Mittwoch, 26. Dezember 2007

Quantus tremor est futurus

Bekanntlich hat alles auf Erden mindestens zwei Seiten, und diese bestürzende Ambivalenz macht vor den überirdischen Dingen keineswegs Halt. Sogar die Auferstehung etwa, Verheißung des ewigen Lebens und göttlicher Gerechtigkeit, wird nicht nur im Falle der wirklich schlechten Menschen zu den eher unangenehmen Erlebnissen gezählt werden müssen. Auch an sich harmlose Leute, gutartig und verträglich im Großen und Ganzen, haben, wie ich zu bedenken geben muss, Grund, das Erwachen unter den Klängen der Posaunen Jerichos insbesondere in Hinblick auf ihre Familienangelegenheiten zumindest ein bißchen zu fürchten.

Zwar nicht der Zorn der Engel des Herrn, auch nicht die ewige Verdammnis winken jenen, die sich sonst nichts zuschulden kommen haben lassen. Der Umstand indes, dass nicht nur man selbst, sondern auch alle anderen an diesem Tag des Herrn die Augen aufschlagen, spricht stark für einen wahren dies irae, und an ein Entkommen ist, so wie die Dinge dann nun einmal liegen, voraussichtlich nicht zu denken.

Mag sein, dass tatsächlich das eine oder andere Gras über unangenehme Erinnerungen gewachsen sein wird. Eher unwahrscheinlich ist etwa, dass kurz nach dem Erwachen entfernte Bekannte auf einen zustürzen werden, um obskure Kleinbeträge einzutreiben, die zurückzuzahlen man nicht mehr Gelegenheit hatte vor seinem Ableben, zehn Euro für‘s Mittagessen oder fünf Euro für ein Glas Wein oder so, auch kleine Ärgerlichkeiten wie die stets im Treppenhaus abgestellten riesengroßen Kinderwagen, die allmorgendlich weggeschnappte Lieblingstasse in der Kollegenküche, werden vergessen sein, wie ich hoffe, zumal sich lächerlich machen dürfte, wer in der langen Schlange vor dem Thron Gottes nichts besseres zu tun haben wird, als wegen steinalter Kamellen lauthals herumzukeppeln.

Nur als naiv zu bezeichnen wäre aber der, der annehmen würde, dass auch beispielsweise meine Tante L., Urgroßtante vielmehr, nicht schrecklich sein wird in ihrem Zorn, zumal dieser Zorn frisch sein wird, frischer geht es gar nicht, wenn sie im Zuge ihrer Auferstehung feststellen wird, dass ihren letztwilligen Verfügungen zuwidergehandelt worden ist und sie nicht – wie auf dem Sterbebett angeordnet – mit einem gravierten Silberkreuze bestattet worden ist, sondern mit einem schlichten Exemplar aus Holz. Dass man den unglaublichen Verstoß scheinheilig mit der Sorge um die sterblichen Überreste der Tante gerechtfertigt hat, deren Ausgrabung durch Räuber verhindert werden sollte, wird der Tante L. natürlich auch an diesem Tage keiner sagen, denn - quid sum miser tum dicturus? - diese Information würde dem Faß den Boden ausschlagen, und ein Skandal, eine Rauferei vor dem Thron des ewigen Rochters wäre die ebenso unausweichliche wie unangenehme Folge.

Auch die Tante S., derartig weitläufig verwandt, dass die Bezeichnung als Tante eher einer Verlegenheitslösung entspricht, wird sich nicht einfach so beruhigen lassen. In ihrem Brautkleid bestattet zu werden, mag zwar auch in Ansehung aeternitatis für eine über Siebzigjährige mit Übergewicht als etwas abwegig gelten. Dies erst zu versprechen, und dann die Tote doch in ein unförmiges, lilafarbenes und ziemlich zeltartiges Gewand hüllen zu lassen, war trotzdem nicht nett, und ob die Tante wenigstens dem Onkel P. verzeiht, weil dieser in seiner Gutmütigkeit tatsächlich versucht hatte, den Bestatter zu überreden, das Kleid hinten aufzuschneiden und die tote Tante irgendwie darin zu verpacken, ist ungeklärt und eher fraglich.

Nicht nur jene Umstände, die den frisch Auferstandenen sofort und am eigenen Leibe auffallen werden, werden an diesem Tage für Ärger sorgen. Schon die ersten zaghaften Gespräche zwischen Eltern und Kindern, Geschwistern, Tanten und einfach so Mitbestatteten werden bestürzende Umstände ans Licht bringen, Streitigkeiten wie Nachlässigkeiten, nicht befolgte Anordnungen und jahrelange Erbschaftsangelegenheiten, unverzügliche Wiederverheiratungen und derlei mehr, und am Ende wird so mancher das dringende Verlangen vor das Angesicht des Herrn bringen, die Ewigkeit sonstwo zu verbringen, nur bitte, bitte nicht da, wo die restliche Sippe angesiedelt wird, und der Herr wird nicken, der bekanntlich auch nicht nur Glück gehabt hat mit seinem Sohn.



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