Sonntag, 3. Februar 2008

Ein zum Rühmen Bestellter

Bücher des Jahres (3)

Friedrich Sieburg, schreibt Marcel Reich-Ranicki 1967, habe mehr Geist als Format besessen, mehr Macht als Autorität, und seine Koketterie habe seinen Geschmack beeinträchtigt. Die zeitgenössische Literatur habe Sieburg – immerhin einer der einflussreichsten Kritiker gerade der Fünfziger Jahre – verkannt. Weder Marie-Luise Kaschnitz, noch Koeppen, weder Nossack noch Hildesheimer, weder Dürrenmatt nicht Peter Weiss, Schnurre, Eisenreich noch Johnson habe er auch nur einer Erwähnung wert gefunden. Das rasche Verblassen des Renommés des damals erst einige Jahre verstorbenen Kritikers der FAZ erkläre sich zumindest maßgeblich auch aus dieser Abkehr von der Gegenwart.

Uns aber, die diese vierzig, fünfzig Jahre vergangene Gegenwart nicht mehr im selben Maße als maßstäblich gilt, vermag dieses Diktum wenig zu beeindrucken. Kein Buch der als Beleg für das mangelnde Verständnis der Gegenwartsliteratur von Reich-Ranicki herangezogenen Autoren gehört zu jenen, die ich auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen würde, und insbesondere diejenigen Schriftsteller, die man der Gruppe 47 zuordnet, haben mich herzlich gelangweilt. Die Abkehr dieser Autoren von einer Tradition, deren moralische Diskreditierung ihren ästhetischen Glanz aus unserer Sicht nicht zu zerstören vermochte, erscheint uns aktuell nicht mehr als verdienstvoll, und so könnte es durchaus erstaunen, dass eine Renaissance derjenigen Essais Sieburgs, die nicht nur der schnellen Vermittlung des tagesaktuell Lesenswerten dienen, bisher – dem konservativen Zeitgeist zum Trotz – ausbleibt. Ganz unerklärlich ist dies allerdings nicht:

Mag auch das allzu Saloppe beginnen, ein wenig zu langweilen, und die Annäherung der Schrift- an die gesprochene Sprache uns nicht mehr als frisch, als neu und unmittelbar erscheinen: Das allzu gravitätische, allzu parfumierte Deutsch, mit dem Sieburg all das, was er beschreibt, verpackt wie die Verkäuferin einer teuren Boutique ein Stück Seife in drei Lagen Tüll und glänzendes Papier einwickelt, versperrt die Sicht auf den Gegenstand seiner Betrachtung oftmals nicht wenig. Entsprechend erfährt man etwa aus Sieburgs Frankreich-Büchern wenig über Frankreich, kaum etwas über die französische Gesellschaft, nicht viel über die französische Literatur, und auch die Charaktere, die Sieburg beschreibt, kann man sich nur mit Mühe vorstellen. Tatsächlich weiß man nach vollendeter Lektüre nur wenig mehr über das Paris der Zwischenkriegszeit als zuvor. Viel aber – und bisweilen lohnt dies den Kauf und die aufgewandten Stunden – erfährt man über den Autor.

Nicht besonders sympathisch erscheint freilich Sieburg selbst nach eigenen Zeugnissen. Auffallend die Larmoyanz, die fast alle konservativen Stimmen nach dem 2. Weltkrieg vereint, als habe man dieser Generation bürgerlicher Denker Unrecht getan, als man ihre Fehler und Verbrechen nicht auf der Stelle vergaß. Ich kenne keine Ausnahme: Der denkende Konservatismus der letzten 60 Jahre tritt einem stets mit einer leicht beleidigt wirkenden Miene entgegen, die es schwer macht, diese an sich nicht vollkommen unsympathischen Menschen posthum ernst zu nehmen. Sieburg ist hier keine Ausnahme.

Befremdlich auch der geradezu putzige Snobismus. Die Selbstgefälligkeit, mit der manche freilich gelungene Formulierung auch dort angebracht wird, wo sie der Natur der Sache nach keinen Glanz entfalten kann noch soll, strengt auch den bereitwilligen Leser mächtig an, und doch, jeweils kurz vor dem Moment, in dem man zu einem anderen Buch greifen würde, das den Nachttisch beschwert, berührt ein poetisches Bild, ein schöner, demütiger Satz, und man schlägt Unsere schönsten Jahre, die Bilanz eines halben Lebens in Frankreich, trotz des scheußlichen,überaus kitschigen letzten Kapitels mit einem kopfschüttelnden Lächeln zu.

Auf dieses Päckchen Nachsicht sind die Biographien Sieburgs keinesfalls angewiesen. Die Betrachtung Robespierres, vor guten zehn Jahren gelesen, kann all das für sich in Anspruch nehmen, was die literarische Biographie an Vorzügen für sich geltend machen kann. Für diesen Satz hätte Sieburg mir Strychnin in den Sekt geschüttet, indes meine ich, behaupten zu dürfen: Wer an Stefan Zweigs Biographien nichts als den allzu schlamperten Stil bemängelt, wird mit Sieburg glücklich werden. Ein Sinn für das Dramatische, für den großen Moment, für die welthistorische Sekunde, in der sich aus dem Alltäglichen das Überlebensgroße formt, und ein Stil, der sich – zumeist wenigstens – dem Gegenstand der Betrachtung unterordnet, macht hier das Lesen zum Vergnügen. Die große Biographie Chateaubriands, die Darstellung der hundert Tage der Rückkehr Napoleons: Eine fast ungeschmälerte Freude, bei allen Abweichungen der Art und Weise, wie wir Geschichte betrachten, stets angenehme, nie langweilige Stunden.

Großartig auch die Miniaturen über die großen Toten. Maupassant. Heine. Kleist, in denen Sieburg sich, bewahrend und bewundernd, dem Geist einer Epoche, eines Menschen, dem Duft der Sprache selbst nähert, um bisweilen all das, was wir als Leser spüren, ohne es fassen und ausdrücken zu können, in einer einzigen, einer schlagenden Formulierung zärtlich zu umfassen.

Hier mag der Kreis sich schließen. Der – gleichfalls verblassenden – Gegenwart seiner Tage mag Sieburg das Angemessene schuldig geblieben sein. Dort aber, wo die ferne Vergangenheit nach Bewunderung verlangt, nach Liebe sogar, dort bleiben ein paar Aufsätze, der Abdruck einer Sehnsucht nach dem ganz gerundeten Schönen, nach dem, was an Sprache der Anbetung wert erscheint, und wenn es auch nicht mehr sein mag, was bleibt: Für diese zwei, drei schmalen, längst vergriffenen Bände lohnt es sich, diesen einst mächtigen Mann nicht ganz und gar zu vergessen.

Friedrich Sieburg, Unsere schönsten Jahre, 1950;
ders., Robespierre, 1935;
ders., Chateaubriand, 1959;
ders., Napoleon, die hundert Tage, 1956;
ders., Nur für Leser. Jahre und Bücher, 1974 (Anthologie).

alle antiquarisch


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