich überall hin mitnehmen, und ihr Benehmen entspricht vom dunkelblonden, wohlfrisierten Kopf bis zu den dezent beschuhten Füßen voll und ganz dem Leitbild einer reizenden, eloquenten und charmanten Dame, die so gut wie nie aus der Rolle fällt, außer am letzten Donnerstag eben, und das kam so:

Die B.² sucht ja inzwischen schon etwas länger einen Gefährten, einen netten Herrn eben, für nachts und tagsüber auch, und, wenn möglich, diesmal für immer. Berlin indes ist kein gutes Pflaster für die Jagd nach einem ständigen Begleiter, denn der männliche Berliner wird mit zunehmendem Alter nicht etwa häuslicher, sondern bloß neurotischer, und nicht selten bekommen ansonsten nette Leute allein von dem Gedanken an eine feste Beziehung lebensgefährliche Erstickungsanfälle und einen abstoßenden Ausschlag. Dass die meisten männlichen, studierten, berufstätigen, ungefähr dreißigjährigen Berliner deswegen allzu oft keine Beziehung, sondern nur eine unverbindliche, wenn auch intime Bekanntschaft suchen, nimmt deswegen uns, die wir erfahren sind in den wüsten Gewässern der Großstadtpsyche, auch nicht weiter wunder. Es ist also ein etwas ermüdendes Geschäft, die Suche nach dem Mann des Lebens, und der Verzehr von Haxn ist beileibe nicht der größte Fehler, den ein Kandidat aufweisen kann. Die aktuelle Bekanntschaft der B.² aber mag am Donnerstag abend vielleicht wirklich an einer Haxe gescheitert sein.

Eine Haxe nämlich bestellte derjenige Herr, den die B.² bereits in der Vorwoche einmal zum Tee getroffen hatte, in einem Gartenlokal, wo man derlei Dinge essen kann, irgendwo im Westen der Stadt. Die B.² kam direkt von der Arbeit, auch der nette Herr kam direkt aus dem Büro, und so saßen sich die beiden unter blühenden Bäumen gegenüber. „Eine Haxe!“, bestellte der Herr und erzählte von den derben Genüssen seiner Heimat. „Ein großer Salat mit Fetakäse und Oliven!“, bestellte die B.². - „Die Haxe kann ein bißchen dauern.“, kündigte die Kellnerin an, man bestellte deswegen direkt erst einmal ein Bier als Aperitif und erzählte sich allerlei Nettigkeiten, wie es Leute tun, die sich zum zweitenmal treffen und vielleicht verlieben möchten.

Es wurde langsam dunkel, die Biergläser waren leer, man verstand sich bestens und bestellte eine weitere Runde. Einen reizenden Dialekt sprach der Begleiter, und erzählte allerlei Nettes über weite Reisen und seinen Hund. „Gleich kommt die Haxe.“, versprach die Kellnerin, und stellte eine weitere Runde Bier auf den Tisch, die der Begleiter geordert hatte, dessen Großvater einmal eine Brauerei hatte, von der er erzählte. Seit dem Mittagessen – einer Rainbow Roll in Mitte – war es sieben Stunden her. Der Dunst des Bieres vernebelte der B.² Gehirn, und auch ihr Gegenüber wurde zunehmend lauter, gesprächiger, lachte die ganze Zeit und gefiel der B.² eigentlich ganz gut. Dann kam das Essen.

Ein gigantischer Salat, gekrönt von einem Berg Käse und Zwiebelringen, ungefähr ein Glas Oliven obendrauf, stand vor der B.². Vor ihrem Begleiter aber stellte die Kellnerin eine riesige Haxe ab, ein unförmig und rotbraun gebratenes Stück Tier aus Knochen und Fleisch, groß wie ein Volleyball und umgeben von einer knusprigen, festen Schwarte aus reinem Schweinefett. „Hmmm..“, machte der Herr, ergriff die Haxe mit beiden Händen und führte sie zum Mund. Krachend schlugen seine Zähne durch die Schwarte und gruben sich tief in das weiße, glänzende Fett. Die B.² stocherte ein bißchen in ihrem Salat, der bis auf das Fertigdressing von Develey ganz in Ordnung war, die Zwiebelringe vielleicht etwas dick geschnitten, und sah ihrem Begleiter beim Essen zu. Die fettigen Rinnsaale, die über die Schwarte flossen. Das rote Fleisch und der weiße, an den freiliegenden Enden der Haxe braungebratene Knochen. Das Geräusch, mit dem die Kruste der Schwarte brach. - Es grauste die B.² ein wenig, die schon den Anblick eines Brathähnchen nicht gut verträgt und nur ungern Metzgereien besucht wegen des rohen Fleisches, das in diesen Geschäften in der Auslage liegt. Mit der Zunge fuhr ihr Gegenüber über seine fleischsafttropfenden Lippen, riss riesige Stücke Graubrot mit Kümmel und Salz auseinander, stopfte sie dem Fleisch hinterher und spülte all dies mit Unmengen Bier hinunter. Das Bier immerhin schmeckte auch der B.². "Noch zwei Maibock!", bestellte der Begleiter zwischen zwei Bissen, und Maibock ist ein ganz besonders starkes Bier.

„Magst du auch noch was trinken?“, fragte der Haxnfresser eins ums andere Mal, und die B.² nickte. Es war ihr schon ein bißchen anders, die Bäume ragten ein wenig schief in ihr Bewusstsein, der Boden war nicht ganz so fest, wie er es ansonsten zu sein pflegt, und am Salat war ihr der Appetit vergangen angesichts des unglaublichen Mahles ihres Begleiters. „Schmeckt’s dir nicht?“, erkundigte sich dieser, und deutete auf ihren Salat. Die B.² redete sich auf das Fertigdressing heraus und wartete auf das Ende der Mahlzeit ihres Gegenüber. Währenddessen trank sie weiter und stieß mit dem Haxnfresser an auf den Sommer, auf Berlin, auf den bierbrauenden Großvater und den Tegernsee und auf alles Mögliche, was die B.² bierbedingt sofort vergaß.

Schließlich wurde abgeräumt. Erleichtert sah die B.² den abgenagten Knochen verschwinden, der Haxnfresser aß noch ein bißchen Bauernbrot, und der ungegessene Salat wurde gleichfalls abgetragen. Der Begleiter, nun wieder mit leerem Mund, sprach über die Kunst, wie es sich gehört, wenn man Damen beeindrucken möchte, und das Gespräch glitt zunehmend ins Intime. Die Gesprächspausen wurden länger, und irgendwann strich der Haxnfresser der B.² übers Knie und näherte mit gespitzten Lippen sein Gesicht dem ihren.

Die B.² sah ihn an. Fettig glänzte sein Mund, sein Atem roch nach gebratenem Schwein, und die B.² wollte auf einmal nur noch nach Hause. Der Begleiter atmete der B.² die Haxe entgegen, und die B.² drehte den Kopf weg. Ihr war übel. „Lass mich kurz...“, lief die B.² in die Gaststätte hinein und fragte hastig nach den Sanitäranlagen. Die Treppe abwärts und dann links, erklärte man ihr, und die B.² beeilte sich. Ihr war zum Sterben schlecht. Fast wäre sie die Treppe hinuntergefallen, denn das Geländer schwankte und bog sich unter der Macht des Alkohols.

Hinter der verschlossenen Tür unterhalb der Treppe aber wollen wir die B.² nicht stören, denn nicht schön sind Damen, die viel zu viel Bier getrunken haben, und Haxn auch dann nicht gut vertragen, wenn andere Leute sie essen. Bestimmt eine halbe Stunde saß die B.² verzweifelt und betrunken in der Kabine herum und versuchte, ihren bierumfangenen Geist zu sammeln. Mit dem Bier vermischte sich der ganze Jammer der B.², die schon ein bißchen zu lange nach einem warmen Arm um die Schulter sucht, um derlei Ereignisse mit einem Lächeln abzutun, und so saß sie in der verschlossenen Kabine und schluchzte leise, weil es die Liebe für manche Leute vielleicht gar nicht gibt.

Irgendwann klopfte es. Der Begleiter rief die B.² bei ihrem Namen, einmal, zweimal, aber die B.² blieb stumm und fühlte sich elend. "Geht's dir auch gut?", fragte der Haxnfresser, aber der B.² ging es gar nicht gut und so schwieg sie vor lauter Traurigkeit und Scham. Dann ging der Haxfresser und ließ die B.² allein. Irgendwann stieg auch die B.² die Treppe wieder hinauf. Der Haxnfresser war weg.

„Junges Fräulein!“, fasste die Kellnerin die B.² an der Schulter und überreichte ihr einen Zettel. Der Haxnfresser hatte ihn verfasst:

„Liebe B.², es tut mir wirklich leid, da habe ich wohl die Situation falsch eingeschätzt. Sei mir bitte nicht böse. Danke für den trotz allem schönen Abend. Ich rufe dich morgen an, wenn ich darf.“

Krank und unglücklich fuhr die B.² nach Hause und legte sich ins Bett. Als der Haxnfresser am nächsten Abend anrief, war sie nicht daheim. Ob sie den Haxnfresser aber zurückruft, dass weiß sie noch nicht, denn sehr peinlich ist der B.² die ganze Geschichte, der so etwas sonst nie passiert , denn die B.², um noch einmal darauf zurückzukommen, trinkt sonst selten so viel und weiß sich eigentlich immer zu benehmen. So gut wie nie trinkt sie Bier, mit einem Haxnfresser war sie noch nie aus, und das wird vielleicht auch in Zukunft wieder so bleiben.



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