Samstag, 19. Januar 2008

Lew Tolstoj, Die Kreutzersonate

Bücher des Jahres (2)

Posdnychev, erzählt uns Tolstoj, hat sich nach oberflächlicher Bekanntschaft unglücklich verheiratet. Ständig streitet sich Herr Posdnychev mit seiner Frau, die er kaum mehr liebt, gleichwohl aber begehrt, und zeugt mit ihr ein Kind nach dem anderen. Schließlich übersiedelt die ganze Familie vom Land in die Stadt.

Dort – der einundsechzigjährige Tolstoj ist kein Freund des Stadtlebens – ist es dann ganz aus mit dem Eheleben der Posdnychevs, wie es sich der erzählende Eheherr vorstellt. Frau Posdnychev soll nach ärztlichem Rat keine Kinder mehr bekommen, und blüht, endlich und nach Jahren ohne Säugling an der Brust, wieder auf. Eine reife, üppige, nach wie vor schöne Frau führt uns Tolstoj vor, eine besorgte, wohl gute Mutter, eine den Attacken ihres Mannes hilflos ausgesetzte Frau, deren Zorn letztlich wohl nichts als eine Reaktion auf die auch für den Leser kaum nachvollziehbaren Launen ihres Mannes darstellt.

Als ein Herr Truchatschevskij auftaucht, ist eigentlich schon alles vorbei. Als habe Posdnychev nur auf einen Anlass gewartet, zieht er den neuen Bekannten förmlich an den Haaren zu seiner Frau, lässt beide allein, schafft Gelegenheit, wartet, umkreist seine Frau wie ein Greif seine Beute, und stößt schließlich zu. Mit der ganzen erzählerischen Meisterschaft des 19. Jahrhunderts legt Tolstoj uns die Hand um den Griff eines Dolchs, führt uns in die Wohnung der Eheleute, und lässt uns schließlich zustechen, links unter den Rippen, den Widerstand des Korsetts überwinden, und ihr das Fleisch zerschneiden, bis sie sinkt, blutet und stirbt. Mit blauen Schatten unter den Augen zeigt Tolstoj am Ende die tote Frau, am Bett ihr Mann und Mörder.

Einen widerlichen Kerl führt uns Tolstoj mit diesem Posdnychev vor, und lässt ihn zudem allein erzählen, unangenehm nah, gefiltert nur durch die dürftige Rahmenhandlung einer Zugfahrt. Schwer auszuhalten ist die Suada, in die er seine Geschichte einbettet, und auf die es Tolstoj ankam, wie es scheint, denn immer wieder führt er uns, führt er Posdnychev zurück zu seiner Lesart der Dinge.

Dabei ist es nicht die Eifersucht des Mannes, die uns anwidert. Kaum ist es die Raserei. Abstoßend ist vielmehr die Selbstgerechtigkeit, mit der Tolstoj seinen Posdnychev ausstattet, der – so will es der Erzähler – am Ende herausgefunden haben will, dass es die körperliche Liebe sei, die seine Ehe ruiniert und seine Frau umgebracht habe. Etwas reichlich Selbstgefälliges, Fettiges, hat Tolstoj seinem Geschöpf mitgegeben, wie es da sitzt, im Eisenbahnabteil und schwadroniert, etwas Rechthaberisches und gleichzeitig Heuchlerisches, denn wenn die Gesellschaft mit ihrer Akzeptanz der Leidenschaft schuld am Tod der armen Frau gewesen sein soll, so sinkt wohl die Verantwortung des Posdnychev im gleichen Maße nach dem Gesetz der kommunizierenden Röhren.

Dass der von Posdnychev vertretene Erklärungsansatz, die hohe gesellschaftliche Akzeptanz genossener Geschlechtlichkeit habe den Tod seiner Frau verursacht, nicht überzeugt, versteht sich fast von selbst. Dass abseits moralischer Fragen die fehlende Logik im Verhältnis von Ursache und Wirkung an dieser These nicht bereits 1889 aufgefallen sein soll, ist an sich unvorstellbar. Dass der Schöpfer von Posdnychev und seiner Frau dies nicht bemerkt haben will, wie aus einem 1890 verfassten Nachwort Tolstojs hervorgeht, streift das Unfassbare, und nur die Verblendung, die mit starken Überzeugungen stets einherzugehen pflegt, erklärt, dass Tolstoj offenbar tatsächlich der Überzeugung war, ein wirksames Plaidoyer für die Keuschheit verfasst zu haben, für die es gute Argument gibt, nicht zuletzt die Bequemlichkeit, kaum aber jene, von denen Tolstoj spricht.

Zudem kaum zu erklären und eine - sicherlich existierende - eigene Notiz wert ist der immense Eindruck, den der schmale Band bei Zeitgenossen hinterlassen haben soll. Mit der psychologischen Disposition, die diesen Erfolg verursacht hat, möchte man nicht gefrühstückt haben, und den Einfluss der Erzählung kann man sich zudem kaum als wohltuend vorstellen. Sollte allerdings neben diesem erzieherischen Effekt ein ästhetisches Vergnügen den Erfolg der Novelle mitbegründet haben, so wäre auch dies nicht absolut, aber relativ zu den anderen Werken des Autors nur bedingt nachvollziehbar, gleichwohl nicht völlig abwegig, denn gelangweilt habe ich mich tatsächlich keine Zeile dieses ansonsten - sofern dies auszusprechen verstattet ist - etwas ärgerlichen Buches.

Lev N. Tolstoj, Die Kreutzersonate.
1889, € 7,--



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