Sonntag, 8. Oktober 2006

Ouverture

Hübsch ist das Mädchen nicht, an das ich mich erinnern kann, noch besonders anziehend. Ziemlich schnell in allem, was sie tut, fast ein wenig fahrig, nicht sehr gefällig, nicht besonders freundlich, auch nicht von der Offenheit, die meine Freundin N. anderen angenehm machte. Nicht so schön, nicht so glänzend wie die N. natürlich, der nachgeschaut wird schon mit 14. Mit kurzen, schwarzen Haaren auf dem Kopf laufe ich durch den Mittelstufentrakt der Schule, einer dicken Brille auf der Nase und bunten Sweatshirts an, die mir nicht stehen, weil sie viel zu weit sind, aber ich dachte, ich sei dick.

In der Pause stehe ichauf dem Raucherschulhof, ziehe an meinen ersten Zigaretten, Dunhill Methol, warum auch immer, und kaufe mir manchmal, wenn ich nach der Schule allein zu Hause bin, eine Tüte Erdnußflips und gehe mit einem ganzen Stapel Bücher zu Bett. Ich lese den ganzen Tag, manchmal die Nacht dazu, und schlafe ab und zu in der Schule ein, aber das ist mir egal. Schlecht in der Schule zu sein ist das einzige, was ich an mir cool finde, lässig, so lässig wie die N., die nur zu lächeln braucht, nein, nicht einmal zu lächeln, einfach nur da zu sein, damit Menschen sie mögen, aber statt der N. dankbar zu sein, dass sie mir Einladungen verschafft, die ich sonst niemals hätte, missgönne ich ihr die Aufmerksamkeit, die Gabe, geliebt zu werden, die Briefchen, die Anfragen, und die mühelose Kontaktaufnahme, die mir schwer fällt, so schwer, dass die wenigen Versuche, denen näher zu kommen, die ich verehre, so anstrengend werden für alle Beteiligten, dass sie schleunigst wieder eingestellt werden. Es wäre auch nicht viel dabei herausgekommen.

Der G. zum Beispiel, mit dem ich ab und zu Eis essen gehe und lange, etwas trübsinnige Gespräche führe. Der G. ist, wie jeder weiß, in die N. verliebt, die kein Herz hat für den armen Kerl, der viel liest, und nicht besonders sportlich ist, der kein vernünftiges Auto fährt, und ab und zu stottert, wenn er aufgeregt ist. Der G. wird zehn Jahre später glänzend promovieren, aber auch das würde der N. nicht imponieren. Die Neigung des G. zur N. ist hoffnungslos. „Was hält die N. von mir?“, fragt der G. viel zu oft, und ich sage irgendetwas, was ich vergessen habe, und komme gar nicht darauf, der Verliebtheit des G. durch einige gezielte Boshaftigkeiten ein Ende zu machen. Ein feiner Kerl sei ich, sagt der G., und mir zieht sich das Herz zusammen.

Die N. ist kein feiner Kerl, die N. hat an jedem Finger zehn, wie man so sagt, und spielt sie gegenseitig aus. Ab und zu lädt einer aus Frustration ihre Freundin ein, das bin ich, und spricht den ganzen Abend über die N., regt sich auf über ihre Unzuverlässigkeit, ihre Verlogenheit, die Unstetigkeit ihrer Gefühle, und möchte ein bißchen bemitleidet werden. Geliebt werden wollen sie nur von der N. „Dass du dich mit dem nicht zu Tode langweilst!“, lacht die N. mich aus, wenn ich mit G. zum Schwimmen fahre und den Bauch einziehe, aber der G. schaut mich nicht anders an als seinen kleinen Bruder.

Allein zu Hause vor dem Spiegel bin ich manchmal schön. Dann lächele ich dem Spiegel zu, drehe mich ein bißchen, schaue über die linke Schulter, über die rechte, lege den Kopf schief, und halte den Mund geschlossen, weil das besser aussieht, wenn man meine Vorderzähne nicht sieht. Die sind nämlich schief. In der Schule schweige ich selten. mein Mundwerk ist gefürchtet, und über meine Witze lacht man gern. Eingeladen werde ich immer öfter in den nächsten Jahren, gelte als schlagfertig, als amüsant und geistreich, wie man sagt, aber nicht als charmant, und geliebt wird man nicht für einen exakten Kopf, den der Lateinlehrer lobt, der auch Philosophie unterrichtet. Eingeladen werde ich oft, geküsst werde ich selten, und nie von denen, denen ich nachschaue, und mit denen ich befreundet bin, nicht mehr und nicht weniger. Trostpreis, beschimpfe ich mich laut, allein vor dem Spiegel.

Ich lächele zu wenig, sagt die N., und rede zu viel. Das mögen Männer nicht, wenn ein Mädchen so viel redet, und ich nehme mir vor, mehr zu schweigen. Das Schweigen aber fällt mir schwer. - Quantität sei nicht Qualität, tröstet die N. und rät zu dem S. oder zum K., nette Jungs seien das, aber in mich verliebt sich keiner, und ich mag sie auch nicht haben, selbst, wenn ich könnte.

Später werde das ohnehin alles anders, behauptet die N., und ich nicke wider besseren Wissens.



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