Montag, 7. Januar 2008

Thomas Karlauf, Stefan George

Bücher des Jahres (1)

Mit Stefan George geht es einem ja wie mit manchen entfernten Bekannten, die man ständig irgendwo zufällig trifft. Man geht also meinetwegen einkaufen, Kaisers am Teutoburger Platz, und an der Käsetheke steht der W. und kauft ein halbes Pfund Gorgonzola. „Hallo W.!“, grüßt man über seinen Wagen hinweg, denkt sich nichts dabei, aber zwei Tage später trifft man den W. wieder, diesmal bei einem Konzert.

Trifft man den W. in den nächsten Monaten auch noch im Alten Museum, in der U 2, und abends im 103 so rein zufällig und nebenbei, und versucht der W. auch nicht, einen in Gespräche zu verwickeln, weil er einen heimlich liebt, und die Treffen keineswegs zufällig zustande kommen: Dann schätzt der W. ganz offenbar und rein zufällig lauter Dinge, die man selber gleichfalls mag, und wohnt zudem auch noch um die Ecke.

Ähnlich Stefan George: Man liest, Jahre ist's her, etwas über die Wirkungsgeschichte des Caius Iulius Casesar, und siehe da: Stefan George schaut, leicht versteckt, Friedrich Gundolf über die Schulter, an dem vorbei man diesbezüglich ja kaum kommt. Man blättert, irgendwann als Studentin, in einer Geschichte des deutschen Widerstandes und sieht auf einer Photographie den alten, etwas krötenhaften Dichter mit den sehr, sehr jungen Brüdern Stauffenberg, die wahnsinnig sportlich aussehen und unsympathisch rotwangig und robust. Friedrich II., quasi persönlich (und großartig) erfunden von Ernst Kantorowicz. Der geliebte Hofmannsthal. Max Weber: Wo man hinkommt, George ist schon da, und sieht etwas gelangweilt, titanisch mit wallendem, grauen Haar über einen hinweg. George hat viele Leben begleitet, streckenweise manchmal, manchmal prägend, deren Ertrag mir etwas bedeutet, wie man so sagt.

Einmal herüberzugehen, und dem Dichter die Hand zu schütteln – schön haben’s geschrieben, herr dichter, so in etwa – verbietet sich in diesem Fall von selbst. Ich habe mich nie länger oder intensiv mit George beschäftigt. Auch das Lächerliche, das speziell den Kosmikern auch in den Augen Gutwilliger anhaftet, diese immer etwas anrüchige geistige Nähe zu unguten Gefilden: Man hält sich fern von denen, die etwas zu lauthals den Dichter loben und schätzt die Gedichte eher aus sicherer Entfernung.

Wie es aber so geht mit dem entfernten Bekannten W. - ganz umsonst trifft man sich nicht. Wer schätzt, was man selber schätzt, wer in den selben Bars ein Stammgast ist, der ist gar so weit weg nicht, und so liest man die vielgelobte Biographie von Thomas Karlauf gern und mit durchaus gesteigertem Interesse, leise kopfschüttelnd von Zeit zu Zeit, grammweise befremdet, bisweilen abgestoßen von diesem aufs Äußerste stilisierten Leben und dem Sicht-Ernst-Nehmen in einem sehr, sehr unüblichen Maße, und doch mit einem spürbaren Neid auf den Besitz einer gefügten, steinernen Vorstellung von sich, von der Welt, und von der Weise, wie die Welt sich um einen zu drehen hat, wenn man ein großer Dichter ist, denn das - und dies tritt in dieser ansonsten sehr gut lesbaren, sehr angenehmen und nichts aussparenden Biographie ein wenig in den Hintergrund - das war er eben auch, um nicht zu sagen: Dies ist des Pudels Kern, und alles andere nur flüchtige, nur zeitliche Verkleidung.

Thomas Karlauf, Stefan George - Die Entdeckung des Charisma.
2007, € 29,95.



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