Montag, 15. Juni 2009

Journal :: 15.06.

Als ich nach der Konferenz nachmittags im Büro ankomme, bin ich völlig ausgequatscht. Meine Wochenration an gesprochenen Buchstaben habe ich seit zwölf Uhr aufgebraucht, aber statt nun am Schreibtisch zu sitzen und einfach ein bißchen vor mich zu brodeln und zu arbeiten geht es weiter mit Betrieb, Gesprächen, Abstimmungen und Telefonaten.

Gegen sechs werde ich in die nächste Konferenz gerufen, gegen zehn sitze ich wieder am Schreibtisch, arbeite ab, was sich angehäuft hat im Laufe des Tages, und der Regen schlägt hart gegen mein Fenster. Als ich gehe, es ist halb elf, steht das Taxi vor der Tür. In der Tasche grabe ich nach meinem Schlüssel, aber mein Schlüssel ist nicht da. Etwas ratlos sitze ich auf der Rückbank, fange an zu telefonieren, und der Fahrer wiegt sich mit der Musik hin und her wie ein Elefant im Zoo. Schießlich erreiche ich jemanden und bin erleichtert.

"Fahren sie weiter.", dirigiere ich den Fahrer durch den nächtlichen Regen, bis Moabit und zurück. Sehr, sehr müde sitze ich schließlich am eigenen Schreibtisch, ausgeräumt von den vielen Gesprächen, ganz zufrieden oder zumindest nicht unzufrieden, soweit ich das noch spüren kann, und streichele ganz, ganz langsam meine Katzen, bis der Abend sich seufzend zur Ruhe legt, der Puls des Tages sich verlangsamt, und der Regen wegwäscht, was vom Tage übrigblieb.

Journal :: 14.06.

Auf dem Bürgersteig jagen sich zwei kleine Mädchen und schreien dabei, so laut es geht. Der Vater spricht derweil mit einem anderen älteren Herrn, und die Mutter schaut hinter einer großen Sonnenbrille stur auf die Schwedter Straße. Ich tue so, als hätte ich das Geschrei nicht einmal vernommen, picke ein paar Antipasti und lese in der Zeitung einen längeren Artikel über Habermas, von dem ich nicht mehr als ein paar Auszüge kenne, weil ich von den Texten Habermas immer so schnell müde werde. Wie ich über meinen Antipasti feststelle, übt bereits ein Text über Habermas diese Wirkung aus und ich zahle schnell, bevor ich noch einschlafe, hier vor dem Pappa e Ciccia, morgens um elf und die Eltern der kindlichen Mänaden noch denken, ihr Nachwuchs sei gar nicht nervig.

Als ich den Habermas-Artikel weglege, bin ich wieder fit und fahre ins Historische Museum. Zwischen den Staufern und dem Biedermeier ungefähr lässt meine Vitalität zwar deutlich nach, kehrt circa um die Reichsgründung herum aber wieder. Wer allerdings in seinem Leben schon einmal ein Museum von Innen gesehen hat, wird hier wenig Neues entdecken, von den Wahlplakaten über die Bilder, von den Kleidern bis zu den Reden und Filmen umgeben mich alte Bekannte, und so verlasse ich das Museum mit eher etwas gemischten Gefühlen und gähne einmal kräftig vor dem Portal. Immerhin sieht das Zeughaus schön aus.

Am Nachmittag mache ich nichts. Ich sitze ein bißchen am Rechner, ich schreibe eine kurze Geschichte, ich trinke Filterkaffee, weil bei mir zu Hause das Latte Macchiato-Zeitalter aus Prinzip nicht stattgefunden hat, und gegen Abend kommen die I. und der S. vorbei und schenken uns einen Chilibaum. Wenig später fahre ich los, über die Spree, durch ganz Kreuzberg, noch etwas weiter, stehe schließlich in einem Garten und plaudere über Kunst, Recht und Politik ein paar Platitüden. Seit ich festgestellt habe (das hat bei mir ein paar Jahre gedauert) das Sprechen immer schlechter ist als Lächeln, Zuhören und Nicken, sage ich bei solchen Anlässen generell nur noch recht wenig.

Tatsächlich kommt auch hier die Rede auf Habermas, der andere Leute ganz offensichtlich mehr zu animieren scheint als mich. Habermas sei, erfahre ich, in den USA äußerst populär, und auch die Finnen und Italiener beschäftigen sich intensiv mit der Diskurstheorie und allem, was Habermas noch sonst so geschrieben hat. Ich erwehre mich eines kräftigen Gähnens, denn wie sieht denn das aus, sage irgendetwas Naheliegendes, was ich auf der Stelle komplett vergesse und schiebe meine aufkeimende Müdigkeit auf die fortgeschrittene Stunde. Bevor man mir mehr über Deutschlands großen Denker erzählt, breche ich auf.

Auf den dunklen Straßen bin ich dann wieder wach. Putzmunter komme ich zu Hause an, stundenlang könnte ich jetzt noch am Rechner sitzen, schreiben und surfen, aber früh wird die Nacht morgen enden, es muss geschlafen werden und zwar schnell, und so bedaure ich erstmals, das Werk Habermas nicht im Hause zu haben, welches seine unfehlbare Wirkung auch heute nacht vermutlich nicht verfehlen würde.



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