Samstag, 13. Juni 2009

Journal :: 13.06.

Manchmal sieht man Hunden zu, die ganz versunken in Wirbel und Geschwindigkeit dem eigenen Schwanze nachjagen, um dann auf einmal stehenzubleiben, verlassen von dem rauschhaften Schwung der letzten Sekunden und winselnd vor Verlorenheit. Man möchte dann niederknien, das Tier zu sich rufen, an beiden Ohren tätscheln und kräftig klopfen, bis die Spannkraft in den Hundekörper zurückkehrt, und der Hund fröhlich wedelnd von dannen zieht: So, eben so, geht es mir an manchen Wochenenden, nur kommt keiner (ach, wer sollte das auch sein) zu mir und klopfte mir gütig die Seiten.

Ein bißchen ausgeleiert komme ich mir dann vor, leicht schwankend vor zu viel freier Zeit, und lauter dumme Gedanken steigen in mir auf wie die Blasen im Sumpf. Dass jedes hübsche, dumme Huhn mehr Anerkennung und Zuneigung erfährt, als sie mir zuteil wird, etwa. Dass alle meine hart erkämpften Erfolge nicht nur sub specie aeternitatis, sondern schon unter den Augen der schönen, lachenden, langbeinigen Mädchen in den Journalen am Kiosk lächerlich wirken. Dass die Fähigkeiten, die ich besitze, ein wenig sehr alltäglich sind, und die Talente, die ich gern besäße, mir nicht gegeben. Ein bißchen traurig bin ich dann, ein wenig wie der verlorene Hund, und diese Traurigkeit (auch dies dem Hunde vergleichbar) erscheint mir dann wiederum zum Lachen und ganz und gar unwürdig eines vernünftigen Menschen.

Um nicht den ganzen Tag die eigene Irrelevanz zu beweinen, stehe ich dann auf. Ich brauche ein neues Kostüm, das ich Stunden später bei Filippa K. in der Alten Schönhauser Straße kaufe, fahre zu diesem Zweck erst zum Kudamm, laufe durch den Tiergarten zurück und freue mich an den grün verhangenen Wegen. Bei Filippa K. stehe ich schließlich vor dem Spiegel, eine Frau Mitte dreißig in einem grauen Kostüm, und schaue mir einen Moment in die Augen. Ich sehe, stelle ich fest, meiner Vorstellung von gutem Aussehen rein gar nicht ähnlich. Um verschüttete Milch soll man nicht weinen, schärfe ich mir ein, bezahle ein Kostüm und zwei Oberteile, laufe erst heim und später mit dem J., der I. und dem R. zum Essen, vergesse für einen Moment, dass ich schon nachmittags bei Barcomi zwei halbe Stück göttlichen Kuchen hatte, esse noch mehr Süßes in Form eines Birnenstrudels und sitze schließlich zu Hause, und erinnere mich mit Bedauern an zwei glatte, schmucklose, steinerne Gedichte von Nossack, die ich nicht auswendig kann, und - wie feststelle - auch nicht besitze.

Journal :: 12.06.

Aber wenn der Regen warm wäre, mein Lieber, und Berlin menschenleer, dann stünde ich auf. Sandaletten würde ich tragen und einen Badeanzug und sonst nichts, und liefe die Treppen abwärts zum Hof. Schwer hingen die Wolken schwarz auf den Dächern, die Luft wäre heiß, feucht und nass und die Straßen glänzten körnig im Dampf. In den Rinnsteinen stünde das Wasser vor den Gullys, ich schöbe mein Fahrrad auf die Straße und radelte los. Der Regen durchnässte mir Haare und Haut, und schon auf der Schönhauser Allee wüsste ich nicht mehr, was Schweiß wäre, und was nur der Regen.

Am Shiro i Shiro böge ich ab, auf die Linden würde ich fahren, und im Licht der Laternen, glitzernd vor Tropfen, radelte ich an der Oper vorbei Richtung Westen. Ein Wind käme auf, warm wie an südlichen Meeren, führe mir in die Seiten und holte mich schließlich vom Rad. Am Rande der Straße würde ich liegen, und um mich herum wütetet der Sturm. Unter der Straße schlüge das Herz dieser Stadt bis zum Hals, die Winde würfen mich hart in die Kronen der Bäume, und ließen mich liegen, am Morgen, schwerelos schlafend, nüchtern im Morgenrot und strahlend und schwebend, mein Lieber, über der Stadt.



Benutzer-Status

Du bist nicht angemeldet.

Neuzugänge

nicht schenken
Eine Gießkanne in Hundeform, ehrlich, das ist halt...
[Josef Mühlbacher - 6. Nov., 11:02 Uhr]
Umzug
So ganz zum Schluss noch einmal in der alten Wohnung auf den Dielen sitzen....
[Modeste - 6. Apr., 15:40 Uhr]
wieder einmal
ein fall von größter übereinstimmung zwischen sehen...
[erphschwester - 2. Apr., 14:33 Uhr]
Leute an Nachbartischen...
Leute an Nachbartischen hatten das erste Gericht von...
[Modeste - 1. Apr., 22:44 Uhr]
Allen Gewalten zum Trotz...
Andere Leute wären essen gegangen. Oder hätten im Ofen eine Lammkeule geschmort....
[Modeste - 1. Apr., 22:41 Uhr]
Über diesen Tip freue...
Über diesen Tip freue ich mich sehr. Als Weggezogene...
[montez - 1. Apr., 16:42 Uhr]
Osmans Töchter
Die Berliner Türken gehören zu Westberlin wie das Strandbad Wannsee oder Harald...
[Modeste - 30. Mär., 17:16 Uhr]
Ich wäre an sich nicht...
Ich wäre an sich nicht uninteressiert, nehme aber an,...
[Modeste - 30. Mär., 15:25 Uhr]

Komplimente und Geschenke

Last year's Modeste

Über Bücher

Suche

 

Status

Online seit 7113 Tagen

Letzte Aktualisierung:
15. Jul. 2021, 2:03 Uhr

kostenloser Counter

Bewegte Bilder
Essais
Familienalbum
Kleine Freuden
Liebe Freunde
Nora
Schnipsel
Tagebuchbloggen
Über Bücher
Über Essen
Über Liebe
Über Maschinen
Über Nichts
Über öffentliche Angelegenheiten
Über Träume
Über Übergewicht
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren